zum Hauptinhalt
Berlins Justizsenator Dirk Behrendt (Grüne) und Generalstaatsanwältin Margarete Koppers.

© Britta Peders / dpa

„Aus politischen Gründen unliebsame Beamte umsetzen“: Aufstand in der Berliner Justiz gegen Senator und Chefanklägerin

Nach dem Eingriff ins Verfahren zu den rechtsextremistischen Neukölln-Anschlägen gibt es massive Kritik an Margarete Koppers und Dirk Behrendt.

Die Kritik aus der Berliner Justiz an Generalstaatsanwältin Margarete Koppers und Justizsenator Dirk Behrendt (Grüne) wird immer lauter. Am Montag äußerten sich die Vereinigung Berliner Staatsanwälte (VBS) und der Gesamtstaatsanwaltsrat – mit vernichtender Kritik, ein einmaliger Vorgang. Es geht um den Eingriff von Koppers in die jahrelang erfolglosen, von Pannen belasteten Ermittlungen zur mutmaßlich rechtsextremistischen Anschlagsserie von Neukölln.

„Das Vorgehen der Generalstaatsanwältin hat das Ansehen der Berliner Staatsanwaltschaft und Justiz nachhaltig erschüttert“, sagt der VBS-Vorsitzende Ralph Knispel. „So einen Vorfall habe ich in knapp drei Jahrzehnten nicht erlebt.“

Auch der Gesamtstaatsanwaltsrat, die Personalvertretung, kritisierte in einem internen Schreiben das Vorgehen von Koppers und Justizsenator Dirk Behrendt (Grüne). Das entspreche nicht „einer verantwortungsvollen Ausübung der Fürsorgepflicht gegenüber Mitarbeitern“.

Koppers hatte der Staatsanwaltschaft die Verfahren zum Neukölln-Komplex vergangene Woche entzogen, zudem wird der Leiter der Staatsschutzabteilung versetzt, ebenso der bislang zuständige Beamte. Koppers reichte dafür der nicht bewiesene Anschein der Befangenheit. Ein Beschuldigter hatte nach einer Zeugenvernehmung im März 2017 in einer Chatnachricht erklärt, die Staatsanwaltschaft sei auf seiner Seite und der Staatsschutzchef AfD-nah.

Empfohlener redaktioneller Inhalt

An dieser Stelle finden Sie einen von unseren Redakteuren ausgewählten, externen Inhalt, der den Artikel für Sie mit zusätzlichen Informationen anreichert. Sie können sich hier den externen Inhalt mit einem Klick anzeigen lassen oder wieder ausblenden.

Ich bin damit einverstanden, dass mir der externe Inhalt angezeigt wird. Damit können personenbezogene Daten an Drittplattformen übermittelt werden. Mehr Informationen dazu erhalten Sie in den Datenschutz-Einstellungen. Diese finden Sie ganz unten auf unserer Seite im Footer, sodass Sie Ihre Einstellungen jederzeit verwalten oder widerrufen können.

Nach einer Beschwerde einer Opferanwältin prüfte die Generalstaatsanwaltschaft die Akten und stieß auf Vermerk und Abhörprotokoll. Der ermittelnde Staatsanwalt - mit immerhin rund 20 Jahren Erfahrung beim Staatsschutz - kannte beides, Vermerk und Protokoll, über Monate. Behrendt bemängelte im Tagesspiegel-Interview, dass der Beamte den Vermerk nicht nach oben gemeldet hat.

Der Senat verteidigte das Einschreiten der Generalstaatsanwältin mit den Worten: „Es darf keinen Zweifel daran geben, dass die Strafverfolgungsbehörden rechtsextreme Straftaten verfolgen. Allein der böse Schein kann das Vertrauen in die Strafverfolgungsbehörden erschüttern.“

„Keine Grundlage für derartige Konsequenzen“

Die VBS erklärte nun, zwei Kollegen seien durch „unhaltbare Vorgänge“ und Vermutungen öffentlich in den Verdacht geraten, die Verfolgung rechter Delikte bewusst zu verhindern. Aus dem Chatdialog gehe klar hervor, dass der Oberstaatsanwalt nie auch nur angedeutet habe, dass er selbst AfD-Mitglied sei oder auf der Seite der Verdächtigen stehe, sondern dass dies der Beschuldigte nur vermute. „Kann und darf das alleine Grundlage für derartige Konsequenzen sein?“, fragt Knispel. „Die Antwort ist eindeutig: nein!“

Beide Staatsanwälte mussten am Montag ihre Büros räumen. Oberstaatsanwalt F., der den Befangenheitsverdacht bestreitet, wird künftig eine Abteilung für allgemeine Kriminalität führen. Knispel sagte: „Der dienstliche wie vor allem menschliche Schaden liegt auf der Hand.“

[In unseren Leute-Newslettern berichten wir wöchentlich aus den zwölf Berliner Bezirken. Die Newsletter können Sie hier kostenlos bestellen: leute.tagesspiegel.de]

Laut VBS sei es unstrittig, dass die Generalstaatsanwaltschaft als vorgesetzte Behörde Verfahren an sich ziehen und Verfahren im Wege der Dienstaufsicht prüfen darf. Trotz Hinweisen, dass Justizsenator und Generalstaatsanwältin über das Neukölln-Verfahren in der Vergangenheit unterrichtet worden seien, seien keine Klagen bekannt geworden.

Dass Behrendt und Koppers nicht vorhaben, andere Verfahren der inkriminierten Beamten zu prüfen, nähre den Verdacht, „dass der böse Anschein genutzt worden ist, um aus politischen oder persönlichen Gründen unliebsame Beamte umzusetzen“, erklärte Knispel. Die bekannten Gründe rechtfertigten weder Umsetzungen noch die Übernahme der Ermittlungen durch die Generalstaatsanwaltschaft.

Koppers habe „Personalentscheidung ohne fundierte Fakten medial verbreitet“

Der Gesamtstaatsanwaltsrat erklärte, die Vorgänge hätten zu großer Verunsicherung in der Behörde geführt. Eine Personalentscheidung ohne weitere fundierte Fakten „medial zu verbreiten“, stoße auf Entsetzen. Ferner hieß es aus der Justiz, nur weil bislang trotz jahrelanger Ermittlungen kein hinreichender Tatverdacht gegen die Beschuldigten vorliege, könne nicht der Schluss gezogen werden, dass nicht intensiv ermittelt worden sei.

Von mehreren Seiten ist zu hören, Koppers wolle die Behörde „auf Linie bringen“. Koppers und Behrendt forcieren den Aufbau einer neuen Abteilung zu Hasskriminalität. Darin würde dann der Staatsschutz eingereiht, der bisherige Leiter kann aber nicht mehr dabei sein.

Empfohlener redaktioneller Inhalt

An dieser Stelle finden Sie einen von unseren Redakteuren ausgewählten, externen Inhalt, der den Artikel für Sie mit zusätzlichen Informationen anreichert. Sie können sich hier den externen Inhalt mit einem Klick anzeigen lassen oder wieder ausblenden.

Ich bin damit einverstanden, dass mir der externe Inhalt angezeigt wird. Damit können personenbezogene Daten an Drittplattformen übermittelt werden. Mehr Informationen dazu erhalten Sie in den Datenschutz-Einstellungen. Diese finden Sie ganz unten auf unserer Seite im Footer, sodass Sie Ihre Einstellungen jederzeit verwalten oder widerrufen können.

Stefan Conen, Vorsitzender der Vereinigung Berliner Strafverteidiger, begrüßte Koppers’ Vorgehen. Zwar nicht in Berlin, doch immer wieder hätten die Behörden bei der Verfolgung rechter Straftaten versagt. „Nach den Vorkommnissen in der Vergangenheit kann sich die Justiz einen ungeschickten Umgang bei den Ermittlungen nicht mehr leisten“, sagte Conen. Es gehe „schlicht um den Anschein“, dass nicht sauber ermittelt wurde.

Anwälte von Opfern rassistischer Gewalt werfen dem Staatsschutz der Staatsanwaltschaft vor, strafverschärfende rassistische Motive bei Gewalttaten herunterzuspielen, aber Taten von Linksextremisten mit aller Härte zu verfolgen. 

Zumindest bei den Opfern verfängt Koppers Vorgehen: Indem sie den bloßen Befangenheitsverdacht gegen Widerstände in der eigenen Behörde öffentlich gemacht hat, löste sie das von ihr beklagte Misstrauen in die Staatsanwaltschaft erst aus.

Obwohl Koppers selbst erklärte, der Eindruck der Befangenheit sei nicht bewiesen, ist für Opfer und Initiativen gegen Rechts aus Neukölln die Sache klar. Nämlich dass der bisherige Chef der Staatsschutzabteilung "seine Sympathie für die AfD bekundete", wie es in einer gemeinsamen Erklärung von Montag heißt.

Selbst der behördenintern völlig unverdächtige ermittelnde Staatsanwalt ist für die Initiativen nun einfach "mutmaßlich" rechts, die Staatsanwaltschaft hat aus ihrer Sicht nun ein "rechtes Problem".

[Behalten Sie den Überblick: Jeden Morgen ab 6 Uhr berichten Chefredakteur Lorenz Maroldt und sein Team im Tagesspiegel-Newsletter Checkpoint über Berlins wichtigste Nachrichten und größte Aufreger. Kostenlos und kompakt: checkpoint.tagesspiegel.de]

Dabei gelten beide Staatsanwälte als gewissenhaft und gründlich. Der bisherige Staatsschutzchef hat zwar den Ruf, rechtskonservativ zu sein: Doch bislang habe es keinerlei Anlass dafür gegeben, seine Verfahren gegen Rechtsextremisten wegen offenbarer Nachsichtigkeit anzuzweifeln, hieß es von mehreren Seiten in der Justiz.

Der Neukölln-Komplex und der Rechtsterror

Der als Neonazi-Jäger bekannt gewordene frühere Polizeiführer Michael Knape nahm den versetzten Staatsschutzchef in Schutz: „Ich habe ihn immer als korrekten und sehr anständigen Staatsanwalt erlebt, der weder auf dem rechten noch auf dem linken Auge blind ist.“

Auch die Soko „Fokus“ konnte den Verdächtigen nichts nachweisen

Der Innenpolitiker und Einzelabgeordnete Marcel Luthe (FDP) sagte, der versetzte Staatsschutzchef sei ihm „stets durch ausgesprochen hohe politische Zurückhaltung aufgefallen". Luthe spricht von Gesinnungsschnüffelei und wirft Koppers vor, in ihrem vorherigen Amt als Polizei-Vizepräsidentin einen Kuschelkurs mit Linksextremisten gefahren zu haben. Die Zahl der Gewalttaten von Linksextremisten sei in Berlin aber stets deutlich höher als von Rechtsextremisten, sagte Luthe.

Die Opfer der Anschlagsserie, darunter Brandanschläge und Bedrohungen, verdächtigen Polizei und Justiz, dass rechte Netzwerke die Ermittlungen behindern würden. Trotz jahrelanger Ermittlungen gab es bislang keinen Durchbruch. Die von Innensenator Andreas Geisel (SPD) eingesetzte Solo „Fokus“ stieß auf einige Pannen und Fehler bei den bisherigen Ermittlungen.

Trotz tiefgehender Untersuchungen der Soko kann den Beschuldigten - neben dem Ex-AfD-Politiker Tilo P. auch der Ex-NPD-Kader Sebastian T. - die ganze Anschlagsserie noch nicht nachgewiesen werden.

Bei Vorlage des Zwischenberichts der Soko im Februar hieß es, es fehle bislang der Ansatzpunkt, um die Neonazi zu überführen, teilweise könne nicht einmal ein Bezug nachgewiesen werden. Noch für August war der Abschlussbericht der Soko „Fokus“ angekündigt worden.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false