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Aus der Coronazeit gelernt? Drei Jahre wurde gerungen, jetzt liegt das erste Pandemie-Abkommen der Weltgesundheitsorganisation vor.

© IMAGO/Olaf Schuelke

Die Regeln für die nächste Pandemie: „Nicht nur moralisch, sondern auch wissenschaftlich notwendig“

Das erste Pandemie-Abkommen der WHO soll künftig schnelleres Handeln bei einer globalen Gesundheitskrise ermöglichen. Doch der Praxistest steht noch aus – und nicht alle machen mit.

Stand:

Drei Jahre wurde verhandelt. Jetzt haben sich die Mitgliedstaaten der Weltgesundheitsorganisation (WHO) auf ein Pandemie-Abkommen geeinigt, um künftig schneller auf globale Gesundheitskrisen reagieren zu können.

„Erstmal sollten wir feiern, dass es in diesen Momenten der internationalen Fragmentierung doch möglich war, diese Verhandlungen erfolgreich abzuschließen“, sagte Beate Kampmann, Direktorin des Instituts für Internationale Gesundheit an der Charité – Universitätsmedizin Berlin dem Science Media Center (SMC).

Damit sei ein wichtiger Meilenstein zur Verbesserung der internationalen Gesundheitskooperation erreicht worden. „Es ist ein starkes Bekenntnis zur globalen Gesundheit und zum Mandat der WHO.“

In Wirklichkeit werden wir erst wissen, wie nützlich dieses Abkommen ist, wenn die nächste Pandemie ausbricht.

Mishal Khan, Professor für Global Public Health an der London School of Hygiene & Tropical Medicine

Emma Thomson, Direktorin des MRC-University of Glasgow Centre for Virus Research, sieht das ähnlich: „Die Annahme dieses Abkommens ist ein bedeutender Schritt für die globale Pandemievorsorge. Sie spiegelt einen wachsenden internationalen Konsens wider, dass ein gerechter Zugang zu Überwachung, Diagnostik, Impfstoffen und Therapeutika nicht nur ein moralisches Gebot, sondern auch eine wissenschaftliche Notwendigkeit ist.“

124 Länder stimmten dem Abkommen zu; 11 Länder, darunter Israel, Polen, Italien und Russland, enthielten sich. Die USA und Argentinien sind aus der WHO ausgetreten. Wie sie bei einer neuen Pandemie mit Ressourcen wie Impfstoffen oder Masken und Daten über die Ausbreitung eines Virus umgehen werden, bleibt unklar.

Die Covid-19-Pandemie hat gezeigt, wie unvorbereitet viele Länder auf eine globale Gesundheitskrise waren – besonders wenn es auf die Zusammenarbeit, Transparenz und eine faire Verteilung medizinischer Ressourcen ankam. Das neue Pandemie-Abkommen soll eine Antwort auf diese Defizite sein.

Früherkennung und Zusammenarbeit

Nach der Verabschiedung solcher Konzepte gehe es nun um die Umsetzung – „und das ist sicher kein einfacher Weg“, sagte Beate Kampmann. „Aber wenigstens besteht jetzt eine Übereinstimmung, welche Aspekte besonders wichtig sind.“

Die wichtigsten Punkte sind:

  1. Ausbau der nationalen Gesundheitssysteme zur besseren Früherkennung von Krankheitsausbrüchen und von Impfkampagnen.
  2. Verpflichtung zur systematischen Überwachung von Infektionskrankheiten, einschließlich der Tierwelt, um Zoonosen frühzeitig zu erkennen, also Infektionskrankheiten, die wechselseitig zwischen Tieren und Menschen übertragen werden können.
  3. Ärmere Länder sollen bei einer Pandemie bevorzugten Zugang zu Impfstoffen, Medikamenten und Diagnostika erhalten – unter anderem durch eine Quote von 20 Prozent der weltweiten Produktion, die für den globalen Süden reserviert werden soll.
  4. Das Abkommen zielt darauf ab, die Produktion von Gesundheitsprodukten zu steigern und lokaler zu gestalten. Ein globales Netzwerk für Lieferketten und Logistik soll ärmere Länder neben Impfstoffen und Medikamenten auch mit Schutzausrüstung und Finanzmitteln versorgen. Priorisierung des Gesundheitspersonals bei der Versorgung mit medizinischen Produkten.
  5. Einführung des Pathogen Access and Benefit-Sharing (PABS)-Systems: Länder stellen genetische Informationen von Krankheitserregern zur Verfügung; im Gegenzug verpflichten sich Pharmaunternehmen, 20 Prozent ihrer pandemierelevanten Gesundheitsprodukte der WHO bereitzustellen (10 Prozent als Spenden, 10 Prozent zu Vorzugspreisen).
  6. Pharmaunternehmen und Staaten sollen ihr Know-how teilen, um die Produktion von Medikamenten und Impfstoffen auch in Entwicklungsländern zu ermöglichen. Der Technologietransfer erfolgt jedoch nur im beidseitigen Einverständnis und wird maßgeblich in Zentren der WHO stattfinden.
  7. Das Abkommen behält die nationale Souveränität: Die WHO kann keine innerstaatlichen Maßnahmen wie Lockdowns, Reisebeschränkungen oder Impfpflichten anordnen. Strafmaßnahmen gegen Länder, die ihren Verpflichtungen nicht nachkommen, sind ebenfalls ausgeschlossen.

Die technische Umsetzung des Abkommens muss von einer Arbeitsgruppe ausgehandelt werden. Die Ergebnisse werden bei der Weltgesundheitsversammlung im kommenden Jahr vorgestellt. Erst nach Annahme aller Bestandteile liegt das Abkommen zur Unterzeichnung vor. In Kraft tritt es, sobald 60 Staaten es ratifiziert haben.

„Eine zentrale Frage ist, ob die Länder die Bedingungen freiwillig einhalten werden und, falls nicht, wie durchsetzbar sie sind. Erfahrungen aus der Vergangenheit, beispielsweise mit den Internationalen Gesundheitsvorschriften, deuten darauf hin, dass die Durchsetzungsbefugnisse begrenzt sein werden“, sagte Mishal Khan, Professor für Global Public Health an der London School of Hygiene & Tropical Medicine. „In Wirklichkeit werden wir erst wissen, wie nützlich dieses Abkommen ist, wenn die nächste Pandemie ausbricht.“

Der Aufbau robuster Lieferketten und die Privatwirtschaft bleiben zentrale Herausforderungen für die Umsetzung, so Beate Kampmann. Ohne privatwirtschaftliche Zustimmung wird es nicht gehen, sagt sie – aber das Abkommen erhöht den politischen Druck.

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