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Ein Jogger nutzt die Leere am Kolosseum in Rom. Italien ist wieder im Lockdown.

© Yara Nardi/Reuters

Sorge wegen neuer Corona-Variante: Virologin fordert europaweiten Lockdown

Wie mit der neuen Virusvariante fertigwerden? Die Schweizer Virologin Eckerle rät: Europa soll sich an dem Land orientieren, in dem die Lage am schlechtesten ist.

Während in Deutschland und vielen anderen Ländern Europas am heutigen Sonntag die Impfungen gegen Corona begonnen haben, wächst die Sorge wegen der anhaltend hohen Infektionszahlen und möglicher Folgen der in England zuerst bestätigten und inzwischen in etlichen anderen Ländern aufgetauchten Virusvariante. Die Schweizer Virologin Isabella Eckerle (40) fordert daher scharfe Konsequenzen.

Die in Deutschland geborene Eckerle zählt in der Schweiz zu den wichtigsten Stimmen in der Pandemie. Die Virologin sagte der „Neue Zürcher Zeitung (NZZ) am Sonntag“ nun: „Wenn die einen lockern, während die anderen verschärfen, gefährdet das den Erfolg des Lockdowns in einem anderen Land.“

„Letztlich läuft das auf einen europaweiten Lockdown hinaus“

Die Genfer Virologin sagte weiter: „In einem Europa mit offenen Grenzen funktioniert die Pandemiebekämpfung nur so gut, wie es das Land hinbekommt, das es am schlechtesten macht.“ Es brauche deshalb rasch eine gemeinsame Strategie zur Senkung der Fallzahlen. „Letztlich läuft das auf einen europaweiten Lockdown hinaus.“

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Das Coronavirus respektiere keine Landesgrenzen, so Eckerle. „Wollen wir gut durch die nächsten Monate kommen, müssen jetzt alle Länder an einem Strang ziehen“, sagte die Leiterin der Abteilung Infektionskrankheiten an den Universitätskliniken in Genf. Im Prinzip müssten alle Länder ähnliche Maßnahmen ergreifen, um das Virus einzudämmen.

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Auch mit Blick auf die neue Variante hatte Eckerle an Heiligabend getwittert: „Ich weiß, dass dies wahrscheinlich mein unbeliebtester Tweet 2020 sein wird: Aber anhand dieser Daten sollte sich die geografische Region Europa (nicht nur die EU) auf einen koordinierten, vollständigen Lockdown vorbereiten.“

Neue Virusvariante offenbar deutlich ansteckender

Dazu postete sie eine Modellrechnung von Experten des Centre for the Mathematical Modelling of Infectious Diseases (CMMID) an der London School of Hygiene & Tropical Medicine, nach der die neue Virusvariante ungefähr 56 Prozent ansteckender ist als frühere Formen. „Die meisten Länder haben bereits die Grenze des Gesundheitssystems, der Intensivstation, der Labortests, der Rückverfolgung von Infektionen erreicht“, so Eckerle. „Eine übertragbarere Variante wird im Januar und Februar zu einer Tragödie führen.“

Die Schweizer Virologin Isabella Eckerle (40).
Die Schweizer Virologin Isabella Eckerle (40).

© Anthony Anex/Keystone/dpa

Dem Schweizer „Sonntagsblick“ sagte Eckerle mit Blick auf die auch in der Schweiz nachgewiesene britische Virusvariante: „Erste Daten sprechen dafür, dass diese Variante viel ansteckender ist.“ Erstaunlich sei, dass sie im Südosten Englands zuerst auftrat, wo die Regeln locker und die Fallzahlen sehr hoch gewesen seien. „Da würde man eine größere Durchmischung von verschiedenen Varianten erwarten – und nicht, dass eine Variante alle anderen zurückdrängt.“ Dies bereite ihr Sorgen, sagte Eckerle.

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„Wir wissen allerdings noch nicht, inwiefern dies an der Eigenschaft des Virus liegt oder noch durch andere Faktoren, wie zum Beispiel geringe Maßnahmen in der Region, verstärkt worden ist.“

Eckerle: Durch mehr Infektionen mehr Todesfälle

Auf die Frage, ob es durch die Mutation mehr oder weniger schwere Verläufe gebe, sagte Eckerle: „Vorläufige Analysen zeigen keinen Unterschied. Aber wenn die Mutation tatsächlich ansteckender ist, macht das die Eindämmung des Virus noch schwieriger – und kann so auch zu mehr Todesfällen führen.“

Wegen des Coronavirus gilt in Großbritannien die höchste Warnstufe.
Wegen des Coronavirus gilt in Großbritannien die höchste Warnstufe.

© Daniel Leal-Olivas/AFP

Eckerle ist auch Unterzeichnerin eines zuerst in der medizinischen Fachzeitschrift „The Lancet“ publizierten Aufrufs europäischer Wissenschaftler. Diese hatten geschrieben: „Um einen Pingpong-Effekt von importierten und reimportierten Corona-Infektionen zu vermeiden, sollten die Bemühungen um niedrige Fallzahlen in allen europäischen Ländern synchronisiert sein und so schnell wie möglich beginnen.“ Weiter heißt es: „Wir fordern daher eine starke, koordinierte europäische Antwort und klar definierte Ziele für die mittlere und lange Zukunft.“

„Eine einmalige Sache, unser letzter Lockdown“

Der Aufruf ist auch auf der Seite www.containcovid-pan.eu zu finden, wo sich auch eine Liste der inzwischen mehr als 850 Unterzeichner befindet. Dazu zählen auch der Chef-Virologe der Berliner Charité, Christian Drosten, die Frankfurter Virologin Sandra Ciesek und der Präsident des Robert Koch-Instituts, Lothar Wieler.

Die Wissenschaftler fordern in ihrem Aufruf, es müsse erreicht werden, dass es maximal zehn Neuinfektionen pro eine Million Einwohner am Tag gebe. Mit raschen, harten Auflagen sei dies spätestens im Frühjahr machbar. „Das sollte eine einmalige Sache sein, unser letzter Lockdown“, so die polnische Mitautorin des Beitrags in „The Lancet“, Ewa Szczurek.

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An Heiligabend meldeten Behörden aus Baden-Württemberg den ersten Fall der neuen Coronavirus-Variante in Deutschland. Eine Frau, die von London-Heathrow nach Frankfurt am Main geflogen war, um Angehörige zu besuchen, trug unbemerkt die neue Viruslinie B.1.1.7 in sich. Wegen der neuen Mutation haben inzwischen mehr als 50 Länder Reisebeschränkungen verfügt.

In diesen europäischen Lander ist die Virusvariante schon nachgewiesen:

  • Großbritannien
  • Deutschland
  • Schweiz
  • Schweden
  • Dänemark
  • Frankreich
  • Italien
  • Spanien
  • Niederlande

Der Chef der Mainzer Firma Biontech, Ugur Sahin, die gemeinsam mit dem US-Konzern Pfizer den ersten in Deutschland und Europa verabreichten Impfstoff entwickelte, zeigte sich nach Bekanntwerden der neuen Virusvariante optimistisch. Der Impfstoff werde vermutlich auch gegen die neue Viruslinie B.1.1.7 wirken. Er halte dies für „außerordentlich wahrscheinlich“, sagte er vergangenen Dienstag. Biontech werde die Wirksamkeit des Vakzins bei der Mutation nun wissenschaftlich untersuchen und in zwei Wochen Ergebnisse vorlegen.

Biontech: Impfstoff kann notfalls schnell „umgearbeitet“ werden

Zudem könne der bestehende Impfstoff falls erforderlich binnen sechs Wochen „umgearbeitet“ und speziell auf die Mutation zugeschnitten werden. Dies wäre „technisch innerhalb kürzester Zeit“ möglich, allerdings müsste ein neuer Impfstoff noch einmal ein Zulassungsverfahren durchlaufen.

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Der SPD-Gesundheitsexperte Karl Lauterbach warnte am Samstag davor, dass die aktuell hohe Zahl an Neuinfektionen dazu führen könnte, dass weitere Mutationen entstünden, „gegen die unsere jetzigen Impfungen nicht mehr wirken“, schrieb er auf Twitter.

[Alle aktuellen Entwicklungen in Folge der Coronavirus-Pandemie finden Sie hier in unserem Newsblog. Über die Entwicklungen speziell in Berlin halten wir Sie an dieser Stelle auf dem Laufenden.]

Zudem stellt sich die Frage, wie groß die sogenannte Herdenimmunität gegen das Coronavirus sein muss, damit an ein normales Leben wie vor der Pandemie zu denken ist. Der führende US-Forscher Anthony Fauci hat seine Prognose nun nach oben korrigiert. Statt von 60 bis 70 Prozent geht er nun von 70 bis 90 Prozent aus. Der „New York Times“ (NYT) zufolge korrigierte er sich nun, da es neue wissenschaftliche Erkenntnisse gebe und er denke, dass die Bevölkerung nun bereit für die Wahrheit sei.

Lauterbach griff den NYT-Bericht in einem weiteren Tweet auf. Er glaubt demnach, dass die Zunahme der Ansteckungsgefahr aufgrund der Mutationen das Erreichen der Herdenimmunität schwerer machen wird. Er geht davon aus, dass bis Ende März durch Impfungen und überstandene Infektionen etwa zehn Prozent der Menschen in Deutschland immun sein werden.

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