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Der Strom ging in manchen Gebäuden des betroffenen Fachbereichs an der Freien Universität Berlin drei Wochen lang nicht (Symbolbild).

© Getty Images/iStockphoto

Stromnetz-Sanierung kostet 44 Millionen Euro: Kabel an der Freien Universität brennt durch – massiver Schaden auch in der Forschung

Weil ein altes Stromkabel durchbrannte, fiel die Kühlung in Laboren der Freien Universität wochenlang aus. Vor allem in der Biologie ist der Schaden groß, die Forschung bis heute eingeschränkt.

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Geplatzte Rohre und kaputte Leitungen: Es häufen sich Schäden an den Berliner Universitäten wegen maroder Bausubstanz und alter Infrastruktur. Zuletzt traf es den Fachbereich Biologie, Chemie, Pharmazie der Freien Universität in Berlin-Dahlem. Im März legte ein durchgebranntes Stromkabel einen Teil des Mittelspannungsnetzes lahm, das Verteilernetz im Stadtteil. 20 Gebäude waren ohne Strom, einige davon fast drei Wochen.

Der entstandene Schaden sei sechsstellig, heißt es nun dazu von der FU. Betroffen seien etwa aufgetaute biologische Proben: DNA-Bibliotheken, Viren- und Bakterienstämme und Gewebeproben. Die Sanierungskosten für das Stromnetz schätzt die Uni auf 44 Millionen Euro. Die Verantwortung für den Betrieb liegt bei der FU.

Wie kam es zum großflächigen Ausfall? Eigentlich sollen Ringschaltungen verhindern, dass FU-Gebäude bei einem Defekt vom Strom abgeschnitten werden. „Jedes Gebäude in einem Ring wird von zwei Seiten mit Strom versorgt“, so eine Sprecherin der Pressestelle, sodass es bei Ausfall auf einer Strecke von der anderen Seite versorgt wird.

Das Labor konnten wir drei Wochen nicht benutzen.

Jens Rolff, Professor für Evolutionsbiologie, über die Folgen des Stromausfalls

Der Schaden an einem Kabel löste laut der FU eine Spannungskaskade aus, wegen der weitere Kabel durchbrannten, sodass der komplette Ring ohne Strom war. Die Ursache: „altersbedingter Verschleiß“ der Mittelspannungskabel. Das hätten Messungen an zwei Schadstellen im Erdreich ergeben.

Jens Rolff ist Professor für Evolutionsbiologie und leitet eine gleichnamige Arbeitsgruppe (AG) an der FU. „Das Labor konnten wir drei Wochen nicht benutzen“, sagt er. Im Schnitt habe jede:r seiner zehn Mitarbeitenden mindestens sechs Wochen Arbeitszeit verloren, schätzt er. Für Forschende in der Endphase einer Abschlussarbeit oder jene, die über befristete Drittmittelprojekte angestellt sind, sind solche Verzögerungen gravierend.

Wie groß der Schaden für sein Team sein wird, kann er final noch nicht sagen. „Wir werden nach und nach feststellen, ob alle eingefrorenen Bakterienstämme für unsere Forschung überlebt haben, die wir in einer Rettungsaktion woanders zwischenlagern konnten“, sagt Rolff.

Kollegen schafften Platz in der Tiefkühltruhe

Die Aktion sah so aus: Abends erfuhr Rolff von der Havarie und dem Ausfall einer Tiefkühltruhe seines Labs. „Die Minus-70-Truhen halten nach Abschalten etwa einen Tag.“ So habe er sich bei Kollegen erkundigt, ob er die betroffenen Proben irgendwo zwischenlagern könne. Es fand sich die Tiermedizin. Weil alles schnell gehen musste, wurde improvisiert. „Wir haben die Proben in Metallkisten in Eis und Trockeneis und Luftpolsterfolie gepackt und mit einem Bulli in die Veterinärmedizin in Düppel gebracht, die uns Platz in einer Tiefkühltruhe geschafft hatte.“

Einige Experimentiersets mit Chemikalien, bei denen die Kühlung unterbrochen war, musste Rolffs Team vorsorglich wegschmeißen und nachbestellen. „Wenn man mit solchen molekularen Bausätzen forscht, muss man sicher sein können, dass sie noch intakt sind. Jetzt warten wir auf die neuen, auch das kostet wertvolle Zeit.“

Notstrom reicht nicht mehrere Tage

Zwar konnten mehrere Gebäude durch Notstromaggregate versorgt werden. Die reichten jedoch nicht für alle Gebäude, erklärt die FU-Pressestelle. Generell gebe es für „kritische Teilbereiche“ der FU Notstrom, nicht aber für mehrere Stunden oder Tage. Nach dem Defekt Anfang März waren zehn der 20 betroffenen Gebäude aber zwei Wochen ohne Netzstrom und fünf davon fast drei Wochen.

Die Frage der Notversorgung habe die Uni mit dem Land Berlin nach Russlands Angriff auf die Ukraine und den befürchteten Energie-Lieferengpässen besprochen. Dabei sei festgestellt worden, dass kein FU-Gebäude zur kritischen Infrastruktur zähle.

Im Pflanzenphysiologie-Gebäude gibt es wegen des Ausfalls ebenfalls große Verluste. Das berichtet Biochemiker Marcel Wiermer. Alle fünf AGs im Gebäude sind betroffen. „Es wurden Enzyme und Chemikalien im Wert von mehreren Tausend Euro vernichtet“, auch einige Geräte hätten Schaden genommen.

Es wurden Enzyme und Chemikalien im Wert von mehreren Tausend Euro vernichtet.

Marcel Wiermer, Professor für Biochemie, zu den Schäden

Die AG Wiermer untersucht die Wechselwirkungen zwischen Pflanzen und krankheitserregenden Mikroben. Der Professor organisierte ebenfalls eine Notlösung und brachte Forschungsmaterial, das tiefgekühlt werden muss, bei Kollegen von einem Bundesinstitut auf der anderen Straßenseite unter.

Forschungsbetrieb bis heute behindert

Es gehe da teilweise um 15 Jahre Forschung, die sonst hinüber wären, sagt er. Das seien etwa bakterielle Klone oder Pflanzenmaterial, das mit Krankheitserregern infiziert wurde, „um zu verstehen, wie sich das auf ihre Genexpression oder den pflanzlichen Stoffwechsel auswirkt“. 

Sein Team ist zudem auf Anzuchtkammern angewiesen, bei denen Luftfeuchtigkeit und Licht für die Pflanzen per Software genau reguliert werden können. „Die fielen ganz aus. Die Experimente, die dort liefen, müssen wir komplett neu aufsetzen“, sagt Wiermer. Drei Monate Arbeitszeit koste das etwa pro Experiment. „Der Ausfall hat zudem die Software der Kammern gelöscht und deren Batterien zerstört, manche Ersatzteile sind nicht lieferbar.“ Eine der drei Kammern sei daher bis heute nicht wieder in Betrieb.

Das Institut für Pflanzenphysiologie und Mikrobiologie der FU in der Königin-Luise-Straße in Dahlem.

© imago/Joko

Verheerend sei das vor allem für befristet angestellte Mitarbeitende, zum Beispiel einen Doktoranden auf einer Drittmittelstelle, der seine experimentellen Arbeiten bis Ende Mai abschließen sollte und dessen Versuche durch den Stromausfall zerstört wurden. Wiermer bemüht sich derzeit, ihm eine Verlängerung zu ermöglichen.

Sanierungsstau und Mittelkürzung

Berlins öffentliche Infrastruktur kommt in die Jahre, wie sich jüngst an der Autobahnbrücke zeigte, die einsturzgefährdet war und abgerissen wurde. Oder an der Technischen Universität Berlin, die mehrere Schäden wegen Materialversagens verzeichnete, darunter drei gebrochene Wasserrohre binnen zwei Jahren. In einem Seminarraum kam wegen Wasserschadens die Decke herunter.

Bei den Hochschulen stockt derweil aus Geldnot die Sanierung. Den Investitionsstau, Neubauten mit eingerechnet, bezifferten die Hochschulen 2024 auf etwa acht Milliarden Euro. Die Kürzung des Hochschulhaushalts durch den Senat – rund 140 Millionen allein im laufenden Jahr – verschärft die Lage, weil die Unis sich gezwungen sehen, ihre Rücklagen aufzubrauchen.

Auf eine Anfrage von Mitgliedern des Akademischen Senats zum Vorfall antwortete das FU-Präsidium, wie dem Tagesspiegel mitgeteilt wurde: „Ein Sanierungsstau an der FU Berlin in Milliardenhöhe zeigt anhand dieses Vorfalls seine Konsequenzen.“

Die FU-Pressestelle äußert sich zur Lage diplomatisch: Bei der Stromversorgung nachzubessern habe nun Priorität, sei aber auch „eine Finanzierungsfrage, gerade vor dem Hintergrund der Haushaltskürzungen“. Die FU hoffe auf Bundesmittel aus dem Sondervermögen Infrastruktur.

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