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TikTok-Beschäftigte protestieren am Spree-Ufer in der Nähe der deutschen TikTok-Zentrale in Friedrichshain gegen einen geplanten Stellenabbau. Auf dem Transparent steht geschrieben“ «We trained your machines. Pay us what we deserve“.

© picture alliance/dpa/Bernd von Jutrczenka

„TikTok missachtet Rechte oder hat keine Ahnung“: Streikteilnehmerin in Berlin soll Entlassung angekündigt worden sein

Streik? So etwas gab es am Berliner Sitz des Social-Media-Giganten bis Juli nicht. Nun droht einer Teilnehmerin die Kündigung – als Einzige in ihrem Team. Was sagt TikTok dazu?

Stand:

Aus Solidarität mit den Kolleg:innen hat eine TikTok-Mitarbeiterin im Juli in Berlin gestreikt, nun droht ihr die Kündigung. Das berichtet die Gewerkschaft Verdi, bei der die Mitarbeiterin des Social-Media-Konzerns Mitglied ist – und wirft TikTok einen Zusammenhang zwischen der Ankündigung der Entlassung und der Teilnahme am Streik vor.

TikTok weist das auf Anfrage „entschieden zurück“. Man habe „die Gewerkschaftsrechte durch uneingeschränkte Aktivitäten an unserem Standort in Berlin stets respektiert und niemals einen Mitarbeiter aufgrund seines gewerkschaftlichen Engagements benachteiligt“, schreibt eine TikTok-Sprecherin, die für die Länder Deutschland, Österreich, Schweiz und Niederlande zuständig ist.

Geplante Entlassungen hatten die zwei Streiks der TikTok-Mitarbeiter:innen in Berlin erst ausgelöst. Bei dem Protest ging es um den Abbau der Stellen von bis zu 150 Content-Moderator:innen, die Videos auf der Plattform sichten, um sie auf gefährliche Inhalte hin zu überprüfen. Eine Arbeit, die das Unternehmen künftig an eine Künstliche Intelligenz auslagern will.

Zu dieser Abteilung „Trust and Safety“ (Vertrauen und Sicherheit) gehört die Mitarbeiterin laut Verdi zwar nicht. Aufgerufen zum Streik hatte die Gewerkschaft aber alle Mitarbeitenden. Die Frau habe sich demnach aus Solidarität an einem der Streiks beteiligt.

Im Team drohen laut Verdi sonst keine Kündigungen

„Aus einem Team mit über 30 Beschäftigten soll ausgerechnet die Kollegin gefeuert werden, die sich am Streik beteiligt hat. Die Sache stinkt zum Himmel, und die vermeintlichen betriebswirtschaftlichen Begründungen halten wir allesamt für wenig glaubwürdig“, kritisiert die für den Bereich Berlin-Brandenburg zuständige Gewerkschaftssekretärin Kathlen Eggerling. Denn im Team seien ansonsten keine Kündigungen geplant, sagt Eggerling.

Im Bereich „Live“ wiederum, der Echtzeit-Videoschalten auf der Plattform betreut, haben von Kürzungen betroffene TikTok-Mitarbeiter:innen laut Verdi zumindest alternative Stellenangebote erhalten. „Als Grund für die Einzelmaßnahme sehen wir die durch den Streik ausgedrückte Solidarität und die gewerkschaftliche Tätigkeit der Frau“, sagt Eggerling.

TikTok widerspricht. Laut der Sprecherin betrifft die „Umstrukturierung alle Mitarbeiter gleichermaßen“ und zwar „unabhängig von ihrer Gewerkschaftszugehörigkeit.“ TikTok verfolgt auch in anderen Ländern und Bereichen seit einigen Monaten einen Sparkurs.

TikTok sperrte wohl alle Zugänge der Mitarbeiterin

Auffällig aber aus Sicht der Gewerkschaft: Die mündliche Ankündigung sei kurz nach dem Streik erfolgt. Verdi habe daraufhin das Unternehmen aufgefordert, die Absicht zurückzuziehen. Das habe TikTok nicht getan, sagt Kathlen Eggerling. Auf Tagesspiegel-Anfrage hat sich TikTok dazu nicht geäußert. Ausgesprochen ist die Kündigung noch nicht. Sollte das Unternehmen das tun, werde man die Betroffene mit juristischen Mitteln unterstützen, kündigt Eggerling an.

Die Videoplattform TikTok gibt es seit 2016, sie gehört zum chinesischen Technologiekonzern ByteDance. Auch in Berlin gibt es eine Niederlassung.

© dpa/Monika Skolimowska

Ungewöhnlich findet Eggerling zudem, dass das Unternehmen unmittelbar nach der Ankündigung bereits sämtliche Zugänge der Mitarbeiterin zum System gesperrt hätte. Verdi liegt laut eigener Auskunft eine interne Bewertung des Vorgangs vor, die ihn als „Hochrisiko“ einstuft und damit wohl die Sperrung begründet – ein Vorgehen, das es laut Mitarbeiterkreisen so noch nie gegeben habe, teilt Verdi mit. Dem Tagesspiegel liegt das Dokument nicht vor, die Gewerkschaft begründet das mit dem Schutz Betroffener. Die Sperrung ist laut Verdi inzwischen wieder aufgehoben.

Warum das Unternehmen Zugänge gesperrt hat und ob es sich dabei um einen unternehmensübliches Vorgehen handelt, lässt TikTok auf Anfrage unbeantwortet.

Keine Erfahrung im Umgang mit Streiks

Vor Juli hatte es noch nie Streiks in der deutschen Niederlassung der Videoplattform gegeben, die zum chinesischen Technologiekonzern ByteDance gehört. „Das hat Aufmerksamkeit ausgelöst, bis nach China“, berichtet Kathlen Eggerling. Trotz Unerfahrenheit und Ängsten mancher: Sie spricht von einer breiten und wachsenden Solidarität im gesamten Konzern.

Die Führung habe auf diesen neuen Widerstand mit Einschüchterungsversuchen reagiert, behauptet Verdi: „Das Management ist völlig unerfahren mit unseren rechtlichen Gegebenheiten.“ So hätten Unternehmensvertreter:innen Mitarbeitende während des Streiks angewiesen, sie müssten sich bei Vorgesetzten abmelden und ihnen Konsequenzen wie Einzelgespräche angedroht.

„Das macht deutlich, dass TikTok entweder die Rechte hier aktiv missachtet, oder dass sie keine Ahnung haben.“ Ob Vorgesetzte tatsächlich Mitarbeitende zur An- und Abmeldung während Streikaufrufen aufgefordert haben, lässt TikTok auf Anfrage unbeantwortet. Ungewöhnlich emotional reagiere die Firma auf den Arbeitskampf, findet Eggerling: „Unternehmen entwickeln natürlich unterschiedliche Kulturen im Umgang mit Streik. Aber solche mit sehr viel Erfahrung handeln üblicherweise nicht so.“

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