
© Humboldt-Stiftung/Philipp Arnoldt
„Technologie allein verändert unseren Konsum nicht“: Internationale Nachhaltigkeitsexperten zu Gast in Berlin und Brandenburg
Beim Humboldt-Residency-Programm arbeiten Expert:innen aus aller Welt zusammen am Thema Nachhaltigkeit. Und liefern Ideen und Strategien für einen Kulturwandel.
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Ein Schloss in Brandenburg, drum herum Wald, der nächste Laden eine Stunde mit dem Fahrrad entfernt. Hier versammelten sich Anfang August elf ganz unterschiedliche Menschen, die sich sonst wahrscheinlich nicht getroffen hätten. Was passiert, wenn ein Abfallforscher aus China auf eine Verhaltensforscherin aus den Niederlanden trifft? Oder eine Digitalkünstlerin aus Uruguay auf einen Architekten aus Indien?
Das zeigt das Humboldt-Residency-Programm, das in diesem Jahr zum zweiten Mal stattfindet. Die Alexander-von-Humboldt-Stiftung hat dafür erneut zehn Expert:innen aus Wissenschaft, Medien, Kunst und Zivilgesellschaft zusammengebracht, die sechs Wochen und darüber hinaus intensiv zusammenarbeiten.
Das Thema in diesem Jahr: „Unsere wertvollen Ressourcen: Wege zu einer sicheren und nachhaltigen Zukunft“. Gemeinsam wollen sie Ideen und Strategien erarbeiten, die – vor allem angesichts des Klimawandels – zu einem nachhaltigeren Umgang mit natürlichen Ressourcen führen können.
„Es war eine wunderbare Reise. Auch wenn wir schon mal frustriert übereinander waren, wir haben uns gegenseitig bereichert und befruchtet“, sagt Pratyush Shankar, Professor für Urbane Geschichte und Design an der Navrachana University in Vadodara, Indien, der das Programm in diesem Jahr geleitet hat. Beim diesjährigen Sommerempfang der Alexander-von-Humboldt-Stiftung im Haus Elisabeth stellte er erste Ergebnisse vor.
Traditionelles Wissen für unsere Industrie nutzen
Der Architekt, der sich schwerpunktmäßig mit Stadtbaugeschichte in Südasien und traditionellen Wissenssystemen beschäftigt, diskutierte mit den Residency-Teilnehmer:innen zunächst über das Verhältnis von Natur und Stadt. „Immer neue Technologien werden unser Konsumverhalten nicht ändern“, sagt Pratyush Shankar. „Wir brauchen auch einen Kulturwandel.“
Dafür lohne sich auch eine Rückbesinnung auf traditionelles Wissen der Menschheit. Wie ist sie früher mit Dürren, Überschwemmungen, Stürmen oder Waldbränden umgegangen, die durch den Klimawandel weltweit zunehmen werden? Welche traditionellen Bauformen haben sich bei Hitze bewährt? Was können wir von Städten wie Leh in der Hochwüste des Himalajas lernen, die zum Schutz vor dem Klima aus Stein und Lehm erbaut wurde?
Während der ersten zwei Wochen in der Abgeschiedenheit auf Schloss Wiepersdorf in Brandenburg lernten sich die Teilnehmer:innen gegenseitig kennen und versuchten, die Arbeit der jeweils anderen zu verstehen. Anschließend verbrachten sie weitere vier Wochen in Berlin. Mit der Zeit kristallisierten sich gemeinsame Themen heraus, an denen sie in den nächsten Monaten in zwei verschiedenen Gruppen weiterarbeiten werden.
„Der Tag, an dem wir trotz unserer unterschiedlichen Fachrichtungen und Herkunftsregionen gemeinsame Themen gefunden haben, war wirklich besonders“, sagt Lucy Ombaka, eine der Teilnehmenden. „Es hat mir gezeigt, dass internationale und interdisziplinäre Zusammenarbeit möglich ist, wenn es um mehr als Eigeninteressen geht.“
Normalerweise lehrt Lucy Ombaka Chemie an der Technical University of Kenya in Nairobi und leitet dort ein Forschungslabor, das sich mit der Herstellung von grünem Wasserstoff beschäftigt. Dieser soll nachhaltig mithilfe von erneuerbaren Ressourcen wie Sonnenlicht produziert werden. Aktuell wird Wasserstoff meist aus fossilen Brennstoffen wie Öl oder Gas hergestellt – ein Nachteil für das Klima.
Auch in der Chemie braucht es ein Umdenken
In ihrer Gruppe wird sich Lucy Ombaka nun tiefer gehend mit den Auswirkungen und Verstrickungen des weltweiten Konsums beschäftigen und Vorschläge zu einem nachhaltigeren Umgang erarbeiten. Zudem war sie Gast bei einer Diskussionsveranstaltung des Climate Change Center Berlin Brandenburg, bei der sie mit anderen Expert:innen auf dem Podium zum Thema „Grüner Wasserstoff“ diskutierte.
„Mir ist noch mal klar geworden, dass ich in meiner Rolle in Kenia einen wichtigen Beitrag dazu leisten kann, den Klimawandel abzuschwächen“, sagt sie. Gerade ihren Studierenden möchte sie vermitteln, an die chemische Forschung mit Umweltbewusstsein heranzugehen.
Die zweite Gruppe der Humboldt-Fellows wird sich noch intensiver mit Fragen der Transformation befassen. Wie kann man beispielsweise sogenannte „Change Maker“, also Vertreter:innen aus Politik, Wissenschaft, Stadtplanung, Journalismus oder Aktivismus, dazu bringen, mehr für Nachhaltigkeit zu werben?
„Wir wollen Menschen, die sich für Veränderungen einsetzen, Zugang zu Informationen liefern, die ihnen dabei helfen, ihre Anliegen überzeugend zu vertreten“, sagt die Umweltpädagogin Evelyn Araripe, die in Brasilien an der Federal University of São Carlos in einer Forschungsgruppe für Nachhaltigkeit und Bildung arbeitet. Seit Jahren ist sie in der Klimabildung von Jugendlichen aktiv, hilft jungen Leuten dabei, sich für ihre eigenen Werte in Sachen Natur- und Klimaschutz einzusetzen.
Aufgabe für den reichen Norden: Klimagerechtigkeit
Im Rahmen des Residency-Programms hat Araripe auch einen Workshop zum Thema „Klimagerechtigkeit“ an einem Berliner Gymnasium geleitet. Anhand eines Spiels und einer Visualisierung auf einer Weltkarte zeigte sie den Schüler:innen: Es sind die reichen Länder, die das meiste CO₂ produzieren, aber die armen Regionen der Welt, die die Auswirkungen davon am meisten zu spüren bekommen.
Sowohl in Brasilien als auch in Deutschland sind sich junge Leute des Klimawandels heute sehr bewusst.
Evelyn Araripe, Umweltpädagogin aus Brasilien
„Sowohl in Brasilien als auch in Deutschland sind sich junge Leute des Klimawandels heute sehr bewusst“, sagt Araripe. „Bei uns sorgen sie sich etwas mehr um die Folgen der Nahrungsproduktion und Abholzung von Wäldern, hier beschäftigen sie sich eher mit Themen wie Fast Fashion, Energieverbrauch und Mobilität.“ Einige der Berliner Schüler:innen seien sehr überrascht gewesen, wie stark Europa tatsächlich zur CO₂-Emission beitrage.
Während der vier Wochen in Berlin besuchten die Humboldt-Gäste aus aller Welt auch Tech-Start-ups, das Außenministerium oder das Futurium. Der Wissenschaftsstandort Berlin mit seinen vielen Universitäten, Thinktanks, aber auch Nichtregierungsorganisationen hat die Bildungsexpertin Araripe beeindruckt. „Die Wissenschaftler:innen hier arbeiten hart daran, ihre Erkenntnisse auch in die Gesellschaft zu bringen“, sagt sie. In ihrem Fazit schwingt aber auch Kritik mit: „Ich denke, Deutschland könnte noch vielfältiger, inklusiver und postkolonialer werden und sich stärker dafür interessieren, was auch aus dem globalen Süden kommt.“
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