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Kundgebung vor dem Brandenburger Tor wegen des Kriegs der Hamas gegen Israel Kundgebung vor dem Brandenburger Tor wegen des Kriegs der Hamas gegen Israel, Flagge, Davidstern Berlin Berlin GER *** Rally in front of Brandenburg Gate because of Hamas war against Israel Rally in front of Brandenburg Gate because of Hamas war against Israel, flag, Star of David Berlin Berlin GER

© IMAGO/Bernd Elmenthaler

Die Vorfälle häufen sich: Wie sich ein Berliner Bezirk gegen Antisemitismus einsetzt

Treptow-Köpenick hat jetzt einen Beauftragten zur Antisemitismusprävention. Der ist Ansprechpartner für Betroffene – und will jüdisches Leben im Bezirk sichtbarer machen.

Stand:

Seit April gibt es im Bezirksamt Treptow-Köpenick eine neue Stelle: Lev Arie Shulov ist der erste Beauftragte für Antisemitismusprävention des Bezirks. Im Gespräch mit dem Tagesspiegel erklärt er, welche Aufgaben das umfasst und wie sich die Situation im Bezirk derzeit gestaltet.

Herr Shulov, wie geht es Ihnen mit den Ergebnissen der Europawahl, bei der die AfD zweitstärkste Kraft geworden ist?

Ich habe dazu gemischte Gefühle. Aber ich schaue nicht nur auf Deutschland, sondern auf die gesamteuropäischen Zahlen und die Verteilung der einzelnen Gruppen. Und dann sieht es ausgewogener aus. Hier in Berlin bleibt der Einsatz gegen Rechtsextremismus und Antisemitismus aber natürlich weiterhin wichtig.

Sie haben im April die Stelle des ersten Beauftragten für Antisemitismusprävention in Treptow-Köpenick übernommen. Nicht jeder Bezirk hat jemanden in dieser Position.

Treptow-Köpenick ist ein Bezirk, der sich – auch aufgrund der Erfahrungen in der Vergangenheit – sehr bewusst im Umgang mit Antisemitismus und auch mit Rechtsextremismus positioniert. Und zwar nicht erst, seit ich die Stelle angetreten habe, sondern bereits seit einigen Jahren.

2020 wurde hier mit „TKVA – Treptow-Köpenick für Vielfalt und gegen Antisemitismus“ die erste Anlaufstelle zum Umgang mit Antisemitismus in ganz Berlin eingerichtet. Ich hatte das Glück, meine Arbeit schon damals beginnen zu dürfen. Seit April bin ich nun Teil des Bezirksamtes.

Wo fängt Antisemitismus eigentlich genau an?

Antisemitismus kann begriffen werden als eine Art der Weltanschauung, die eine verschwörerische Komponente in sich trägt. Und er hat eine sehr lange Geschichte. Menschen, die an Antisemitismus glauben – das muss man so sagen – sind davon betroffen, dass es in ihrem Weltbild eine klare Komplexitätsreduzierung gibt. Ihr Hass ist auf eine konkrete Personengruppe gerichtet.

Diese Einstellung passt sich an die gesellschaftlichen Verhältnisse und die jeweilige Zeit an. Im Mittelalter war es ein religiös begründeter Anti-Judaismus, während der Industrialisierung und der Entstehung der Nationalstaaten wurde er zum politischen Antisemitismus – es wurden Vereine gegründet, deren Mitglieder sich stolz als Antisemiten bezeichneten.

Mit der Gründung des Staates Israel entstand dann ein nur auf Israel bezogener Antisemitismus. Er wurde wieder sichtbar während der Corona-Pandemie und im Zusammenhang mit dem Krieg in Europa. Aktuell ist Antisemitismus extrem virulent, vor allem bezogen auf das Kriegsgeschehen zwischen Israel und der Hamas in Gaza. Diese lange Geschichte spiegelt sich auch in den heutigen Vorfällen wider.

Wie ist die Lage im Bezirk aktuell und wie hat sie sich seit dem 7. Oktober 2023 verändert?

Es ist nicht so, dass diese Stelle geschaffen wurde, weil Treptow-Köpenick mit antisemitischen Vorfällen besonders heraussticht. In der jährlichen Vorstellung von RIAS (Recherche- und Informationsstelle Antisemitismus – Anm. d. Red.) und dem Berliner Register im Bezirk ist zu sehen, dass Antisemitismus und andere Formen der Diskriminierung hier allerdings häufig auftreten.

 Lev Arie Shulov ist der erste Beauftragte für Antisemitismusprävention in Treptow-Köpenick

© Bezirksamt Treptow-Köpenick

Berlinweit gesehen ist Treptow-Köpenick nicht der am stärksten betroffene Bezirk; das sind Mitte, Neukölln, Friedrichshain-Kreuzberg und Charlottenburg-Wilmersdorf. In diesen Bezirken gibt es viele jüdische Institutionen, Synagogen und jüdische Geschäfte.

Die gibt es hier nicht. Treptow-Köpenick ist aber auch nicht das Schlusslicht. Deshalb ist es wichtig, hier vor Ort zu arbeiten. Aktuell treten viele auf die Politik Israels bezogene Vorfälle auf. Da werden Jüdinnen und Juden, die hier leben, dafür verantwortlich gemacht, was ein anderer Staat tut – obwohl sie überhaupt keinen Bezug dazu haben.

Was sind Ihre konkreten Aufgaben als Beauftragter für Antisemitismusprävention?

Meine Aufgaben teilen sich in verschiedene Bereiche. Ich bin zum einen eine Ansprechperson sowohl für von Antisemitismus betroffene Personen, als auch für Institutionen und engagierte Bürgerinnen und Bürger. Also für alle, die sich mit akuten Erscheinungsformen auseinandersetzen oder sich präventiv informieren wollen.

Dann gehört der Bereich Bildung dazu. Antisemitismus ist ein gesamtgesellschaftliches Problem, weshalb es Schulungen in staatlichen Institutionen wie den Bezirksämtern, den Polizeiabschnitten und natürlich auch in Schulen braucht – aber nicht nur bei den Schülerinnen und Schülern, sondern auch bei den Lehrkräften. Natürlich gebe ich diese Schulungen nicht alle selbst; ich bin sozusagen ein „Kümmerer“, der die Institutionen und Akteurinnen und Akteure miteinander vernetzt.

Spielt auch das Thema Gedenken eine Rolle in Ihrer Arbeit?

Ja. Wie wird das Gedenken an die Shoa organisiert? Hier meine ich aktives Gedenken, das über die etablierten Daten von 27. Januar und 9. November hinausgeht und sich vor allem mit den Menschen beschäftigt. Es geht darum, die Menschen, die Opfer der Shoa und des NS-Terrors wurden, aus der Anonymität herauszuholen.

Wie gestaltet sich jüdisches Leben heute in Treptow-Köpenick?

Im Bezirk leben Jüdinnen und Juden. Aber es gibt hier keine jüdischen Institutionen, keine Synagoge oder Gemeinde. Meinen Auftrag sehe ich auch darin, jüdische Menschen darin zu unterstützen, Treffen zu organisieren und jüdische Kultur sichtbarer zu machen.

Die östlichste Synagoge in Berlin befindet sich in Kreuzberg, das nächste koschere Geschäft ist in der Brunnenstraße in Mitte. Insofern ist es wichtig, Strukturen zu gründen und Menschen zu fördern, die hier vor Ort aktiv sein wollen. Es ist mir in den letzten vier Jahren zum Beispiel gelungen, eine Gruppe von Jüdinnen und Juden zu gründen, die sich auch regelmäßig treffen. Sie engagieren sich zum Beispiel bei der Woche der Religionen, die vom 3. bis zum 7. Juli stattfand.

Was haben Sie für Ziele und Vorstellungen, wie Ihre Arbeit in den kommenden Monaten laufen soll?

Durch den Neuanfang dieser Arbeit beim Bezirksamt braucht es erstmal eine neue Strukturierung. Das ist mein Hauptanliegen in diesem Jahr: die bisherige Arbeit in die Arbeitsstruktur des Bezirksamtes integrieren und sie verbinden. Dann arbeite ich bereits jetzt an einer Reihe von Schulungen, Seminaren, möglichen Lesungen und Ausstellungen. Mit dem Blick auf die Zukunft sollen diese Veranstaltungen regelmäßig stattfinden.

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