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Eine Psychotherapeutin berät und unterstützt eine junge Patientin.

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Suche nach Psychiatern und Psychotherapeuten: Viele Hilfesuchende werden nicht schnell genug vermittelt

Therapieplätze sind knapp. Zugleich suchen viele Menschen aufgrund psychischer Probleme nach Hilfe. Die bekommen sie bei der Patientenhotline 116117 aber oft nicht.

Stand:

Die Terminservicestelle 116117 der Kassenärztlichen Vereinigung (KV) Berlin soll Menschen in psychischen Krisen schnell an Psychiater:innen oder Psychotherapeut:innen vermitteln. Nur: Oft gelingt es ihr nicht, diesen gesetzlichen Anspruch einzulösen.

Wie die Antwort auf eine parlamentarische Anfrage der Gesundheitspolitikerin Bettina König (SPD) zeigt, übersteigt die Zahl der Vermittlungsbitten die fristgerechten Vermittlungen seit Jahren. Das heißt: Wer bei der 116117 anruft und verlangt, für sich oder sein Kind einen Termin bei einer Psychotherapeutin oder einem Psychiater zu bekommen, hat – grob überschlagen –, nur eine 50-prozentige Chance, dass das klappt. Im zweiten Quartal dieses Jahres beispielsweise zählte die KV 4166 Bitten um ein Erstgespräch bei Psychotherapeut:innen für Kinder und Jugendliche. 1550 Mal hat das funktioniert. Das ist kaum mehr als jeder dritte Fall.

So funktioniert das System

Die 116117 ist ein Service für gesetzlich Versicherte. Zwischen Anruf und Termin sollen diese für ein Erstgespräch oder probatorische Sitzungen („Probesitzungen“) nicht länger als vier Wochen warten müssen, für eine Akutbehandlung lediglich zwei.

Wollen sie eine Akutbehandlung oder probatorische Sitzungen, benötigen Anrufer:innen einen Vermittlungscode. Den erhalten sie bei einem Erstgespräch bei einem Psychotherapeuten, der die Dringlichkeit der Behandlung einschätzt, aber nicht unbedingt selbst einen Platz frei hat. Für einen Termin bei einer Psychiaterin braucht es ebenfalls einen Code. Ihn kann der Hausarzt ausstellen.

Schafft man es über die 116117 zu einer Therapeutin, heißt das demnach nicht, dass die auch einen Therapieplatz in Aussicht stellt. Denn – das ist absurd – Therapeut:innen sind verpflichtet, Erstgespräche anzubieten, auch wenn sie keine freien Plätze haben.

Eine reguläre Therapie umfasst zwischen 24 und 300 Sitzungen. Dieser sind probatorische Sitzungen vorgeschaltet, die dazu dienen, sich kennenzulernen. Sie geben dem Therapeuten außerdem die nötigen Infos, um eine reguläre Therapie zu beantragen.

Die Akutbehandlung ist ein Sonderfall: Ziel ist, eine akute Krise zu bearbeiten, damit sich die Lage des Patienten nicht verschlechtert. Für sie stehen bis zu 24 kurze Sitzungen zur Verfügung. Ein größerer Antrag bei der Kasse ist nicht nötig.

Gefahr vor Chronifizierung

Die SPD-Politikerin Bettina König findet, die hohe Zahl der nicht vermittelten Akutbehandlungen ist ausgerechnet bei Kindern und Jugendlichen ein unhaltbarer Zustand: „Wenn Kinder schnell behandelt werden, kann man in vielen Fällen eine Chronifizierung vorbeugen. Regelmäßig melden sich verzweifelte Eltern bei mir und fragen: Frau König, was soll ich nur machen?“

Aus ihrer Sicht ist das Problem, dass es nicht genug Sitze für Therapeut:innen und psychiatrische Praxen gibt. Der Senat und die KV Berlin erklären, offiziell gelte die Stadt mit diesen Fachleuten als überversorgt. „Das ist einfach an der Realität vorbei“, sagt König. Der Bedarf sei in den 90ern am Reißbrett geplant worden, „das trägt den aktuellen Entwicklungen überhaupt nicht Rechnung“.

169,8
Prozent beträgt der Versorgungsgrad mit Psychotherapeut:innen in Berlin nach offiziellen Zahlen.

Die Erfahrungen von Hilfesuchenden geben ihr Recht: In der Hauptstadt warten sie häufig mehrere Monate auf einen regulären Platz – obwohl bei vielen von ihnen ein akuter Therapiebedarf in der Erstberatung festgestellt worden ist.

Wenn Kinder schnell behandelt werden, kann man in vielen Fällen eine Chronifizierung vorbeugen. Regelmäßig melden sich verzweifelte Eltern bei mir und fragen: Frau König, was soll ich nur machen?

Bettina König, SPD-Politikerin und Mitglied des Abgeordnetenhauses

Dass zwischen den Zahlen der KV und der Wahrnehmung der Patient:innen eine Lücke klafft, hat unlängst auch ein Gericht erkannt. Im Dezember ordnete es eine neue Bedarfsplanung an. Ein Therapeut, der im Stadtteil Wedding eine Privatpraxis betreibt, aber dort viele gesetzlich Versicherte versorgt, hatte geklagt, um regulär Kassenpatient:innen abrechnen zu dürfen. Bei ihm sitzen oft Leute, die vergeblich einen Platz gesucht haben und sich die Privatbehandlung deshalb von ihrer Krankenkasse erstatten lassen können.

Auch Probleme bei Fachärzten

Die KV Berlin teilt auf Anfrage mit, umsetzen müsse das Urteil der Berufungsausschuss. Dieser sei ein weisungsfreies Gremium. „Insofern kann die Kassenärztliche Vereinigung Berlin über die zeitliche Umsetzung des Urteils keine Aussage treffen.“

Viele Psychotherapeut:innen führen lange Wartelisten.

© Kateryna Hliznitsova

Des Problems bei der 116117 ist sich die Standesvertretung bewusst. „Es trifft zu, dass wir bei der Vermittlungsquote in der Psychotherapie viele Terminanliegen nicht bedienen können“, lässt sich der Vorstandsvorsitzende, Burkhard Ruppert, zitieren.

Allerdings weist Ruppert darauf hin, dass mehr Anfragen gezählt würden, als es Vermittlungswünsche gäbe – es sich also um eine statistische Verzerrung handle. Zudem meldeten viele Therapeut:innen freie Kapazitäten nicht bei der Servicestelle, weil sie unter anderem frustriert von Terminschwänzern seien. „Insgesamt stehen dadurch zu wenig Plätze für eine Vermittlung zur Verfügung.“

Bettina König erkundigte sich auch nach den Vermittlungen an andere Arztgruppen. Dort zeigt sich ein ähnliches Bild wie bei den Psychiater:innen und Therapeut:innen. KV-Chef Ruppert sagt jedoch, die Lücke sei in Wirklichkeit kleiner, da Hilfesuchende meist mehrgleisig führen. Wer bei der 116117 anruft, dann aber selbst einen Termin beim Orthopäden findet, gilt etwa als unvermittelt.

Eindrucksvoll findet Ruppert die schiere Zahl der erfolgreichen Terminvermittlungen: 2022 waren es 73.000, ein Jahr darauf 145.000 und 2024 dann 215.000. „Dieser Trend setzt sich im Jahr 2025 fort. In den ersten sechs Monaten waren es ca. 117.000 Vermittlungen.“

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