
© Doris Spiekermann-Klaas TSP/Doris Spiekermann-Klaas TSP
Ex-Charité-Chef über KI in der Medizin: „Künstliche Intelligenz ersetzt in einigen Fächern bald die Hälfte der Ärzte“
Schneller Tumore erkennen, Akten führen, vielleicht Patienten beraten. In Berlin spricht Ex-Charité-Chef Einhäupl über KI und die Zukunft der Medizin.
Stand:
Retten uns in Zeiten des Fachkräftemangels die Roboter? Ist es gut oder schlecht, wenn im Krankenhaus sich zuerst eine Software mit unseren Leiden befasst? Und wo werden solche Computerprogramme geschrieben – in Deutschland, mit seinem strengen Datenschutz?
Hunderte Ärzte, Klinikmanager, Forscher treffen sich am 25. Juni zum dreitägigen Hauptstadtkongress in Berlin. Es geht dabei auch darum, wie künstliche Intelligenz (KI) die Medizin verändert. Präsident des Kongresses ist Karl Max Einhäupl. Der Ex-Charité-Chef geht davon aus, dass KI in allen Disziplinen bald deutlich stärker eingesetzt werde, in einigen aber umfassender als in anderen.
Deutschland in KI-Techniken abgeschlagen
„In zehn Jahren könnte die Hälfte der Radiologen, Labormediziner und Dermatologen durch KI ersetzt worden sein“, sagte Einhäupl dem Tagesspiegel. „Das bedeutet nicht, dass wir diese Fachleute nicht brauchen, aber sie werden andere Aufgaben übernehmen – auch, um eben jene Programme zu verbessern, mit denen wir zunehmend arbeiten.“
Einhäupl leitete von 2008 bis 2019 Berlins landeseigene Charité, die größte Universitätsklinik des Landes. Bis 2006 saß der Neurologe dem Wissenschaftsrat vor, der die Bundesregierung berät.
Schon heute gibt es Software, die aus einem Handy ein dermatologisches Instrument machen könnte: Mit dem aufgerüsteten Mobiltelefon wird eine Hautstelle beleuchtet. Weil gesunde Haut das Licht anders reflektiert, gibt es so in Sekundenschnelle zumindest erste Hinweise auf Tumore.
Vereinfacht werden als KI jene Computerprogramme bezeichnet, die dem Hirn nachempfunden sind und menschenähnliche Aufgaben übernehmen. Schätzungsweise 500 KI-Anwendungen werden derzeit in Krankenhäusern, Laboren und Praxen genutzt. So erkennt die Software auf Ultraschall- und Röntgenbildern schneller Auffälligkeiten als Ärzte dies tun. KI kann Berichte schreiben und enorme Datensammlungen durchforsten. Dabei erkennt die nimmermüde KI zuverlässig Muster, die Menschen übersehen, was gerade die Pharmaforschung beschleunigen dürfte.
Ärztegewerkschaft will ethische Leitplanken
Obwohl KI hierzulande immer häufiger eingesetzt werde, sagt Einhäupl, sei Deutschland auf diesem Feld noch schwach: Nicht nur China, Indien und die USA entwickelten viel umfangreicher KI, sondern auch Spanien, Italien und Großbritannien. Software-Entwickler monieren, dass der strenge Datenschutz in Deutschland viele technische Anwendungen unmöglich mache.
Allzu umfassenden Datenschutz kann man sich leisten, wenn man gesund ist
Karl Max Einhäupl, früherer Vorsitzender des Wissenschaftsrats und Ex-Chef der Charité
„Die Chancen durch KI sind deutlich größer als die Risiken – wenn wir es schaffen, beides in eine Balance zu bringen“, sagte Einhäupl. „Ja, wir brauchen Datenschutz. Aber allzu umfassenden Datenschutz kann man sich leisten, wenn man gesund ist. Schwerkranke werden sich wünschen, dass es ausreichend viele Daten gibt, aus denen sich die beste Behandlung ableiten lässt.“
Europa brauche digitale Innovationen mit hiesigen Standards, teilte auch der Marburger Bund mit, man müsse sich unabhängiger von der Technik anderer machen. Die Chefin der Ärztegewerkschaft, Susanne Johna, sagte: „Prädiktive Modelle werden Krankheiten früher erkennen können als je zuvor, individualisierte Therapien werden noch gezielter und effizienter eingesetzt werden können und automatisierte Systeme werden Routineaufgaben übernehmen und Gesundheitspersonal entlasten.“
Profitiert Berlin von der KI-Entwicklung?
Dennoch gelte: „KI ist kein Ersatz für ärztliche Verantwortung und Urteilskraft. Medizin ist kein Algorithmus – sie ist Menschlichkeit“, sagte Johna. KI kalkuliere Risiken, aber spende nicht Trost – weshalb KI in der Medizin ethische Leitplanken brauche.
Unsere Gesellschaft altert, Praxen, Pflegeheime und Notaufnahmen sind überfüllt. Womöglich übernimmt trotz aller Bedenken ein Chatbot bald die Erstaufklärung, also ein sprechendes Programm, das menschlichen Unterhaltungen nachempfunden ist.
Einige in der Zunft gehen davon aus, dass KI sogar in der Psychotherapie eingesetzt werden könnte, so unheimlich das für viele klingen mag. KI-Avatare sprächen dann mit den Patienten. An Mimik, Stimmlage und Wortwahl könnten die von Psychologen trainierten Programme zumindest in einem ersten Schritt ablesen, worunter die Patienten aller Wahrscheinlichkeit nach leiden.
Sollte Deutschland den Einsatz von KI beschleunigen, könne gerade Berlin profitieren, sagte Kongresspräsident Einhäupl: „Berlin hat durch seine Dichte an Wissenschaftseinrichtungen, durch seine Forscher in Tech-Start-ups, Hochschulen und Kliniken klare Vorteile. Die Stadt könnte zum KI-Hotspot werden. Möglich wäre, dass die Programmierer weiter in Karlsruhe, Darmstadt und München sitzen, wo es viel technische Expertise gibt. Die Planer, die Ideengeber aber säßen in Berlin.“
- Biomedizin
- Bundesregierung
- Charité Berlin
- Datenschutz
- Digitalisierung & KI
- Gesundheit
- Hochschulen
- Personalmangel
- Psychologie
- showPaywall:
- false
- isSubscriber:
- false
- isPaid:
- false