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Ute Weiland ist die Geschäftsführerin des wohl größten Unternehmer-Netzwerkes der Stadt, beim Verein Berliner Kaufleute und Industrieller (VBKI).

© Gestaltung: Tagesspiegel/Foto: Bernd Brundert

Ute Weilands Vision für Berlin 2030: Der Weg zu Europas Gesundheitsstandort Nummer eins

Berlin liegt weltweit auf Platz drei der Gesundheitsstandorte, hinter Boston und London. Wie die Hauptstadt auf Platz eins gelangen kann, erklärt die VBKI-Geschäftsführerin.

Ute Weiland
Ein Gastbeitrag von Ute Weiland

Stand:

Berlin im Jahr 2030: Die Welt schaut auf die deutsche Hauptstadt, soeben wurde hier eine revolutionäre Krebstherapie aus der Taufe gehoben. Mithilfe von künstlicher Intelligenz gelingen einem internationalen Ärzteteam chirurgische Eingriffe, die noch vor wenigen Jahren undenkbar gewesen wären. Der Operationssaal befindet sich in der Charité, nun vor dem langjährigen Seriensieger – der US-amerikanischen Mayo Clinic Rochester – offiziell zur „besten Klinik der Welt“ gekürt.

Neben dem renommierten Krankenhaus steht ein eng gesponnenes Netz aus Unternehmen – Big Pharma genauso wie zahlreiche junge Start-ups – Pate für die herausragende Entwicklung des Berliner Gesundheitssektors der vergangenen Jahre. Es hat sich um die exzellenten Berliner Hochschulen angesiedelt und ist jederzeit bereit, wissenschaftliche Erkenntnisse in innovative Produkte zu übersetzen.

Wagniskapitalgeber stehen Schlange, um Gesundheitsinnovationen „Made in Berlin“ den nötigen Rückenwind zu verschaffen. Junge Menschen strömen in Scharen an die Spree – um hier zu studieren und um ihre unternehmerischen Visionen in die Tat umzusetzen. Berlin hat es geschafft: Die Stadt ist nicht nur ein Zentrum der Gesundheitswirtschaft unter vielen. Sie ist die Gesundheitshauptstadt Europas!

Klingt utopisch? Nun ja, wenn man Berlin mit dem US-amerikanischen Hotspot in Sachen Gesundheit vergleicht, dürfte der Abstand zwischen Traum und Wirklichkeit gar nicht so groß sein. Boston hat erst vor 40 Jahren das Fundament gelegt, auf dem in den Folgejahren das Silicon Valley of Biotech and Pharma entstanden ist.

Berlin blickt inzwischen ebenfalls auf eine sehr erfolgreiche 30-jährige Entwicklung zurück und gehört zu den internationalen Topstandorten der Gesundheitswirtschaft: Laut einer internationalen Studie belegt Berlin den dritten Platz unter den weltweit führenden Gesundheitsstandorten, direkt hinter Boston und London.

Mehr als Bayer und Pfizer

Das Cluster zählt jetzt schon 300 Unternehmen im Bereich Biotech, 35 Pharmaunternehmen, 150 Krankenhäuser und 40 große Forschungseinrichtungen mit Fokus Lifescience. Ebenfalls dazu gehören die Charité, mit über 3000 Betten Europas größte Universitätsklinik, wissenschaftliche Institute mit Weltruf wie das Max-Delbrück-Centrum für Molekulare Medizin, Weltmarktführer wie Bayer und Pfizer, starke Mittelständler wie Eckert & Ziegler sowie innovative Start-ups wie T-knife und Cellbricks.

Doch die letzten Meter sind bekanntlich immer die schwierigsten: Um die Operation „Pole Position“ bis 2030 erfolgreich ins Werk zu setzen, bedarf es einer gemeinsamen Kraftanstrengung aller beteiligten Akteure. Besonders dringender Handlungsbedarf herrscht bei den Standortbedingungen.

Langwierige Verfahren, eine schleppend fortschreitende Digitalisierung und strenge Datenschutzvorgaben bremsen die Forschung in Deutschland erheblich. Der individuelle Schutz persönlicher Daten ist wichtig, sollte im Sinne der Patienten aber medizinischen Fortschritt nicht blockieren.

In Deutschland sorgen 17 Datenschutzbeauftragte und 54 Ethikkommissionen dafür, dass die Durchführung von Studien in Deutschland unattraktiver wird. Israel und Dänemark zeigen, wie sich das Verhältnis besser austarieren lässt. Laut dem Verband der forschenden Pharmaunternehmen lag Deutschland 2015 nach den USA mit knapp 700 Studien auf Platz 2 weltweit – 2023 mit knapp 500 Studien nur noch auf Platz 4. Ein klares Warnzeichen und eine Gefahr für die Ambitionen Berlins.

Forschung auf Weltniveau

Ebenfalls von großer Bedeutung: Der Erhalt der wissenschaftlichen Exzellenz. Die wirtschaftlichen Perspektiven der Hauptstadtregion hängen in erheblichem Maße von der Leistungsfähigkeit des hiesigen Wissenschaftsstandorts ab – und der liefert bislang: Die Hochschulen betreiben Forschung auf Weltniveau und bilden zugleich jene Menschen aus, welche die Gesundheitsstadt Berlin dringend benötigt. An über 40 Hochschulen in Berlin studieren über 250.000 Menschen aus aller Welt. Dass über die Hälfte der deutschen Nobelpreisträger für Medizin und Physiologie von der Charité stammt, spricht für sich.

Mehr als ein Stolperstein auf dem Weg zu Europas Gesundheitsstandort Nummer eins sind allerdings die massiven Haushaltskürzungen des Berliner Senats: Die Investitionsmittel für Berliner Krankenhäuser werden um 29 Millionen Euro gekürzt, zudem sind Einsparungen im Integrierten Gesundheits- und Pflegeprogramm geplant, das psychosoziale Angebote finanziert. Auch in der Wissenschaft soll gekürzt werden, was die Ausbildung von Nachwuchswissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern gefährdet. Ein fatales Signal in Zeiten des Fachkräftemangels für Gesundheitsunternehmen, die hier investieren wollen.

Wissenschaft trifft Wirtschaft

Ebenfalls ausbaufähig ist das oftmals knirschende Scharnier zwischen Wissenschaft und Wirtschaft: Während Deutschland mit Grundlagenforschung glänzt, finden Ausgründungen häufig jenseits der Landesgrenzen statt. Der immense Veröffentlichungsdruck, unter dem Wissenschaftler und Forscher hierzulande stehen, lässt wenig Raum für unternehmerische Aktivitäten.

Mit dem Aufbau des Berlin Institute of Health hat Berlin einen Schritt in die richtige Richtung getan. Es braucht aber noch mehr als Hilfestellung bei der Ausgründung oder besseren Zugang zu Wagniskapital: Die Hochschulen müssen schon vom ersten Semester an die Gründer-Mentalität unter ihren Studierenden fördern.

Berlin bringt also beste Voraussetzungen mit, um beim Thema Gesundheit künftig ganz weit oben mitzuspielen. Der Weg zur europäischen Gesundheitshauptstadt ist allerdings kein Selbstläufer – bis 2030 liegt noch viel Arbeit vor uns. Wie es gehen kann, demonstrieren Bayer und die Charité mit dem neuen, mit privaten und öffentlichen Mitteln finanzierten Translationszentrum für Gen- und Zelltherapien.

Dieser Meilenstein im Kampf gegen Krankheit zeigt, was möglich ist, wenn Politik, Wissenschaft, Gesundheitsversorgung und unternehmerisches Know-how zusammenkommen. Dieses enge Zusammenspiel aller Akteure der Gesundheitswirtschaft muss sich zum besonderen Kennzeichen unseres Standorts entwickeln, wenn wir bis 2030 tatsächlich den Gipfel der europäischen Gesundheitswirtschaft erreichen wollen.

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