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Weniger Erstis in den Geisteswissenschaften: Die Disziplin bleibt aus vielen Gründen wichtig!
Fast ein Viertel weniger Studienanfänger: Geisteswissenschaften liegen nicht im Trend. Das passt zu einer Politik, die Rüstung mehr pusht als Bildung. Dabei braucht es gerade in diesen Zeiten Dichter und Denker.

Stand:
Laut Statistischem Bundesamt entscheiden sich immer weniger Studierende für ein Studium der Geisteswissenschaften. Während die Gesamtzahl der Erstimmatrikulierten in den letzten 20 Jahren um 28 Prozent zunahm, sank die Zahl der Erstsemester in den Geisteswissenschaften um satte 22 Prozent.
Nach meiner eigenen gefühlten Statistik aus den vergangenen 20 Jahren ist das wenig überraschend. Obwohl selbst die Arbeitsagentur eine „studienfachpezifische Arbeitslosenquote“ von lediglich drei bis vier Prozent für Absolventen in Literatur- und Geschichtswissenschaften feststellt, wurde gefühlt 98 Prozent aller Schüler eingebimst, dass ihnen als Geisteswissenschaftler*innen nichts anderes blühe, als buntbehaart und daueralimentiert auf einem Pappkarton im Tiergarten zu stehen und arglosen Passanten wirres pseudophilosophisches Zeug zuzubrüllen.
Die Abkehr von den seit Jahren grundlos gemobbten „brotlosen Künsten“ dürfte bei besorgten Eltern dem Trend nach für Erleichterung sorgen. Schließlich werden heute, nach der Zeitenwende keine Denker, sondern Rentenbeiträge gesucht. Man will Wehrpflicht statt „Wokeism“, schlichte Wahrheiten statt komplexer Zusammenhänge.
Doch es gibt viele Gründe, warum uns die Verwandlung der Dichter und Denker hin zu Drückern und Schiebern nicht euphorisch stimmen sollte. Gerade als Reaktion auf die Rolle der Technikwissenschaften im Nationalsozialismus wurden die Geisteswissenschaften bewusst als Garant für eine demokratische Gesellschaft in Lehre und Forschung der TU Berlin integriert.
Und mit Blick auf eine unsichere Zukunft in einer immer komplexeren Welt betont aktuell auch die „Europäische Gesellschaft für Ingenieur-Ausbildung (SEFI)“ nachdrücklich, wie wichtig Kompetenzen für ethische Entscheidungen, nachhaltiges Handeln und soziale Verantwortung seien.
Die Sehnsucht nach einem autoritären Staat wächst, Militärforschung drängt ganz selbstverständlich in die Hochschulen und geisteswissenschaftliche Fakultäten sollen wie verzichtbarer Ballast eingespart werden. In der aktuellen Stimmung von Sondervermögen und „geopolitischer Lage“ ruft das kaum mehr als ein müdes Schulterzucken hervor. Dabei ist es wohl der denkbar schlechteste Moment, um den Herausforderungen der Zukunft geistlos entgegenzutorkeln.
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