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In Höhlen ergraut: Gibellula attenboroughii mit einer Frisur aus Pilzmyzel.

© Tim Fogg

In der Höhle der Zombie-Spinnen: Eine unheimliche „medizinische Schatztruhe“

Auf den britischen Inseln gibt es Organismen, die Spinnen und Motten dazu bringen, ihr Verhalten zu ändern. Sie könnten aber auch noch ganz andere, nützliche Fähigkeiten haben.

Stand:

Höhlen sind besondere Lebensräume. Vor allem sind sie meist ziemlich isoliert. Für Arten, die sich selbst nicht bewegen können, sich aber doch gerne verbreiten und vermehren wollen, sind das keine guten Bedingungen.

Es sei denn, man kann sich anderer bedienen, die den Job übernehmen. Für die ist das dann aber manchmal gar kein Spaß, wie neue Forschungsergebnisse aus Irland und Nordirland zeigen.

Ein bislang völlig unbekannter Pilz infiziert dort Höhlenspinnen. Diese Tiere, die normalerweise die Dunkelheit und ihre dichten Netze niemals je verlassen, verhalten sich danach völlig untypisch.

Auf den Spuren der Sporen: Harry Evans, Mykologe

© privat

Sie klettern, gleichsam fremdgesteuert als Zombies, aus den Höhlen heraus. Dort sterben sie, und der Pilz beginnt jetzt erst, Sporen zu bilden. Der Wind kann diese dann verteilen.

Gezielte Steuerung

Damit das so funktioniert, muss der Pilz die Gehirne der Spinnen sehr gezielt beeinflussen. Sie müssen auf ihrem Weg nach draußen wahrscheinlich entweder Lichtsignalen oder dem Luftzug folgen. Beides sind komplexe Sinnesleistungen, die bei ihnen sonst eher nicht auf dem Programm stehen.

Der Pilz infiziert also offenbar nicht nur einfach das Gehirn und schädigt es, sondern steuert hochspezifisch Nervenzellen und damit das Verhalten der Tiere.

„Ich hatte im Laufe der Jahre bei der Erkundung irischer Höhlen immer wieder Spinnen gesehen, die mit Pilzen bedeckt waren“, sagt der Höhlenforscher Tim Fogg, der ein Spezialunternehmen für Kletter- und Abseildienstleitungen leitet.

Nachdem ein BBC-Filmteam mit seiner Hilfe die Katakomben unter einem irischen Schloss erkundet und dort erneut solche Tiere gefunden hatte, entschied man sich gemeinsam, ein paar Exemplare „an den Experten auf diesem Gebiet, Harry Evans“, zu schicken.

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Millionen Pilzarten könnte es geben, laut einer konservativen Schätzung. Es könnten auch doppelt oder viermal so viel sein.

Evans ist Fachmann für Pilz-Tier- und Pilz-Pflanzen-Interaktionen am britischen Centre for Agriculture and Bioscience International (CABI). Seit einem halben Jahrhundert erforscht er unter anderem Pilze der Gattung Ophiocordiceps.

Gib der Spinne die Sporen: Gibellula attenboroughii hat hier ihre Wirtin komplett mit sporenbildenden Auswüchsen bedeckt. Mit Mühe erkennt man noch die Beine.

© Tim Fogg

Sie machen die durch die TV-Serie und das Computerspiel „The Last of us“ inzwischen in die Popkultur eingegangenen Ameisen zu „Zombies“ und sorgen dann dafür, dass wieder neue Ameisen infiziert werden.

Der Pilz aus den irischen Höhlen, den es aber wahrscheinlich auch im walisischen Untergrund und auf dessen Spinnen gibt, stellte sich jetzt als komplett neue Spezies heraus.

Mein Ziel war aber immer, diese Forschung sozusagen auch ,zum Wohle der Menschheit‘ nutzbar zu machen.

Harry Evans, britische Mykologie-Legende

In einer wissenschaftlichen Veröffentlichung, zu deren Autoren auch der Höhlenkletterer Tim Fogg gehört, beschreibt Evans nun jenen Gibellula attenboroughii. Benannt ist er nach dem für seine BBC-Naturdokumentationen, aber eben auch für seine Liebe zu eher unscheinbare Kreaturen bekannten, 98 Jahre alten Sir David Attenborough.

Motte, mit Samsoniella scoliopterygis infiziert

© Tim Fogg

Inzwischen haben Fogg und Evans auch noch einen weiteren neuen, verhaltensbeeinflussenden Pilz gefunden: einen, der Motten befällt, Samsoniella scoliopterygis.

In den Geschichtsbüchern der Mykologie, der Pilzkunde, hat Evans seinen Platz also sicher. „Mein Ziel war aber immer, diese Forschung sozusagen auch ,zum Wohle der Menschheit‘ nutzbar zu machen“, sagt er. Der Spinnen befallende Pilz ist für Evans eine „medizinische Schatztruhe“: Er müsse die verschiedensten, vielleicht auch für Menschen nützlichen Substanzen produzieren.

„Zum Beispiel Enzyme, um das komplexe Exoskelett der Spinne zu durchbrechen, dem Abwehrsystem in der Körperflüssigkeit zu entkommen, den Wirt schließlich zu töten und ihn dann vor Bakterien und anderen Pilzen zu schützen“, erklärt Evans.

Spinne konservieren mit Antibiotika

Der Pilz muss also unter anderem hochwirksame Antibiotika enthalten. Und dazu kommen die Substanzen, die das Verhalten der Spinnen, und bei Samsoniella das den Motten, gezielt verändern. Auch sie können also etwas, was man in der Humanmedizin grundsätzlich gut gebrauchen könnte, etwa für die Behandlung neurologischer oder psychischer Leiden.

„Glücklicherweise“, sagt Evans, stammten die neuen Funde nicht etwa aus Brasilien, wohin er am Dienstag aufgebrochen ist, sondern von den Britischen Inseln, einschließlich Irland. Damit kommen sie für den „Darwin-Tree-of-Life“ infrage, ein – anders als die britische akademische Pilzforschung – finanziell noch immer gut ausgestattetes Großforschungsprojekt.

Eingang zur Whitefathers Cave 3, County Cavan, Irland, Heimat von Spinne und Pilz

© Tim Fogg

„Sie werden jetzt an das Wellcome Sanger Institute zur kostspieligen Sequenzierung ganzer Genome geschickt“, sagt Evans: „Erst dann können sie auf neue Gene untersucht werden.“ Etwa solchen, die die Codes für medizinisch nutzbare Substanzen enthalten.

Selbst ein vielversprechender Fund hier wäre aber nicht mehr als ein leises Kratzen an der Oberfläche. „Von den geschätzten mehr als fünf Millionen Pilzarten sind erst weniger als 150.000 beschrieben worden“, sagt Evans.

Viele von ihnen, und vor allem viele der noch Namenlosen, könnten nicht nur horrorfilmreife Leistungen an Spinnen, Insekten und anderen Organismen vollbringen.

Sie würden eben ziemlich sicher auch unzählige Substanzen enthalten, sagt Evans, mit denen man etwa Infektionen bekämpfen, neurologische Krankheiten oder auch Krebs behandeln, Insektenplagen kontrollieren oder invasive Arten bekämpfen könnte.

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