
© Danny Buffat
Lebensrettende Amputationen: Notfallmedizin unter Ameisen
Sie haben nur Beißwerkzeuge, keine chirurgischen. Doch wenn es sein muss und es eine gute Prognose gibt, retten Ameisen damit das Leben von Artgenossinnen.

Stand:
Ohne Narkose und chirurgisches Werkzeug erscheint es rabiat. Doch die Patientin lässt den Eingriff ganz ruhig über sich ergehen. Nach der Amputation eines Beines bleiben ihr immerhin noch fünf, auf denen sie sich weiterhin fortbewegen und auch ihren Aufgaben im Nest nachkommen kann. Zumal sich die operierende Artgenossin anschließend instinktiv und intensiv um die Wunde kümmert. Mit der Beinamputation hat sie wahrscheinlich das Leben der Patientin gerettet.
Dass Ameisen sich um verletzte Mitarbeiterinnen kümmern, wurde bereits beobachtet. Die Matabele-Ameise Megaponera analis lebt gefährlich. Termiten, ihre bevorzugte Beute, sind wehrhaft. Bei der Jagd verletzte Artgenossinnen behandeln die Ameisen mit einem Sekret aus einer speziellen Drüse, das gegen Bakterien wirkt, die die Wunde infizieren könnten.
Florida-Holzameisen (Camponotus floridanus) aus dem Südosten der USA nisten in verrottendem Holz und verteidigen ihr Nest gegen Angriffe anderer Ameisenvölker. Die 1,5 Zentimeter großen Arbeiterinnen tragen dabei gelegentlich Verletzungen davon, die sie aber mangels der speziellen Drüse nicht wie Matabele-Ameisen behandeln können.
Wie nun ein Forschungsteam aus Würzburg und Lausanne im Journal „Current Biology“ berichtet, amputieren sie stattdessen vorsorglich verletzte Gliedmaßen. Bei bestimmten Verletzungen beißen sie ganze Beine ab. Der Eingriff verhindert lebensgefährliche Wundinfektionen und die Erfolgsrate ist hoch: Rund 90 Prozent der amputierten Tiere überleben, fanden die Forschenden um Erik Frank vom Würzburger Biozentrum heraus.

© Hanna Haring
„Unsere Studie belegt erstmals, dass auch Tiere im Zuge der Wundbehandlung prophylaktische Amputationen einsetzen“, sagt Co-Autor Laurent Keller. Und sie zeige, dass die Ameisen die Behandlung an der Art der Verletzung ausrichten. Amputiert wird nur bei Verletzungen am Oberschenkel.
Dort sitzen bei den Tieren kräftige Muskeln, die normalerweise dazu beitragen, ihren offenen Blutkreislauf anzutreiben. Ameisen haben kein Herz, zumindest nicht wie Menschen, sondern mehrere im Körper verteilte Herzpumpen und Muskeln lassen die Hämolymphe genannte Flüssigkeit zirkulieren. Ist der Oberschenkelmuskel verletzt, gerät der Kreislauf ins Stocken, Bakterien gelangen nicht so schnell von der Wunde in den Körper und können per Amputation ganz daran gehindert werden.
Im Unterschenkel liegen dagegen keine Muskeln, die für die Zirkulation der Hämolymphe relevant sind. Ist er verwundet, dringen die Bakterien schnell in den Körper vor und das Zeitfenster für eine erfolgreiche Amputation schließt sich. Die Chance auf Rettung ist gering. „Genau das scheinen die Ameisen zu ‚wissen‘, wenn man es vermenschlichend ausdrücken will“, sagt Frank.
Wunden am Unterschenkel lecken die Ameisen intensiv aus und säubern sie so wahrscheinlich von Bakterien. Auch diese Therapie ist mit einer Überlebensrate von rund 75 Prozent relativ erfolgreich, berichten die Forschenden.
- showPaywall:
- false
- isSubscriber:
- false
- isPaid:
- false