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Kai-Uwe Steck.

© Fotos: Tagesspiegel/Lydia Hesse; Getty/Kolton/ Collage: Tagesspiegel/Seuffert

Cum-Ex-Steuerbetrüger im Interview: „Sie müssen es ja nicht glauben, doch so war es“

Kai-Uwe Steck war eine zentrale Figur hinter dem Milliardenverbrechen. Dann wurde er zum Kronzeugen. Doch hat er immer die Wahrheit gesagt? Und wo ist das Geld, das er dem Staat zurückzahlen wollte?

Stand:

Herr Steck, was bedeutet Ihnen Geld?
Als junger Bursche hat Geld mich getrieben. Mein Vater hatte da eine große Wirkung auf mich. Ich habe von ihm gelernt, dass man mit Geld Menschen steuern kann und dass Geld andererseits Freiheit bedeutet. Ich wurde süchtig danach. Irgendwann habe ich so viel verdient, dass ich es kaum noch ausgeben konnte. Und Geld hat auch dafür gesorgt, dass ich grandios abgestürzt bin.

Sie waren neben dem Steueranwalt Hanno Berger der wichtigste Mann hinter dem milliardenschweren Cum-Ex-Steuerbetrug, bevor Sie zum Kronzeugen für die Justiz wurden. Was ist das für ein Gefühl, wenn sich die Millionen auf dem eigenen Konto anhäufen?
Zunächst ist es ein unwirkliches Gefühl. Der junge Kai-Uwe Steck musste sehen, wie er über die Runden kommt. Immerhin hat mich mein Vater im Studium mit 1000 D-Mark im Monat unterstützt, aber nur bis zum Examen. Ich hatte Glück, dass ich meine Promotion durch zwei Jobs finanzieren konnte, die mir mein Professor vermittelt hatte.

Dann kam mein Einstiegsgehalt als Anwalt: 140.000 D-Mark. Vier Jahre später waren es schon 500.000 Dollar, plus Bonus. Als Hanno Berger in mein Leben trat, kam ein weiterer Sprung. Bei einer Transaktion, noch vor Cum-Ex, habe ich auf einen Schlag zwei Millionen Euro verdient. Ich bin über den Boden geschwebt. Später, während der Cum-Ex-Deals, floss sehr viel Geld – auch in meine Kasse. Da ging es dann nur noch um den Thrill.

Kürzlich haben Sie ein Buch über Ihr Leben geschrieben. Demnach wuchsen Sie im Wohlstand auf. Ihren Vater, einen Heizungsverkäufer, beschreiben Sie als streng und gierig. Er habe seinen Kunden Geräte aufgeschwatzt. Welchen Einfluss hatte er auf Sie?
Es stimmt: Verglichen mit den anderen Menschen meiner ostfriesischen Heimat hat mein Vater sehr gut verdient. Meine Mutter ging damals im weißen Pelz in den Supermarkt. Mein Vater war vor lauter Arbeit eigentlich nie da. Später verfiel er dem Alkohol. Wenn er getrunken hatte, schrie er rum, schmiss uns nachts aus dem Haus. Das versuchte er dann durch neue Turnschuhe wiedergutzumachen. Die Ehe und meine Welt zerbrachen.

Sie verließen Ihre Heimat, schlossen Ihr Jurastudium mit Prädikatsexamen ab, wurden mit 33 Juniorpartner in einer internationalen Großkanzlei. Ein Fünftel der Arbeitszeit sei auf Intrigen draufgegangen, schreiben Sie. Fühlten Sie sich da wohl?
Darum ging es mir nicht. Ich wollte Erfolg. Für diese Karriere habe ich hart gearbeitet. Als Jugendlicher musste ich mal eine Klasse wiederholen, hatte von den Lehrern eine Hauptschulempfehlung. Dann habe ich mich reingekniet und gelernt. Mein guter Abschluss war mein Zutrittsticket zur Welt der Wirtschaftskanzleien.

Und ich begriff schnell: Macht zeigte sich dort an der Größe des Büros. Der Top-Shot hatte das Eckbüro, die Anfänger bekamen kleine Kabinen. Jeder, der neu anfing, wollte sich in Szene setzen.

In unserer Denkart war der Staat der Feind.

Kai-Uwe Steck

Und wie?
Der Kollege neben mir ließ das Licht an seinem Platz brennen, obwohl er längst gegangen war. Die anderen sollten denken, er arbeite bis in die Morgenstunden. Und er war nicht der Einzige. Die Intrigen waren aber nicht meins. Ich habe schnell gemerkt, dass heraussticht, wer eigene Mandanten gewinnt und so dem Chef Umsatz bringt. Dieses Talent habe ich von meinem Vater, der ja in einem völlig anderen Metier seinen Umsatz machen musste – indem er seine Heizungen verkaufte. Ich habe meine Jura-Kenntnisse verkauft und ein Stück weit auch mich.

Kurz zuvor hatten Sie Hanno Berger kennengelernt, der Ihr engster Geschäftspartner wurde und mit dem Sie sich später die Cum-Ex-Beute teilten. Was war Ihr erster Eindruck von ihm?
Berger war ein Menschenfänger. 20 Jahre älter als ich, eine Führungsfigur, 1,95 Meter groß, mit einem leichten Wohlstandsbauch, und nicht nur intellektuell, sondern auch rhetorisch überlegen. Ich habe zu ihm aufgesehen. Schnell merkte er, dass ich etwas mitbrachte, was ihm als Steuerexperten in seinem Team fehlte: Wissen im Kapitalanlagerecht.

2006 begannen Sie gemeinsam mit Berger mit den Cum-Ex-Deals. Dabei wurden, vereinfacht gesagt, zweimal Kapitalertragssteuern erstattet, die nur einmal gezahlt worden waren. Wann erfuhren Sie von der Masche?
2005 hat Berger ein Gutachten über Cum-Ex auf den Tisch bekommen von der Kanzlei Freshfields für eine australische Investmentbank. Berger sollte ein Zweitgutachten verfassen. Damals hatten schon eine Reihe von Banken untereinander dieses Geschäft betrieben, mindestens seit 1999. Diese Cum-Ex-Betreiber sind dafür nie belangt worden. Wir sind 2006 eingestiegen, denn wir konnten den Banken etwas bieten: unsere Privatkunden, die eine Menge Geld anzulegen hatten. Wichtig ist dabei allerdings noch eine Sache zu erklären.

Und doch hatten wir damals nie das Gefühl, etwas Illegales zu machen. Die Finanzverwaltung legte die Gesetze fiskalisch aus und wir im Sinne unserer Mandanten. Das war unser täglich Brot.

Kai-Uwe Steck

Welche?
Die Steuer wurde nicht derselben Person erstattet, sondern zwei verschiedenen: dem Inhaber einer Aktie und dem sogenannten Leerkäufer, der diese Aktie für kurze Zeit besitzt. Beide kennen sich nicht, wissen nicht mal voneinander. Wir haben nur eine Seite beraten, kümmerten uns nicht darum, dass es jemand Zweiten gab, der sich die Steuer ebenso erstatten lassen konnte.

Sie haben sich den Gewinn doch mit diesem zweiten Akteur geteilt, nur so war das Geschäft überhaupt profitabel.
Ja, und doch hatten wir damals nie das Gefühl, etwas Illegales zu machen. Die Finanzverwaltung legte die Gesetze fiskalisch aus und wir im Sinne unserer Mandanten. Das war unser täglich Brot.

Ich weiß inzwischen, dass Cum-Ex in der Form, wie es ab 2007 betrieben wurde, strafrechtlich relevant war. Da habe ich eine rote Linie überschritten.

Kai-Uwe Steck

Aber alle am Handel Beteiligten wussten, dass der Gewinn aus Steuergeldern kommt?
Niemand hat einen Hehl daraus gemacht. Darüber wurde in der Finanzindustrie sehr offen gesprochen. Wir reden hier von Tausenden Menschen weltweit. 2007 machte dann ein Gesetz den Leerverkauf von Aktien über inländische Banken unmöglich. Dann nutzten die Banken ihre Filialen in England, den USA oder Australien für den Leerverkauf.

Doch erst 2009, mit einem Schreiben des Finanzministeriums, wurde klar, dass der Staat wirklich dagegen war. Da formulierten wir vorsichtiger. Wir sprachen verbrämt von Preis-Ineffizienzen, aus denen die Arbitragegewinne stammen würden.

Wenn Sie lange Zeit in Kreisen arbeiten, in denen es vor allem um Geldvermehrung geht, dann sind Sie in der Regel moralbefreit.

Kai-Uwe Steck

Steuerrechtler wie Christoph Spengel sagen, das Geschäft sei die ganze Zeit illegal gewesen. Später nannte das Finanzgericht Köln es „denklogisch unmöglich“, dass es zwei gleichzeitige Besitzer derselben Aktie geben könne, die sich beide dafür Steuern erstatten lassen. Das muss Ihnen doch schon damals klar gewesen sein.
Hinterher ist man immer schlau. Berger ist heute noch der Meinung, dass alles rechtlich sauber war. Ich weiß inzwischen, dass Cum-Ex in der Form, wie es ab 2007 betrieben wurde …

… nämlich über ausländische Banken …
… strafrechtlich relevant war. Da habe ich eine rote Linie überschritten. Damals dachten wir nicht an die Staatsanwaltschaft. Ich wollte Bergers Argumenten glauben.

Spielte Moral bei den Geschäften eine Rolle?
Wenn Sie lange Zeit in Kreisen arbeiten, in denen es vor allem um Geldvermehrung geht, dann sind Sie in der Regel moralbefreit. In unserer Denkart war der Staat der Feind. Wir wollten schlauer sein als die Beamtinnen und Beamten.

Sie haben noch bis 2011 weitergemacht mit Cum-Ex.
Stimmt, obwohl ich damals gewusst habe, das ist nicht okay. Aber Sie werden verführt durch Millionenzuflüsse, haben nur zu tun mit Leuten, die das alle wollen. Die einzige kritische Stimme kommt abends beim Zähneputzen hoch.

Und dann?
Habe ich immer noch die Bedenken weggewischt. Das wurde schwerer, denn auch ich wollte damals mit diesen Geschäften aufhören. Unseren Mandanten habe ich 2010 sogar eine E-Mail geschrieben mit dem Betreff: Game over. Aber wir haben trotzdem noch einen Versuch 2011 gestartet. Denn Berger hat mich zu dieser Zeit fast flehentlich an mein Versprechen erinnert, das ich ihm zu seinem 60. Geburtstag gegeben hatte: ihm treu zu bleiben.

Von einem Kronzeugen verlangt jeder, dass er ein Heiliger ist und über Wasser gehen muss.

Kai-Uwe Steck

Sie waren ein ehrgeiziger, vom Geld getriebener Anwalt, den sein Gewissen nicht kümmerte. Und da soll es Ihr Geschäftspartner geschafft haben, Sie so einfach zu überzeugen?
Sie müssen es ja nicht glauben, doch so war es. Er kannte mich gut. Vielleicht wusste er, dass ich damals nicht widerstehen konnte. Gekriegt hat er mich über diese Rede, die ich zu seinem 60. gehalten hatte. Zusätzlich hat er einen ganz besonderen Knopf bei mir gedrückt: mein Vaterproblem. Denn Berger war für mich so etwas wie eine Vaterfigur. Ich blickte zu ihm auf. Enttäuschen wollte ich ihn trotz meiner wachsenden Bedenken nicht.

2012 durchsuchte die Staatsanwaltschaft Ihre Kanzlei. Sie versuchten, Ihr Geschäftsmodell zu verteidigen. Im Buch schreiben Sie von den „alten Tricks, Einschüchterung um jeden Preis. Ich kannte sie alle, denn ich hatte sie selbst angewandt.“ Wen Sie jedoch womit eingeschüchtert haben, bleiben Sie schuldig.
Wir haben keine Rockerbande beauftragt. Stattdessen hat Berger einer Finanzbeamtin im Bundeszentralamt für Steuern eine Zivilklage geschickt, an ihre private Adresse und die ihres Vorgesetzten. Sie hatte 2011 die Steuererstattung an uns gestoppt. Berger war wütend, denn damit war der Profit für unsere Anleger weg.

Dafür sollte die Empfängerin persönlich mit einem dreistelligen Millionenbetrag aufkommen. Sie musste jahrelang mit dieser existenzvernichtenden Angst leben. Und hat dennoch ihren Kampf gegen die unlauteren Cum-Ex-Methoden aufrechterhalten. Am Ende wurde diese Klage abgewiesen, weil sie unbegründet war.

Kai-Uwe Steck sagt, er habe in Hanno Berger „so etwas wie eine Vaterfigur“ gesehen.

© dpa/Arne Dedert

Aber jetzt geht es wieder um Berger. Was haben Sie denn getan?
Noch mal: Ich habe daran mitgearbeitet. Dafür schäme ich mich heute. Das war schäbig. Ich habe mich bei der Finanzbeamtin, die die Cum-Ex-Ermittlungen mit ihrer Furchtlosigkeit und mit ihrer Hartnäckigkeit ins Rollen brachte, später vor Gericht entschuldigt.

2016 begannen Sie, mit den Behörden zu kooperieren und als Kronzeuge in Vernehmungen und Gerichtsprozessen gegen andere Cum-Ex-Täter auszusagen. Überwog die Reue oder war das Strategie? Sie benutzen dieses Wort selbst in Ihrem Buch.
Es war anfangs Angst. Vorher habe ich mir ständig erzählt, ich hätte nichts falsch gemacht, Steuern sind ja nicht mein Fachgebiet – obwohl ich ja die Fonds aufgesetzt habe, die meisten Verträge gemacht, die Verhandlungen mit den Bankern geführt habe. 2014 durchsuchte die Staatsanwaltschaft meine Wohnung. Wichtig für meinen Sinneswandel war einige Zeit danach eine Mitarbeiterin meiner damaligen Kanzlei, die sehr offen mit mir sprach.

Die vorige Kanzlei unter Berger war aufgelöst worden, Sie beide lebten in der Schweiz, um vor einer Verhaftung sicher zu sein.
Diese Mitarbeiterin sagte mir: „Herr Steck, vielleicht müssen Sie da raus.“ Damit meinte sie meine Abwehrhaltung gegenüber den Ermittlungsbehörden. „Denken Sie doch mal um.“ Das hat in mir etwas ausgelöst.

Ich hatte dann ein letztes Treffen mit Berger und seinem Team am Zürcher Flughafen, zusammen mit einem meiner Verteidiger. Noch da beharrte er darauf, dass wir nichts falsch gemacht hätten. Ich sagte ihm: „Na, wenn das so ist, dann komm doch mit nach Deutschland und wir erzählen das der Staatsanwältin.“ Da brach bei ihm was zusammen. Unter seinen Armen sah ich riesige Schweißflecken. Er wusste, dass seine Argumente wertlos sind. Er war eine Ikone für mich gewesen, und in dem Moment fiel dieses Bild in sich zusammen.

Sie schildern, wie Sie für die Verhöre bei der Kölner Oberstaatsanwältin Anne Brorhilker bewusst einen No-Name-Anzug angezogen hätten, um bescheiden zu wirken. War Ihr Auftritt kalkuliert?
Das habe ich schon oft über mich gelesen: Herr Steck ist jemand, der sich auf andere Menschen einstellen kann. Da muss man aufpassen. Ja, entschuldigen Sie mal! Ist doch klar, dass ich nicht mit einer Hermès-Krawatte in die Vernehmung gehe. Mit meinen Hermès-Krawatten konnte ich damals die Wand tapezieren. Aber beim Landeskriminalamt wären die natürlich sofort „pissed-off“ gewesen. Und ich hätte es und habe es verstanden.

Aber ich habe keine Show einstudiert. Ich war zwei Jahre lang immer wieder in diesem Vernehmungsraum und habe alles offengelegt, was ich wusste, und mich und andere dabei schwer belastet. Ich habe dort die Chance zur Läuterung bekommen.

Sie sagten 2018 in einem Interview, Sie hätten 50 Millionen Euro mit Cum-Ex verdient und die „alle wieder abliefern“ müssen. Allerdings haben Sie bis heute nur elf Millionen zurückgezahlt. Haben Sie damals die Wahrheit gesagt?
Ich kenne den Wortlaut des Interviews nicht mehr genau. Jedenfalls war das offenkundig der Versuch, zu sagen, dass ich davon ausgehe, es wieder abliefern zu müssen. Das Problem ist allerdings auch, dass ich das Geld nicht mehr in der Gänze hatte. Allein für meine Anwälte habe ich über die Jahre einen zweistelligen Millionenbetrag ausgegeben. Ein bisschen was habe ich verlebt. Den Großteil habe ich falsch investiert und in zwei Unternehmen versenkt.

Falsch investiert? Kai-Uwe Steck sagt, sein Cum-Ex-Geld sei weg.

© Tagesspiegel/Lydia Hesse

2022 sagten Sie vor Gericht noch, Sie hätten „über 50 Millionen Euro auf ein Treuhandkonto überwiesen, mich unwiderruflich dieses Vermögens entäußert“, um es den Behörden zu geben. Was denn nun?
Ich habe das unglücklich formuliert, heute würde ich das anders sagen. Von einem Kronzeugen verlangt jeder, dass er ein Heiliger ist und über Wasser gehen muss. Bis er an diesem Punkt ist, hat er einige Untiefen durchwatet. Sonst wäre er kein Kronzeuge. Aber ich habe das in meinem Verfahren offenlegen müssen und das war peinlich genug. Glauben Sie mir, wenn ich gekonnt hätte, dann hätte ich die zweieinhalb Millionen, die damals bereits fällig waren, auch gezahlt. Wahrscheinlich wäre meine Bewährungsstrafe dann sogar noch geringer ausgefallen.

Es gibt einige frühere Kollegen, die jetzt immer noch unbehelligt in Dubai oder wo auch immer unter Palmen sitzen, auf ihren Steuermillionen. Die lachen mich doch aus!

Kai-Uwe Steck

Wieso haben Sie das Geld überhaupt in Start-ups gesteckt, wenn Sie es dem Staat geben wollten?
Das Geld hatte ich vorher schon darin investiert.

Wann?
Das erste Investment muss schon 2018 erfolgt sein, in eine Cyber-Sicherheitsfirma. Das andere war ein Getränkeunternehmen. Das waren jetzt keine crazy Start-ups, sondern das war wirklich handfest. Die hatten auch diesen Wert. Ich hatte das auf einem Treuhänderkonto als Treugut.

Laut Recherchen von WDR und „Süddeutscher Zeitung“ sind die Start-ups 2023 pleitegegangen. Was ist da schiefgelaufen?
Bei dem Cyber-Unternehmen hat mich mein Geschäftspartner ausgebootet. Das Unternehmen ist pleitegegangen und hat dann mit einem neuen Investor weitergemacht. Bei dem Getränkeunternehmen lag es auch an Corona. Dieser Bio-Energy-Drink hatte eine große Zukunft, hoffte ich damals. Aber ich habe leider alles verloren. Ich war auch nicht der Manager, sondern nur Investor.

Aber 2023 war Corona doch schon vorbei.
Die Nachwirkungen kamen allerdings erst dann.

Warum haben Sie erst 2025, zwei Jahre nach den beiden Pleiten, die Behörden informiert?
Ich hatte ja keine Vernehmungen mehr. Das Thema habe ich natürlich auch deshalb nicht gern angesprochen, weil es für mich schwierig und auch peinlich war. Ich wusste, dass es in meinem eigenen Verfahren auf mich zukommt.

Sie wurden 2024 selbst angeklagt – und zu knapp zwei Jahren auf Bewährung verurteilt. In Ihrem Buch schreiben Sie, als Kronzeuge hätten Sie auf Straffreiheit gehofft. Haben Sie das wirklich geglaubt, bei einer Schadenssumme von 428 Millionen Euro?
Als ich in die erste Vernehmung ging, hatte ich keine Garantien. Kurz vor Weihnachten gab es dann einen Vermerk in der Akte: Wenn ich weiter kooperiere, könne Paragraf 46b StGB in Verbindung mit Paragraf 153b StPO in Betracht kommen, also die Kronzeugenregelung und bestenfalls das Absehen von Strafverfolgung für Täter, die mit ihrem Insiderwissen erheblich zur Aufklärung von komplexen Straftaten beitragen.

In dieser Zeit musste ich persönlich hart kämpfen. Die Banken, die Freunde von einst, haben mich mit Schadensersatzforderungen in Höhe von 1,6 Milliarden Euro überzogen, um mich mundtot zu machen. Ich hatte Suizidgedanken. Es ist ein Wunder, dass ich nicht aus dem Fenster gesprungen bin. Trotzdem habe ich mich bis 2018 immer wieder den Verhören gestellt und bin von 2019 bis 2025 in zwölf Gerichtsverfahren als Hauptbelastungszeuge aufgetreten. Aber Vermerke gab es keine mehr. Warum, das überlasse ich Ihrer Fantasie.

Sie beschuldigen Ihre Anwälte, die Sie bis 2024 vertreten haben, Ihnen falsche Versprechungen gemacht zu haben. Die bestreiten das vehement.
Ob das von der Staatsanwaltschaft oder meinen Verteidigern ausging, kann ich nicht sagen. Diese Art von Gesprächen haben immer meine Anwälte geführt, ohne mein Beisein. Aber sie haben mir immer wieder die Aussicht auf Straffreiheit insinuiert und dafür sogar Sonderhonorare in Millionenhöhe kassiert. Das Geld fehlt mir heute für die Schadenswiedergutmachung.

Warum haben Sie dann in anderen Cum-Ex-Prozessen bis 2024 immer wieder ausgesagt, dass Ihnen keine Zusagen gemacht wurden?
Das ist eine sehr feinsinnige juristische Frage. Eine Zusage, dass mein Verfahren so und so ausgeht, kann eine Staatsanwaltschaft ja gar nicht geben – sondern nur, dass sie einen Antrag beim Gericht stellt auf Zustimmung zur Kronzeugenregelung und zum Absehen von Strafe.

Wie muss man dann das verstehen, was Sie vor Gericht gesagt haben?
Als ich später selbst angeklagt war, habe ich alles so erzählt, wie es war. Warum vorher nicht? Weil von mir erwartet wurde, das nicht zu erzählen. Da waren Interessen im Spiel, und das waren nicht meine Interessen. Mehr muss ich jetzt dazu nicht sagen. Mal sehen, ob das Universum will, dass das alles noch geklärt wird.

Heute bin ich froh über meinen Weg. Er war richtig, auch wenn er mich fast das Leben gekostet hat.

Kai-Uwe Steck

Die Staatsanwaltschaft hat dreieinhalb Jahre Haft gefordert. Da sind Sie doch gut weggekommen.
Dafür habe ich ja auch zehn Jahre Rede und Antwort gestanden und mehr als 650 Millionen Euro durch meine Aussagen wieder dem Staat zurückgeführt – im Übrigen weit mehr als die durch mein Handeln verursachte Schadenssumme.

Die Kronzeugenregelung hat doch einen Sinn: Wer dabei hilft, komplexe Straftaten aufzuklären, muss dafür auch etwas bekommen können. Wenn Sie etwas zu erzählen haben – beispielsweise über die Bank of America, über J.P. Morgan oder die Deutsche Bank – und sehen, wie mit mir umgegangen wurde, meinen Sie, Sie stellen sich dann den Behörden als Kronzeuge zur Verfügung?

Es gibt einige frühere Kollegen, die jetzt immer noch unbehelligt in Dubai oder wo auch immer unter Palmen sitzen, auf ihren Steuermillionen. Die lachen mich doch aus! Andererseits sitzen sie jetzt dort fest. Wenn sie in den Flieger steigen, werden sie verhaftet. Ich möchte nicht mit denen tauschen. Heute bin ich froh über meinen Weg. Er war richtig, auch wenn er mich fast das Leben gekostet hat.

Auf der ersten Seite Ihres Buches schreiben Sie, dass alle Einnahmen daraus Cum-Ex-Schäden wiedergutmachen sollen. Wie viele der fehlenden 39 Millionen Euro hoffen Sie denn damit reinzuholen?
Das Buch ist kürzlich erst erschienen. Aber ich habe schon die Hoffnung, dass es ein bisschen was einbringt. Aller Anfang ist schwer. Es wird gerade auch auf Englisch übersetzt und es soll in anderen Ländern erscheinen, denn Cum-Ex ist ein internationales und industrielles Phänomen.

Sie haben unter dem Namen Pontinova eine Anwaltskanzlei und eine Coachingagentur in Zürich aufgebaut, außerdem eine Beratungsagentur und eine Investmentgesellschaft in Dubai. Warum gerade dort, wo da doch Ihre Feinde sitzen?
Das hat damit nichts zu tun. Und es ist auch kein großer Betrieb. Ich bin mehr oder weniger allein. Ich habe mich spezialisiert auf Rechtsberatung in Tech-, Krypto- und Blockchain-Fragen in Geschäften zwischen den Vereinigten Arabischen Emiraten, der Schweiz und Deutschland. Die Emirate und die Schweiz sind dafür ein Hotspot.

Die Investmentgesellschaft kam nie ans Laufen, weil mir die Lizenz wegen meines Strafverfahrens entzogen wurde. Zukünftig möchte ich als Anwalt Kronzeugen begleiten, denn die werden zu wenig geschützt und einige haben sich schon bei mir gemeldet.

Was kostet eine Stunde Coaching bei Ihnen?
Eine Stunde reicht nicht. Sie müssen ein Abonnement machen. Für sechsmal 90 Minuten sind das 3500 Franken. Ich hatte selbst viele Trainer, die mir geholfen haben, durch die für mich sehr schwere Zeit zu kommen. Und ich möchte das weitergeben. Das fängt mit der Ernährung an. 2015 war ich am Ende. Übergewichtig, herzinfarktgefährdet, konnte ohne Rotwein nicht mehr einschlafen.

Mir hat die Methode der Selbstaktualisierung geholfen, das hat viel mit Bewusstwerdung und Bewegung zu tun. Ich habe mich darin ausbilden lassen. Bei einem Erstgespräch fange ich nicht an, wie es ein Anwalt für gewöhnlich tut, mit: Erzählen Sie mal den Sachverhalt. Sondern ich frage: Was haben Sie gefrühstückt?

Was haben Sie denn gefrühstückt?
Birchermüsli, Ei und Avocado.

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