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„Mutiert zu den Zeugen Jehovas der Politik“: Pankows Ex-Bezirksbürgermeister verlässt die Linkspartei
Nach dem Antisemitismus-Eklat beim Berliner Landesparteitag verlässt Sören Benn die Linke. In seiner Austrittserklärung macht er der Partei schwere Vorwürfe.
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Die Berliner Linkspartei kommt nach dem Antisemitismus-Eklat nicht zur Ruhe. Erneut ist ein bekanntes Gesicht des Realo-Flügels aus der Partei ausgetreten. Am Sonntag erklärte der frühere Bezirksbürgermeister von Pankow, Sören Benn, seinen Parteiaustritt. Zuvor hatte dies bereits der langjährige Fraktionschef im Abgeordnetenhaus, Udo Wolf, getan. In der Partei könnte es nun zum Dammbruch kommen, weiter Austritte folgen.
Zugleich soll am Dienstag bei einer Sondersitzung des Landesvorstandes nach Tagesspiegel-Recherche die Realo-Riege um Ex-Senator Klaus Lederer diszipliniert werden. Sie hatte vor einer Woche den Landesparteitag verlassen, nachdem ein klares Bekenntnis gegen Antisemitismus und islamistische Terrororganisationen wie die Hamas verhindert wurde.
Die Partei ist strategieunfähig. Sie ist kein Gestaltungsprojekt, sondern ein Identitätsprojekt.
Sören Benn, Pankows ehemaliger Bezirksbürgermeister, über den Zustand der Berliner Linken.
Benn war von 2016 bis 2023 Bezirksbürgermeister und parteiübergreifend geachtet. In seiner Austrittserklärung machte er der Linkspartei auch mit Blick auf den Bundesparteitag am Wochenende in Halle schwere Vorwürfe. „Die Partei ist strategieunfähig. Sie ist kein Gestaltungsprojekt, sondern ein Identitätsprojekt“, schrieb Benn. Sie habe keine Idee, mit welchen anderen Kräften sie Politik machen wolle. „Ohne Bündnisse aber wird es in einer Demokratie nicht gehen.“ Die Linke habe „eine gegenwärtig unaufhaltsame Drift: Sie mutiert zu den Zeugen Jehovas der Politik“.
Zudem beklagte Benn das Schweigen des Bundesparteitags zu liberaler Demokratie, Freiheit und der historischen Hauptverantwortung der SED für die Lage in Ostdeutschland. Daneben attestierte Benn der Linkspartei fehlendes Verständnis für wirtschaftliche Wertschöpfung und Geopolitik sowie Mängel in der Migrationspolitik, bei der sich die Linke um Fragen von Ein- und Ausschluss herumdrücke. Außerdem kritisierte er einen „tiefsitzenden und fortwirkenden Antiamerikanismus, mit einem Bild vom Westen, das in den Zeiten des Kalten Krieges entstanden, weitgehend unverändert und unreflektiert weitergetragen wird“.
Der frühere Bezirksbürgermeister beklagte auch, dass es weniger Solidarität mit der von Russland angegriffenen Ukraine gebe als mit der palästinensischen Bevölkerung. „Der Eindruck bleibt, dass immer dann, wenn der Westen oder Israel als Täter markiert werden können, die Friedenssehnsucht besonders hochschießt und das Mitleid mit den Opfern besonders ausgeprägt wird“, schrieb Benn.
Partei lässt Positionierung gegen Antisemitismus vermissen
Er äußerte sich auch zum Antisemitismus-Skandal beim Landesparteitag vor einer Woche. Eine Gruppe prominenter Mitglieder um Ex-Senator Klaus Lederer hatte eine klare Positionierung auch gegen linken Antisemitismus sowie eine Verurteilung von Terrororganisationen wie der Hamas erreichen wollen. Der Antrag war so weit aufgeweicht worden, dass die Gruppe um Lederer den Parteitag verließ. Udo Wolf sah durch die fehlende Zustimmung für den Antrag „eine persönliche Schmerzgrenze überschritten“ und trat aus.
Benn kritisierte nun Versuche, über Parteitagsbeschlüsse Definitionen von Antisemitismus festlegen zu wollen. „Dass es aber bei der Frage, ob dem Pakt zwischen Iran, Hamas und Hisbollah gegen Israel eleminatorischer Antisemitismus inhärent ist oder nicht, Zweifel gibt, wundert dann doch.“ Der frühere Bezirksbürgermeister warnte, links zu sein, schütze „niemanden vor falschen Gleisen, auf die auch Mitgefühl führen kann“.
Die beim Parteitag zu Tage getretenen Risse sollten nun im Landesvorstand gekittet werden. Doch der geschäftsführende Landesvorstand hat dafür einen Beschlussentwurf vorgelegt, der nicht die fehlende Abgrenzung des Parteitags vom Antisemitismus der Hamas beklagt – sondern das entschiedene Auftreten von Lederer und Co.
Vorstand kritisiert Auftreten der Gruppe um Lederer
Der Vorstand ist demnach „bestürzt über den Ausgang und die Außenwirkung“ und bedauert, dass der „Streit und der Auszug eines Teils der Delegierten die mediale Berichterstattung dominierten“. Indirekt wird Lederers Gruppe, darunter mehrere Abgeordnete, vorgeworfen, die Debattenkultur beschädigt zu haben. Der Vorstand will sich schützend vor jene Mitglieder stellen, „die öffentlich diffamiert werden“.
Damit sind nicht die Realos gemeint, sondern jene, über die auch der Tagesspiegel berichtet hat: Abgeordnete, Bezirksspitzen und eine Bezirksstadträtin – sie hatten aus Lederers Antrag sogar dies streichen wollen: „Es gilt, alles zu tun, damit Auschwitz nie wieder sei.“ Es geht aber auch um den Bezirksverband Neukölln: Dort gibt es Bezüge bis hinein ins islamistische Spektrum. Die Neuköllner Linken gelten als Sektierer, einige Mitglieder propagieren einen Befreiungskampf der Hamas und die Zerstörung Israels.
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