
© freepik
Umfrage des Tagesspiegels: Viele Minister wollen Altersgrenze für Nutzung sozialer Netzwerke
Sind Zwölfjährige in der Lage, mit Social-Media-Angeboten umzugehen, oder braucht es Altersgrenzen? Einer Tagesspiegel-Umfrage zufolge erkennt die Politik allmählich die Notwendigkeit einer Regulierung.
Stand:
Besuch an der Grace-Hopper-Gesamtschule in Teltow: Die 14-Jährige Lisa erzählt, dass sie abhängig von sozialen Medien war. Mithilfe ihrer Mutter, einer App und ihrer Schule habe sie das Problem aber in den Griff bekommen, meint sie: „Ich bin jetzt nur noch vier bis fünf Stunden pro Tag auf TikTok.“
Der Besucher wundert sich, Lisas Mitschüler aber nicken verständnisvoll. „Ich hab den Stunden-Zähler meines Handys abgestellt“, sagt der 15-jährige Mustafa. „Damit meine Eltern nicht sehen, wie lange ich auf Social Media bin.“
Gefahr nachhaltiger psychischer Belastungen
Lisa und Mustafa sind vermutlich keine Einzelfälle. Viele Schülerinnen und Schüler äußern Schwierigkeiten im Umgang mit Social Media. Eine repräsentative Umfrage im Auftrag der Plattform nebenan.de zeigt, dass sich vier von zehn Jugendlichen durch die Nutzung von sozialen Netzwerken psychisch belastet fühlen.
Wir müssen Jugendliche vor solchen Inhalten schützen – insbesondere wenn die Social-Media-Plattformen selbst dazu nicht willens sind.
Christian Tischner, Bildungsminister in Thüringen (CDU)
Der Problemdruck ist so groß geworden, dass sich nun auch die Schulminister der Länder mit dem Thema befassen wollen. Antreiber ist Hessens Schulminister Armin Schwarz (CDU). Er sieht die Gefahr von Abhängigkeit und nachhaltigen psychischen Belastungen für Kinder und Jugendliche. „Diese Wirklichkeit muss von der Politik ernst genommen werden“, sagte er auf Anfrage.
Eine Umfrage des Tagesspiegels unter Schulministern zeigt nun: Die Zahl der Befürworter robuster Regeln für die Nutzung von sozialen Netzwerken ist deutlich gewachsen. Der unausgesprochene Konsens, Altersgrenzen für soziale Medien oder gar Handyverbote völlig auszuschließen, scheint zu wackeln.
„Kinderseelen schützen“
Thüringens neuer Bildungsminister, Christian Tischner (CDU), betont, früher seien auch Videotheken mit Gewaltvideos und Pornografie für Jugendliche nicht frei zugänglich gewesen. „Wir müssen Jugendliche vor solchen Inhalten schützen – insbesondere wenn die Social-Media-Plattformen selbst dazu nicht willens sind“, sagte Tischner dem Tagesspiegel.
Wir ertrinken in einem Meer von Fake News.
Victoria Doronceanu, Schülersprecherin der Grace-Hopper-Gesamtschule, Teltow
Die Schulministerin des bevölkerungsreichsten Bundeslandes Nordrhein-Westfalen, Dorothee Feller (CDU), fordert von der Bildungsministerkonferenz gar nachzudenken, „wie Kinderseelen in der digitalen Welt geschützt werden können.“ Und ihre Parteifreundin Karin Prien sagte dem Tagesspiegel, „wo soziale Medien süchtig machen und Schaden anrichten, muss der Staat seinem Schutzauftrag gerecht werden.“ Das Wort Priens, der Kultusministerin Schleswig-Holsteins, hat Gewicht – sie koordiniert die CDU-Minister.
Aber der Wind dreht auch bei den Grünen. Sie behalte sich „ausdrücklich eine stärkere Regelung im Schulgesetz zu Verboten vor“, kommentierte Bildungsministerin Theresa Schopper (Bündnis 90/Die Grünen) auf Anfrage. Auch Schoppers grüne Kollegin aus Niedersachsen, Julia Willie Hamburg, hält eine Altersgrenze von mindestens 14 Jahren für die Nutzung von Social Media für richtig. Bislang war von Verboten oder Altersgrenzen für digitale Medien bei den Grünen keine Rede.
Recht auf digitale Teilhabe
In Deutschland galt die Beschränkung des Zugangs für Kinder und Jugendliche zu sozialen Medien lange als Tabu. Als Australiens Parlament jüngst beschloss, die Plattformen TikTok und Instagram erst ab 16 zu erlauben, meldete sich etwa Deutschlands oberster Kinder- und Jugendmedienschützer zu Wort. Sebastian Gutknecht erklärte sinngemäß, dass Verbote hierzulande quasi verboten seien. Kinder hätten laut UN-Kinderrechtskonvention ein Recht auf digitale Teilhabe. „Dazu gehören heute auch soziale Medien.“
Wir sind klar gegen ein solches Verbot.
Friederike von Gross, Geschäftsführerin der Gesellschaft für Medienpädagogik
Beim Thema Kinder und Internet wird gern der Dreiklang Schutz, Befähigung und Teilhabe beschworen. Vor Grausamkeiten und Suchtgefahren im Netz schütze man Kinder nicht mit Verboten, sondern durch Medienbildung. So argumentiert etwa Friederike von Gross, Geschäftsführerin der Gesellschaft für Medienpädagogik. „Wir sind klar gegen ein solches Verbot“, sagt sie. Stattdessen gehe es „um eine umfassende Strategie, die mit einem Bündel aus präventiven Maßnahmen und pädagogischen Angeboten Gefahren minimiert.“
Wie dieses Bündel aussehen soll, weiß die Gesellschaft für Medienpädagogik jedoch nicht. Dazu sei die Lage zu unübersichtlich und ihr Verband zu klein, teilt die Geschäftsführerin mit. Das heißt: Die Fachgesellschaft, die Verbote kategorisch ablehnt, hat anscheinend keinen Überblick über die digitale Medienbildung in den Schulen.
Gebot statt Verbot
Auch der Leiter der Grace-Hopper-Schule, Alexander Otto, meint, „dass wir im Umgang mit Schülern noch nie etwas erreicht haben, wenn wir Verbote verhängt haben.“ In seinem Rektorat fallen zwei riesengroße Bildschirme auf. Jedem seiner 650 Schüler stellt er ein Tablet zur Verfügung. Trotzdem macht er sich Sorgen.
„Wir sehen, dass es problematisch ist, wenn Schülerinnen und Schüler immer wieder zu ihrem Telefon greifen, um Social Media intensiv zu nutzen – intensiver, als sie es tun sollten“, sagt Otto. Deswegen hat der Schulleiter an seiner Schule für Handys ein „Gebot“ eingeführt, wie er es nennt: Handys müssen ausgeschaltet im Schulranzen verbleiben. Vor zwei Jahren ließ Otto das Gebot in die Verfassung seiner Schule schreiben – unterstützt von Eltern und Schülern.
Was intensive Nutzung wirklich bedeutet, lässt sich gut in einer achten Klasse der Hopper-Schule beobachten. Eine Lehrerin befragt ihre Schüler zu Smartphone-Nutzung. Dabei geht es nicht um Meinungen, sondern um gemessene Nutzungszeiten, die in den Einstellungen des Handys gespeichert sind. Es kommen schwer vorstellbare Zahlen heraus. Ein Drittel der Klasse hing acht bis zwölf Stunden am Handy – an einem einzigen Tag. Einige Schüler sogar mehr als zwölf Stunden.
„Eine Katastrophe“
Jahrelang nahm man das im Schulwesen mehr oder weniger hin. Die Ankündigung des größten Social Media-Anbieter Meta, die Faktenprüfung auf seinen Plattformen Facebook und Instagram abzuschaffen, ändert das aber nun offenbar:
„Es ist eine Katastrophe“, sagt Geschäftsführerin Friederike von Gross.
„Wir ertrinken in einem Meer von Fake News“, befürchtet die Schülersprecherin der Hopper-Schule Victoria Doronceanu.
Rektor Alexander Otto fürchtet, „in einen Status zu verfallen, den man fast schon Anarchie nennen kann.“
Während die Schulminister sich im März erst mit Fachleuten beraten wollen, sind sich Lisa, Mustafa und viele Schüler der Grace-Hopper-Gesamtschule ziemlich einig. Sie würden TikTok, Instagram und Snapchat erst ab 15 oder 16 freigeben. Nur ein seltenes Beispiel später Einsicht und Selbsterkenntnis? Offenbar nicht: Der genannten Umfrage zufolge würden 43 Prozent der Jugendlichen und jungen Erwachsenen die Altersgrenze für TikTok auf 16 Jahre setzen.
- showPaywall:
- false
- isSubscriber:
- false
- isPaid:
- false