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Die neue, heiße Steinzeit: Omas Kachelofen soll bei der Energiewende helfen
Kachelöfen sind mit Schamottsteinen gefüllt, hervorragenden Speichern für extreme Hitze. Wissenschaftler glauben, sie könnten in Zukunft Batterien und Wasserstoff Konkurrenz machen.
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Wer noch einen alten Kachelofen hat, oder sich von Oma und Opa zumindest an einen erinnern kann, kennt ihre wohligen Effekte: Die Schamottsteine in ihnen speichern Wärme und geben sie über Stunden ab, selbst dann noch, wenn im Brennfach das letzte Brikett bereits komplett zu Asche geworden ist. Wissenschaftler schlagen jetzt vor, sie in ganz großem Stil wieder einzusetzen, um Energie für die Industrie zu speichern.
Mark Jacobsen und seine Kollegen von der Stanford University in Kalifornien rechnen vor, dass in einer Weltwirtschaft, die ohne fossile Brennstoffe auskommen müsste, etwa 15 Prozent weniger Batteriekapazität nötig wäre. Das würde zum Beispiel bedeuten, dass man riesige Mengen Lithium einsparen könnte, also gar nicht erst abbauen müsste. Auch auf ein Drittel der ansonsten notwendigen Wasserstoffproduktion könnte man demnach verzichten, wenn diese älteste, bereits in der Bronzezeit erfundene Energiespeichertechnologie wie eine Art Phönix aus der Kachelofenasche wiederauferstehen würde.
Wind zu Wärme
Energie wäre jedenfalls, auch ohne Kohle, Öl, Gas und Atomkerne dafür verheizen zu müssen, genug da. Sie kann etwa aus Wind, Meereswellen, Sonnenlicht und fließendem Wasser gewonnen werden. Nur liefern diese Quellen die Energie nicht so verlässlich gleichmäßig, wie die Wirtschaft es gewohnt ist. Und so wird regelmäßig die fehlende Möglichkeit, große Mengen Energie kostengünstig und umweltschonend zwischenzulagern, als Argument vorgebracht, warum man die Atmosphäre weiter mit Kohlendioxid vollpumpen und hochgradig strahlenden Atommüll produzieren muss.

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Tatsächlich sind Batterien, die dafür infrage kämen, nach wie vor teuer. Und Substanzen in ihnen sind teils giftig und hochproblematisch, falls sie in die Umwelt gelangen. Ihre Produktion ist auf knappe und teils unter menschenrechtswidrigen Bedingungen abgebaute Rohstoffe angewiesen. Wasserstoff als andere mögliche Speichersubstanz hat, von den Herstellungskosten über die Transportinfrastruktur bis hin zu Sicherheitsfragen, seine eigenen Probleme.
So suchen Ingenieurinnen und Ingenieure seit langem nach zusätzlichen Möglichkeiten, etwa die Solarenergie eines sonnigen Tages oder die Windenergie einer stürmischen Woche zu speichern: so, dass sie auch Tage oder Wochen später, bei Flaute oder bedecktem Himmel beispielsweise einen Hochofen heizen kann. Es gibt zahlreiche Ansätze, die jedoch fast durchweg jeweils für sich genommen nur einen kleinen Anteil der insgesamt nötigen Speicherkapazität liefern könnten.
Das Tauchsiederprinzip
Bei Schamottsteinen könnte es anders aussehen: Ihn „begeistere“ an den Ergebnissen vor allem, dass die Effekte sehr groß seien, „während viele andere Technologien, die ich mir angeschaut habe, nur marginale Auswirkungen haben“, sagt Jacobson.

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Er und sein Team haben ein Szenario für 149 Länder und damit mehr als 99 Prozent der weltweiten energieintensiven Industrien durchgerechnet. Wenn die Wärmeenergie für Hochöfen, Zement- und Glasherstellung und ähnliche hitzeintensive Prozesse zu 90 Prozent aus mit Strom aus erneuerbaren Quellen aufgeheizten Schamott-Speichern käme, könnte man sich nicht nur die schon genannten riesigen Kapazitäten bei Batterien und Wasserstoff sparen. Auch die weltweiten Gesamtkosten für Energie ließen sich damit um fast zwei Prozent senken, schreibt das Team im Fachmagazin „PNAS Nexus“.

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Das Prinzip ist denkbar einfach und entspricht im Grunde dem des guten alten Tauchsieders: Strom wird durch einen Draht mit hohem Widerstand geschickt. Der Draht erhitzt sich und gibt die Wärme an seine Umgebung ab. Beim Tauchsieder erhitzt sich das Wasser im Topf, beim Schamottspeicher die Steine, zwischen denen die Drähte verlaufen. Über einen Luftstrom kann diese Wärme dann bei Bedarf wieder abgeführt und genutzt werden. Überschüssigen Strom als Wärme in Steinen zu speichern, ist auch Prinzip der Nachtspeicheröfen. Jacobsons Schamottspeicher wären nichts anderes als eine großindustrielle Version von ihnen.
„Um Größenordnungen geringere Umweltbelastung“
Wenn man ihm zuhört, glaubt man ihm, dass er selbst überrascht war von den Ergebnissen seiner relativ einfachen Berechnungen. Er zählt weitere Vorteile auf: „Das Material der Schamottsteine besteht einfach aus den Bestandteilen von Erde.“ Das mache die Technik nicht nur umweltfreundlich und ressourcenschonend.
Man könne Schamottsteine deshalb auch billig und ohne großen Transportaufwand fast überall dort herstellen und zu Speichern aufschichten, wo sie gebraucht würden. In der Nähe von Hochöfen, etwa. Alles in allem werde die Umwelt „um mindestens zwei Größenordnungen weniger belastet“, da die Brennöfen dann eben ohne ein echtes Verbrennen von fossilen Rohstoffen auskämen, was neben weniger Kohlendioxid- auch weniger Luftschadstoffausstoß bedeuten würde.
Klingt das zu gut, um wahr zu sein? Tatsächlich müsse man, sagt Valentin Bertsch, Professor für Energiesysteme und Energiewirtschaft an der Bochumer Ruhr-Universität, mit solchen Modellrechnungen stets vorsichtig sein. Denn deren Ergebnisse seien immer „äußerst stark abhängig von den getroffenen Annahmen“. Das heiße, „mit den ‚richtigen‘ Daten lassen sich nahezu alle Ergebnisse produzieren.“
Bei Langfristbetrachtungen wie diesen habe man es aber „mit massiven Unsicherheiten zu tun“. Auch die „sehr globale“ Darstellung sieht Bertsch kritisch, „denn die Erfahrungen zeigen, dass die Anforderungen der Betriebe hier sehr individuell sind“.
Grundsätzlich sieht er aber Potenzial für die Technologie. Doch auch andere Technologien, etwa die Überführung überschüssiger elektrischer Energie in Druckluftspeicher, haben laut Bertsch bei manchen der wichtigen Anforderungen ganz ähnliche Eigenschaften. Karsten Müller, Professor für technische Thermodynamik an der Universität Rostock, sagt, die Idee sei „nicht ganz doof“. Allerdings kämen auch andere Materialien als Wärmespeicher infrage, etwa Beton, Kies und Wasser.
Alternativmaterial Beton
Als Vorteil der Schamottsteine gilt aber, dass sie, anders als etwa Wasser, sehr hohe Temperaturen bis weit über 1000 Grad annehmen können. Das bedeutet einerseits viel Energiespeicherung pro Volumeneinheit, aber auch, dass Hochtemperaturprozesse in der Industrie mit weniger Aufwand für ein Aufheizen auf die nötige Hitze betrieben werden könnten.
Die Ergebnisse der Schamottstein-Studie seien „zwar nicht eins zu eins auf Speicher aus Beton übertragbar“ sagt Müller, „aber die wesentlichen Trends sind die gleichen“. Die Studie zeige also im Grunde generell „die Potenziale für sensible thermische Speicher auf Basis temperaturstabiler fester Materialien, zu denen auch Beton und Co gehören“.

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Die Vorteile von Kies liegen dabei auf der Hand: Er muss noch nicht einmal hergestellt und energieaufwendig gebrannt werden wie Schamottsteine. Es gibt ihn fast wie Sand am Meer. Das gilt auch für Beton in Form von Bauschutt, der auch relativ hohe Temperaturen aufnehmen kann. Doch Beton-Wärmespeicher, sagt Karsten Müller, müssten neu gegossen werden, denn „der Wärmeübertragungsapparat braucht ja guten Kontakt zum Speichermaterial“. Doch „aus thermischer Sicht“, spreche, „nicht viel dagegen, Schutt unterzumischen und so Beton zu sparen“.
Bleibt noch die Frage, ob solche Speicher sich nicht nur für die direkte Nutzung der Hitze, sondern auch für die Rückumwandlung in Strom eignen würden. Hier ist das Problem der eher geringe Wirkungsgrad. Während eine Umwandlung von Strom in Wärme verlustarm funktioniert, also aus einer Kilowattstunde elektrischer Energie das Äquivalent von fast einer Kilowattstunde Wärmeenergie bleibt, sind die Verluste andersherum massiv: „Würde ich wieder Strom draus machen, dann bekäme ich nur etwa eine halbe Kilowattstunde zurück“, so Müller.
Batterien oder auch Wasserstoff kommen hier deutlich besser weg, sind aber eben auch teurer und machen andere Probleme.
Was hier die Gleichung verschieben würde, wäre die Variable „Verfügbarkeit von Erneuerbaren“: Bei einem echten Überangebot an schon in der Erzeugung billigem Wind- und Solarstrom etwa wären die Verluste bei der Umwandlung von Schamottwärme in Strom dann auch eher tolerierbar.
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