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Überleben Tausender Kinder gefährdet: Mediziner bestätigen Hungersnot in Gaza-Stadt
Die humanitäre Lage in Gaza ist katastrophal, auch Kinder sind Leidtragende. Daten zeigen: Jeder Waffenstillstand bringt kurzfristig Erleichterung, jede Blockade Mangel und Lebensgefahr.
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Mehr als 54.600 unter fünf Jahre alte Kinder in Gaza sind akut unterernährt. Darunter sind etwa 12.800 Kinder, die dringend medizinisch versorgt werden müssten, berichten Forschende im renommierten Fachjournal „The Lancet“. Es gibt jedoch kaum Behandlungsmöglichkeiten.
„Diese Studie zeigt, dass die jüngsten Kinder im Gazastreifen während dieses Krieges auf tragische Weise eine unvorstellbare Last an vermeidbarer Unterernährung tragen“, sagt die leitende Autorin Masako Horino von der Hilfsorganisation der Vereinten Nationen für Palästinaflüchtlinge im Nahen Osten (UNRWA).
Hungersnot in Gaza-Stadt
Es sei unvermeidlich, dass sich die Ernährungssituation der Kinder weiter verschlechtere und ihre Sterblichkeit ansteige, sofern der Konflikt nicht dauerhaft beendet werde, erwartet Akihiro Seita, Gesundheitsdirektor der UNRWA und Co-Autor der Studie. Zudem müssten die Versorgung der Kinder mit Nahrung sowie medizinische, wirtschaftliche und soziale Dienstleistungen wiederhergestellt werden. Die globale Kapazität dazu sei vorhanden.
Wie das Team jetzt berichtet, haben UNRWA-Mitarbeiter zwischen Januar 2024 und Mitte August 2025 in Notunterkünften und Zeltlagern im Gazastreifen fast 220.000 Kinder im Alter von sechs bis 59 Monaten untersucht. Sie maßen den Oberarmumfang, der als zuverlässiger Anzeiger des Ernährungszustands gilt.
Anhand der auf 346.000 geschätzten Gesamtzahl von Kindern in dieser Altersgruppe in Gaza schätzen die Autorinnen und Autoren das Auftreten der akuten Unterernährung ein. Die Studie bestätigt, dass in Gaza-Stadt Hungersnot herrschte und die Lage im übrigen Gebiet kritisch war. Sie zeigt zudem, wie sich der Ernährungszustand der Kinder während des Krieges entwickelt hat.
Im Januar 2024 waren etwa fünf Prozent der Kinder stark unterernährt. Bis Juli 2024 stieg ihr Anteil auf fast neun Prozent. Ende 2024 wurden dann Hilfslieferungen stark eingeschränkt. UN-Quellen berichteten, dass täglich nur noch unter 100 Lkw mit Hilfsgütern nach Gaza einfuhren. Vor dem Krieg waren es 300 bis 600 pro Tag. Im Januar 2025 waren 14 Prozent der Kinder stark unterernährt.

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Während eines sechswöchigen Waffenstillstands Anfang 2025 waren mehr Hilfslieferungen möglich und der Anteil der ausgezehrten Kinder sank auf knapp sechs Prozent. Darauf folgte jedoch eine elfwöchige Blockade der Einfuhr von Lebensmitteln, Wasser, Treibstoff, Medikamenten und anderen lebenswichtigen Gütern. Die letzten Messungen bis Mitte August 2025 ergaben, dass fast 16 Prozent der untersuchten Kinder unterernährt waren, vier Prozent schwer.
Das Team weist darauf hin, dass die Daten nur in verfügbaren und funktionierenden Einrichtungen der UNRWA erhoben werden konnten. Oftmals fehlten Identitätsangaben der Kinder und die Situation vor Ort war wegen möglicher militärischer Angriffe gefährlich.
In einem begleitenden Kommentar schreiben drei Mediziner aus Pakistan und USA, die nicht an der Studie beteiligt waren, dass die zeitlichen Daten „stark darauf hindeuten, dass die Einschränkungen der Versorgung mit Lebensmitteln und Hilfsgütern zu schwerer Unterernährung bei Kindern im Gazastreifen geführt haben“. Diese Realität werde „zweifellos Auswirkungen auf ihre zukünftige Gesundheit und Entwicklung über Generationen hinweg haben“. Zu den generationenübergreifenden Folgen von Hungersnöten gehören ein erhöhtes Risiko für nicht übertragbare Krankheiten und eine verringerte Lebenserwartung.
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