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Flughafen-Aufsichtsrat: Die Brandenburger Hoffnung

Ob er sich sein Leben versauen wolle, haben sie ihn gefragt. Wenn es nur das wäre. Das ginge ja noch. Brandenburgs Ministerpräsident Matthias Platzeck glaubt fest daran, dass er den Flughafen retten kann – mit dem Rückhalt des Landtags muss er auch. Denn für ihn geht es um alles oder nichts.

Er soll nur gelacht haben, diesmal aus Galgenhumor. Es war am vergangenen Mittwoch bei Wolfgang Schäuble im Büro. Als sie zum ersten Mal überhaupt zusammensaßen, was einiges sagt. Nachdem nun alles kollabiert, die Verschiebung der Verschiebung gerade wieder verschoben werden musste, die vorher auf 4,3 Milliarden Euro explodierten Kosten nun weiter steigen, und alles was noch kommen mag unkalkulierbar geworden ist, da war der künftige Flughafen der deutschen Hauptstadt zum ersten Mal wirklich Chefsache.

Da versammelten sich zum Krisentreffen der Bundesfinanzminister, Verkehrsminister Peter Ramsauer, Berlins Regierender Klaus Wowereit und jener Mann, den manche in diesen Tagen für verrückt halten: Matthias Platzeck, Regierungschef in Brandenburg, gerade 59 Jahre alt geworden, bisher blasser Vize im Flughafen-Aufsichtsrat, will nun von Wowereit, der scheiterte, den Vorsitz übernehmen. Den, so schrieb der „Spiegel“, „undankbarsten Job Deutschlands“. Da soll Platzeck von Wolfgang Schäuble, den er fast zwei Jahrzehnte kennt und schätzt, der wie viele andere Zweifel an dieser berlin-brandenburgischen Rochade hatte, mit dem Satz begrüßt worden sein: ob er sich allen Ernstes sein Leben versauen wolle?

Ach, wenn es nur das wäre. Dann wäre die Welt des Matthias Platzeck, den selbst Gegner sympathisch finden, der immer etwas Preußisches hatte, halbwegs in Ordnung. Nur dass es, wie er selbst eingesteht, um sein Schicksal geht, ja, um sein politisches Lebenswerk. Er setzt, anders als Klaus Wowereit, darauf: alles oder nichts.

Wenn am Montag da oben auf dem Brauhausberg in Potsdam Brandenburgs Landtag wieder einmal zu einer Sondersitzung wegen des Fluchhafens zusammenkommt, wird Platzeck die „Vertrauensfrage“ stellen. Auch das ist wieder so eine Premiere, die einiges darüber sagt, wie – trotz der äußerlich noch stabilen Lage – selbst in Brandenburg vieles im Rutschen ist: Manfred Stolpe, von dem Platzeck das Land 2002 übernahm, hatte sich nie in solcher Not gesehen, zum letzten Mittel zu greifen, zum letzten, ehe nur noch der Rücktritt bleibt. Ein „Höllenritt“ sei es, sagen Vertraute. Den Brandenburger Weg, wie Platzeck womöglich doch die schlimmste Krise überstehen könnte, wie vielleicht alles zu retten sei, hatten sie letztes Wochenende entwickelt. Kurz bevor alles öffentlich wurde.

Der Botenbrief von Technik-Chef Horst Amann, dass die Eröffnung des BER zum 27. Oktober 2013 nicht zu halten sei, war keine 24 Stunden alt. Da trafen sich bei Matthias Platzeck, zu Hause in Potsdam-Babelsberg, die engsten Vertrauten: Generalsekretär Klaus Ness, Staatskanzleichef Albrecht Gerber und einer, der nicht unterzukriegen ist: Manfred Stolpe, 76 Jahre alt, sein Vorgänger im Amt, der damals als Bundesverkehrsminister eine ähnliche Krise bei der Einführung der Maut überstand.

Ein Szenario kam nicht in- frage, wurde sofort verworfen: dass Platzeck sich aus dem Aufsichtsrat zurückzieht, in die Potsdamer Staatskanzlei, dass er „nur“ noch regiert, auf Volksfesten durchs Land tingelt, aber mit dem wichtigsten Regierungsprojekt quasi nichts mehr zu tun hat. So sagte er es auch am Sonntagabend bei Günther Jauch in der Sendung über die "Flughafen-Versager" im Berliner Gasometer, als er sich als einziger Verantwortlicher stellte. Alle anderen hatten abgesagt, die Herren Wowereit und Ramsauer, die Flughafenchefs Rainer Schwarz und Horst Amann, und wie sie alle heißen. Angegriffen, aber mit diesem unnachahmlichen Platzeck-Blick, sprach er aus, was ihn jetzt antreibt: "Ich bin brandenburgisch-preußisch erzogen. Es ist doch ganz einfach entweder das Ding fliegt oder ich fliege. Und das war es dann auch."

Dass auch er sich zurückzieht, stand nicht zur Debatte

Nein, nur kein Rücktritt auf Raten. Nicht das Modell des Klaus Wowereit. Dass dem nun nichts anderes blieb, als mindestens den Posten des Aufsichtsratschefs zu räumen, war dem Potsdamer Küchenkabinett schnell klar. Es kam zum Schluss, dass Platzeck es darauf ankommen lassen muss. Dass er sofort selbst den Vorsitz anstrebt und übernimmt. Dass es besser sei, wie einer sagt, den Tiger zu reiten, der einen sonst sowieso fressen würde.

Dass Heft des Handelns noch einigermaßen selbst in der Hand zu behalten, trotz aller Risiken, trotz des Sturms, den das auslösen würde. Einer, der früher dabei war und alle bekochte, fehlte diesmal: Rainer Speer, einst Platzecks engster Berater, der für ihn so viele Kohlen aus dem Feuer holte, den Regierungschef abschirmte, die unangenehmen Dinge exekutierte, als Staatskanzleichef, Finanzminister und zuletzt als Innenminister, aber zwischenzeitlich über nicht gezahlten Unterhalt für ein uneheliches Kind und die Affäre um die Krampnitz-Kaserne stürzte.

Dass sein Platz frei blieb, kann man auch als Omen sehen. Dass es nicht erst jetzt, wo ihm an dem von Manfred Stolpe geerbten Flughafen, dessen Standort er einst als Umweltminister bekämpfte und sich dann zu eigen machte, alles um die Ohren fliegt – erst der vergessene Schallschutz für seine Landeskinder, dann Eröffnungstermine, explodierende Kosten, die den Landeshaushalt sprengen können, eher danach aussieht: Schon vorher ist Matthias Platzeck, der von Pleiten,Pech und Pannen verfolgt ist, seitdem er 2009 mit den Linken regiert und die Koalition damals an Stasi-Enthüllungen fast zerbrach, Fortune verloren gegangen.

Am 22. Juni 2002 war er zum ersten Mal als Ministerpräsident vereidigt worden, als „Hoffnungsträger“ gefeiert, nach einem wahrlich ungewöhnlichen Aufstieg. Der ostdeutsche Arztsohn aus Potsdam, der Biokybernetik studiert hatte, zu DDR-Zeiten als Umweltinspekteur das Gift in der Luft und in der Havel maß, hatte sich in den 80er Jahren in der Potsdamer Bürgerbewegung Argus engagiert, die sich gegen den Verfall der barocken Innenstadt starkmachte. Das hatte ihn politisiert, nicht mehr losgelassen.

Seinen Machtinstinkt versteckte er seitdem hinter Charme und Fröhlichkeit. Er wurde Umweltminister in der Ampel-Regierung Stolpes, als „Deichgraf“ beim Oderhochwasser 1997 deutschlandweit populär, wechselte ein Jahr später als Oberbürgermeister ins krisengeschüttelte Potsdam, ein nur scheinbarer Abstieg, der ihm dann den Weg zur Stolpe-Nachfolge ebnete. Nach zehn Jahren bescheinigen ihm selbst Kritiker, dass er das Land seitdem nach oben gebracht hat. Brandenburgs Wirtschaftsdaten sind heute so gut, die Arbeitslosigkeit so niedrig wie nie, in den Rankings ist Brandenburg am Rivalen Sachsen vorbeigezogen.

Schon einmal hatte er die eigenen Kräfte überschätzt

Freilich, das alles zählt nichts, wenn der Flughafen scheitert, das „wichtigste Infrastrukturprojekt“, mit dessen Erfolg sein Schicksal verknüpft ist. Und das nicht erst jetzt, wo dort fast alles zu spät ist, wo er es ausspricht. Platzeck, der im Aufsichtsrat bis Mai 2012 die Gefahr dramatisch unterschätzte, aber noch immer feine Antennen für die Stimmung im Lande hat, hatte das sofort erkannt. Früher als Klaus Wowereit.

Und er hat anders reagiert als der Berliner, der damals in den Urlaub fuhr, schnoddrig weitermachte. Platzeck sagte seinen Urlaub ab, kniete sich beim Flughafen hinein, immer noch nicht genug, wie sich jetzt zeigt. Er zog durchs Land, versuchte das Unerklärbare zu erklären. Dabei blieb er, Machtpolitiker durch und durch, stets geschickt hinter Wowereit.

Vielleicht mag das erklären, warum ihm anders als dem Berliner Regierenden der Flughafen-Skandal bisher nicht geschadet hat; warum ihm die Leute immer noch abnehmen, dass er es halbwegs ehrlich meint, obwohl er schon so lange in der Politik ist. Wo schon Ende Dezember 2012 nach einer Forsa-Umfrage drei von vier Brandenburgern nicht mehr daran glaubten, dass der Flughafen im Oktober 2013 eröffnet, aber Platzecks SPD in der Sonntagsfrage immer noch auf Traumwerte kam: 36 Prozent, bundesweit einer der höchsten Werte, gefolgt von den mitregierenden Linken, mit 24 Prozent. Die CDU-Opposition, die ihn stürzen will, landete bei 22 Prozent. Eine Anti-Platzeck-Stimmung gibt es nicht, bisher.

Es wäre nicht das erste Mal, dass die Leute allein goutieren, dass er nicht kneift. Vor der Landtagswahl im Jahr 2004, der ersten, die er selbst gewinnen musste, war es genauso. Damals, kaum zwei Jahre im Amt, mit dem machtbewussten Konservativen Jörg Schönbohm als Koalitionspartner, nach Krisen in Koalition und Regierung, Rücktritten von zwei CDU-Ministern, schlug Platzeck im Wahlkampf wegen Schröders Agenda 2010 ein Sturm entgegen.

Er stellte sich dem Volkszorn um Hartz IV, den fliegenden Eiern auf den Marktplätzen – und gewann. Der Nimbus wirkt nach, in der Bevölkerung, in der eigenen Partei sowieso. Die hat Platzeck, anders als Wowereit, fest im Griff. Den Vorsitz hatte er selbst übernommen, noch ehe er Ministerpräsident wurde. Flügel gibt es nicht.

Wer ihm gefährlich hätte werden können, blieb auf der Strecke, wie der frühere Landeschef Steffen Reiche. Konkurrenten, Königsmörder, Nachfolger, die mit den Füßen scharren? Fehlanzeige. Die Genossen sammeln sich hinter ihm, jetzt erst recht, wo sie Gefahr laufen, den Spitzenkandidaten für die Landtagswahl 2014 zu verlieren – wenn alles schiefgehen sollte.

Aber Aufsichtsratschef des Berliner Pannen-Flughafens? Ausgerechnet er, dieser sensible Typ aus Potsdam, dem die Elefantenhaut eines Wowereit fehlt? Von dem niemand bezweifelt, dass er Menschen gewinnen kann. Aber Krisenmanager für ein Milliardenprojekt, bei dem er an den Versäumnissen beteiligt war? Die Vertrauensfrage im Landtag zu überstehen, das ist für Platzeck immer noch die leichteste Übung.

Kein Wunder, dass sie in seiner SPD, bei den Linken, mit denen er regiert, gelassen sind. Da drohe kein Risiko, ein, zwei Abweichler wie 2009, als er zum Ministerpräsidenten gewählt wurde, mehr nicht, heißt es unisono. Zumal es wohl auf eine namentliche Abstimmung hinausläuft, die beide Seiten diszipliniert, auch die Opposition.

In der SPD haben sie durchgespielt, dass bei einer geheimen Abstimmung vielleicht ein, zwei Abgeordnete aus den Reihen der Liberalen oder der Union für Platzeck stimmen würden. Und ein Tag davor kam sogar Schützenhilfe von unerwarteter Seite: von Peter Ramsauer, dem Bundesverkehrsminister, dem CSU-Mann, der sich in unnachahmlicher Unberechenbarkeit für Platzeck als Aufsichtsratschef aussprach und via „Bild am Sonntag“ den Christdemokraten in Berlin und Brandenburg den Spiegel vors Gesicht hielt, weil sie in Berlin Wowereit stützen, in Brandenburg Platzeck stürzen wollen. In der SPD-Zentrale in Potsdam konnten sie ihr Glück kaum fassen

Matthias Platzeck will es, er traut es sich zu. Darin ließ er keinen Zweifel, als er am Abend bei Günther Jauch ins Kreuzverhör genommen wurde. Und egal, was sie auf der Baustelle des Grauens noch so alles finden: Selbst Genossen schließen nicht aus, dass das vielleicht größte Risiko in diesem dramatisch-tragischen Kampf womöglich woanders liegt: bei Matthias Platzeck selbst.

Schon einmal hatte er seine Kräfte überschätzt, hatte er für die Pflicht, für die Karriere, wie man es formulieren mag, mehr gegeben, als sein Körper zu geben bereit war.

Es war am 9. April 2006, als Platzeck, ernst, blass, damals seinen Rücktritt als SPD-Bundesvorsitzender bekannt gab, nach wenigen Monaten im Amt. In der SPD-Parteizentrale, die wie der Flughafen den Namen „Willy Brandt“ trägt. Die „schwerste Entscheidung seines Lebens“ habe er treffen müssen, auf „dringenden ärztlichen Rat“ hin, um „nicht weiter gegen die Wand zu laufen“, nach einem Hörsturz, dann einem Kreislauf- und Nervenzusammenbruch, wie er damals offenbarte. Nie wieder, das hatte er sich damals geschworen. Er zog sich in sein „Ländchen“ zurück, wie er Brandenburg nennt. Hoffentlich, sagt einer, der damals dabei war, der ihm wohlgesonnen ist, „geht es diesmal gut.“

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