
© Robert Klages TSP
Fotoausstellung „Zwischenleben“: Verdrängung und Freiheit im Osten Berlins
Eine Ausstellung von Tagesspiegel-Journalist Robert Klages in Schöneberg zeigt Zwischenorte wie Obdachlosenlager und alternative Wohnprojekte. Ein Leben auf der Kippe zwischen Freiheit und Angst.
Stand:
Ein Einkaufswagen, der überquillt: voll mit einem Bettlaken, den Resten einer Schaumstoffmatratze, dahinter eine Zeltstadt aus Tüchern, Brettern, notdürftig zusammengezimmerten Hütten. Kleidung hängt auf Bauzäunen, auf dem Boden liegen Bierflaschen, Schuhe und Schlafsäcke. Es ist Winter, die Bäume sind kahl, der Himmel grau.
Mittendrin in all dem Elend steht Kleckx mit einer Eishockey-Maske. Er verschränkt die Arme vor der Brust, hat die Kapuze tief ins Gesicht gezogen. Kleckx, der eigentlich anders heißt, war einer von 140 Obdachlosen, die im Winter 2019 im damals größten Obdachlosenlager Deutschlands an der Rummelsburger Bucht in Lichtenberg lebten. Bis 2021, als der Bezirk nach einem Kälteeinbruch über Nacht das Lager auflöste.
Seit 2024 wird auf dem Gelände das „Ocean Berlin“ gebaut, ein Aquarium mit neun Millionen Liter Wasser, das zum Touri-Hotspot werden soll.
Der Tagesspiegel-Journalist Robert Klages, der von 2018 bis 2023 den Lichtenberg-Newsletter geschrieben hat, hat Kleckx im Winter 2019 getroffen und fotografiert. Das Foto von Kleckx im Obdachlosenlager ist eine von 20 Fotografien, die ab diesem Sonnabend in der Galerie „world in a room“ in Schöneberg zu sehen sind.

© Robert Klages
„Zwischenleben“ heißt die Ausstellung. Zu sehen sind Menschen wie Kleckx, die in Berlin buchstäblich zwischen dem Leben und den Häusern der Anderen leben, an „Zwischenorten“, die nicht auf Dauer angelegt sind. Diese „Zwischenorte“ hat Klages während seiner Recherchen und Streifzüge durch den Osten Berlins entdeckt, zu jedem Foto gibt es einen Artikel. Mit dabei sind auch Aufnahmen vom Bauwagenplatz, auf dem sich der Ex-RAF-Terrorist Burkhard Garweg versteckt hielt.
Nicht immer sind die Orte so prekär und elendig wie das einstige Obdachlosenlager an der Rummelsburger Bucht. So war Klages für seine Recherchen auch im „TeePeeLand“, einer Art antikapitalistischem Kleingartenverein, direkt an der Spree in Friedrichshain. Rund 20 Aussteiger leben dort in Jurten und selbstgebauten Hütten, es gibt eine Gemeinschaftsküche. Das ganze Jahr über können Menschen, die keine Wohnung haben, hier campen, Backpacker aus der ganzen Welt kommen zum Couchsurfen vorbei.
In Klages Ausstellung werden die Portraits von drei „TeePee-Land“-Bewohnern gezeigt: Der Schotte Jimmy, der sich in der Mini-Zeltstadt eine buddhistische Höhle gebaut hat, ein Mann namens „Flieger“, der in seiner Jurte eine Feuerstelle und einen Beamer hat, und der Japaner Ko, der in seiner Behausung auf Stelzen die Shamisen, eine japanische Langhalslaute, spielt.

© Robert Klages
Die selbsternannten Antikapitalisten trotzen den städtebaulichen Entwicklungen um sie herum – noch. Um das „TeePee-Land“ herum säumen Büros und Apartments das Spree-Ufer, ein Uferweg ist geplant. Wie lange die Utopisten hier noch leben können, ist fraglich.
Orte, an denen Künstler und Kreative sich die Stadt zu eigen machen, gibt es in Berlin immer weniger. Stattdessen gilt die Stadt bei Immobilieninvestoren als Hotspot. Leerstehende Häuser und Brachflächen, wie es sie nach der Wende im Osten Berlins en masse gab, sind längst zu Büros, Hotels und teuren Appartements geworden.

© Robert Klages
„Die Stadt ist voll“, sagt Robert Klages. Nach der Wende gab es besonders im früheren Ost-Berlin viel Leerstand, Clubs entstanden auf Brachen, Künstler eigneten sich Flächen an, Studenten besetzten Häuser. Die meisten der Orte, die in „Zwischenleben“ gezeigt werden, gibt es bereits nicht mehr.
Nicht nur das Obdachlosenlager an der Rummelsburger Bucht, auch die Anarcho-Insel „Lummerland“ im Wasser davor, ein Hausboot-Kollektiv, das mehrere Jahre lang auf dem Rummelsburger See vor sich hindümpelte, existiert nicht mehr. Genau wie der Trailerpark in Karlshorst, von dem es ebenfalls ein Foto in der Ausstellung gibt. Auf 6500 Quadratmetern lebten dort bis 2023 über 200 Menschen. Der Bezirk Lichtenberg räumte den Wagenplatz schließlich, direkt daneben entstand die „Parkstadt Karlshorst“ mit über 2000 Luxuswohnungen.
Durch seine Recherchen habe er die Angst verloren vor verdreckten und versteckten Orten, erzählt Klages. Bevor er sich in das Obdachlosenlager an der Rummelburger Bucht getraut habe, sei er dreimal wieder umgedreht. Am Ende seien alle aber total nett gewesen, er sei sogar mit einem Kasten Bier wiedergekommen.
Robert Klages Foto-Serie „Zwischenleben“ ist keine romantisierte Milieu-Studie, sondern eine realistische Bestandsaufnahme der Berliner Gegenwart. Die Ausstellung rückt die Menschen der Stadt ins Blickfeld, die im Schatten der Gentrifizierung und Verdrängung verloren gehen. Hotte, ein Freund von Kleckx im Odachlosenlager, fasst zusammen: „Sie können uns aus der Stadt schmeißen, unsere Hütten einreißen, uns verdrängen, uns verurteilen, aber sie können uns nicht aus dem Gedächtnis löschen.“
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