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Darunter Lederer, Breitenbach und Scheel: Prominente Berliner Linke-Politiker verlassen Partei nach Antisemitismus-Eklat
Fünf prominente Mitglieder der Linkspartei haben am Mittwoch ihren Austritt erklärt. Grund ist der Umgang mit Antisemitismus in den eigenen Reihen.
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Fünf prominente Mitglieder und Abgeordnete der Berliner Linkspartei haben am Mittwoch ihren Parteiaustritt erklärt. Grund ist der Antisemitismus-Eklat beim jüngsten Landesparteitag. Die frühere Sozialsenatorin Elke Breitenbach, der frühere langjährige Landesvorsitzende und Kultursenator Klaus Lederer, Ex-Fraktionschef Carsten Schatz, der Rechtsexperte Sebastian Schlüsselburg und Ex-Bausenator Sebastian Scheel verlassen die Partei. Es zeichnet sich aber ab, dass sie in der Linksfraktion im Abgeordnetenhaus bleiben. In der Landespartei wird dagegen das Lager der Realos – der sogenannten Regierungslinken – sehr geschwächt.
Seit einiger Zeit sei es ihnen „immer weniger möglich, uns in unserem Landesverband für unsere inhaltlichen Positionen und unsere strategischen Orientierungen einzusetzen“, heißt es in der gemeinsamen Austrittserklärung. „Dies erlebten wir nicht zum ersten Mal bei einer klaren Positionierung zum Antisemitismus, sondern zum Beispiel auch bei der Frage der Solidarität mit der Ukraine.“
Differenzen in der Sache würden stärker denn je – auch über die sozialen Netzwerke – personalisiert ausgetragen und zu Machtkämpfen erklärt. Das gehöre zu politischen Parteien. „Inzwischen sind wir aber an einem Punkt angelangt, an dem sich in – für unser Selbstverständnis zentralen – politischen Fragen unvereinbare Positionen verfestigt gegenüberstehen und eine nötige sachlich-inhaltliche Klärung nicht stattfindet“, schreiben die fünf Politiker.

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Sie bezeichneten sich als „undogmatische, demokratisch-sozialistische Linke“. Lederer, von 2005 bis 2016 Parteichef, danach bis 2023 Kultursenator, schreib beim Portal X über seinen Parteiaustritt: „Eine Entscheidung, die mir nach 32 Jahren zunächst in der PDS und dann in der Linken alles andere als leicht gefallen ist. Und ja, es tut verdammt weh. Aber anders geht es für mich gerade nicht produktiv weiter.“

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Am 11. Oktober war es bei einem Landesparteitag zu einer heftigen Auseinandersetzung über einen Antrag zur Ablehnung von Antisemitismus gekommen, der auch Judenhass von links thematisierte. Durch Änderungsanträge wurde das Anliegen komplett entkernt. Die Kritik an linkem Antisemitismus wurde gestrichen, ebenso, dass Hamas und Hisbollah keine Befreiungsbewegungen seien, sondern ihr Terror durch eliminatorischen Antisemitismus angetrieben sein.
Deshalb verließen etliche Delegierte, darunter Lederer, den Parteitag. Später erklärten der frühere Linke-Fraktionschef im Abgeordnetenhaus, Udo Wolf, und Pankows früherer Bezirksbürgermeister Sören Benn ihren Parteiaustritt.
Landesvorstand konnte Konflikt nicht lösen
Die fünf Realo-Linken um Lederer haben für ihre Entscheidung über einen Austritt eine Sondersitzung des Landesvorstands am Dienstagabend abgewartet. Das Ergebnis reichte dem Quintett nicht. Der Landesvorstand hatte versucht, die Wogen wieder zu glätten. Beschlossen wurde, dass die Linke ein Maßnahmenpaket gegen Antisemitismus erarbeitet und den Eklat beim Parteitag aufarbeitet. Die Linkspartei stehe „entschlossen gegen jeden Antisemitismus“.

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Allerdings hat der Beschluss einen Haken. Mit Verweis auf angefeindete Mitglieder heißt es dort: „Unsere Solidarität endet aber dort, wo das Massaker des 7. Oktober als Akt des Widerstandes gefeiert wird oder die Kriegsverbrechen der israelischen Armee bejubelt werden.“ Tatsächlich haben Linke-Mitglieder, besonders aus dem Bezirksverband Neukölln, den Angriff der islamistischen Hamas auf Israel bereits als Befreiungskampf bezeichnet.
Es gab kein Jubel für Kriegsverbrechen Israels
Auf Nachfrage, ob in den vergangenen zwölf Monaten ein Linke-Mitglied mutmaßliche Kriegsverbrechen israelischer Truppen in Gaza bejubelt habe oder weshalb das zu befürchten sei, konnte das Parteichefduo Franziska Brychcy und Maximilian Schirmer kein Beispiel nennen. Es handle sich aber um den Korridor des Zulässigen, der nun definiert sei. Sie verwiesen auch auf einen Beschluss des jüngsten Linke-Bundesparteitags in Halle zum Nahost-Konflikt, in dem ein „sofortiger Waffenstillstand in Israel und Palästina“ gefordert wird.

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Das Lederer-Quintett erklärte, der Beschluss des Landesvorstandes bleibe dem bisherigen Modus treu, offene Differenzen verbal zu umschiffen. „Auch zu den Ereignissen beim Umgang mit unserem Antisemitismusantrag auf dem Landesparteitag und in dessen Nachgang bleibt sie eher vage, von Konsequenzen ganz zu schweigen“, heißt es in der Austrittserklärung. Die Resolution sei über sie, aber nicht mit ihnen verhandelt worden. Zudem kritisierte das Quintett organisatorischen Aktivismus und Geschlossenheitsappelle, es fehlten eine inhaltliche und strategische Klärung.
Die beiden Landesparteichefs bedauerten den Austritt der prominenten Mitglieder und sprachen von einem Entfremdungsprozess und einem großen Verlust für die Partei. Die fünf ausgetretenen Politiker hätten die Berliner Linke mit aufgebaut und Partei und Fraktion sowohl in der Opposition als auch in der Regierungszeit über viele Jahre geprägt. Zudem hätten sie mit großem Engagement für ein soziales Berlin und eine diskriminierungsfreie Gesellschaft gekämpft. „Unsere Türen bleiben offen“, erklärten Brychcy und Schirmer.
Die Fraktionsvorsitzenden im Abgeordnetenhaus, Anne Helm und Tobias Schulze, zeigten sich trotz des Austritts offen für eine weitere Zusammenarbeit innerhalb der Fraktion: Die Fraktion werde besprechen, wie sie weiterhin ihren Aufgaben gerecht werden könne. Auch das Lederer-Quintett erklärte sich bereit, in der Fraktion zu bleiben. Möglicherweise könnten sie sich irgendwann einmal wieder in einer sozialistischen Partei engagieren, die bereit sei, „sich im Bewusstsein ihrer Geschichte den Herausforderungen für linke Politik in der Gegenwart in all ihrer Komplexität und Widersprüchlichkeit zu stellen“, heißt es in der Austrittserklärung.
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