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Rechtsradikale posieren mit einem Antifa-Shirt in der Hand.

© privat

Gewalt, Erpressung, Waffen: Razzia gegen Neonazis – einer hatte Zugang zu einem Polizeigebäude in Berlin

Nachwuchs-Neonazis neu entstandener rechtsextremer Gruppierungen fielen mit schweren Straftaten auf. Nun rückten 160 Polizisten aus.

Stand:

Mit einer großangelegten Razzia ist die Polizei am Mittwoch gegen den Neonazi-Nachwuchs vorgegangen. Betroffen sind Mitglieder der im Sommer erstmals aufgefallenen Gruppen „Jung und stark“ (JS) und „Deutsche Jugend voran“ (DJV).

160 Beamte rückten am Morgen in Berlin und Brandenburg aus. Zuerst berichtete die „BZ“. Bei der Razzia suchten Ermittler Beweismittel in Verfahren zu schweren Straftaten wie räuberischer Erpressung, gefährlicher Körperverletzung und Diebstahl mit Waffen. Die Staatsanwaltschaft bestätigte die Durchsuchungen. Betroffen sind neun Tatverdächtige im Alter von 16 bis 23 Jahren.

© Polizei Berlin

Die Staatsanwaltschaft hatte zwölf Durchsuchungsbeschlüsse erwirkt. Betroffen seien zehn Aufenthaltsorte von insgesamt neun Tatverdächtigen. In Brandenburg wurden zwei Wohnungen in Wandlitz im Landkreis Barnim und in Letschin in Märkisch-Oderland durchsucht, in Berlin lag der Schwerpunkt im Osten der Stadt – im Lichtenberger Ortsteil Neu-Hohenschönhausen, in Hellersdorf und Köpenick.

Nach Angaben der Staatsanwaltschaft beschlagnahmten die Ermittler Beute aus Straftaten, Tatkleidung, Kommunikationsmittel, Schlagwerkzeug, Waffenteile, illegale Pyrotechnik und Gaspistolen.

Bei den Ermittlungen geht es um drei Fälle. Am 13. September sollen sieben Mitglieder der Gruppen in Marzahn einen Mann verfolgt und gegen den Kopf geschlagen haben. Zudem zwangen sie ihn, sein T-Shirt auszuziehen und den Neonazis zu geben. Grund: Es war ein Antifa-T-Shirt.

Bei der Razzia sichergestellte Beweismittel.

© Polizei Berlin

Am 20. September sollen sechs Mitglieder, zum Teil vermummt, in Hellersdorf an einer Bushaltestelle einen Mann geschlagen und weiter auf ihn eingeschlagen haben, als er schon am Boden lag. Von dem Angriff existieren Videos aus Überwachungskameras, deshalb konnten einige der Neonazis identifiziert werden. Das Opfer konnte sich in einen BVG-Bus retten, bislang konnte die Polizei den Mann nicht identifizieren und ausfindig machen. Allerdings fanden alarmierte Polizisten in der Nähe drei Verdächtige.

Im dritten Verfahren geht es um einen Social-Media-Post eines Neonazis. Dort posierte er im vergangenen Jahr mit Pistole, Gewehr und Schutzweste der Polizei. Das Problem: Zwischen April und Dezember 2023 arbeitete der Rechtsextremist in einer Liegenschaft der Polizei, für seinen Job als Maler hatte er eine Zugangsberechtigung zu dem Sicherheitsbereich. Die Ermittler prüfen, ob der Neonazi bei der Polizei etwas gestohlen hat.

Bei den Durchsuchungen wurde auch ein Antifa-T-Shirt gefunden – die Herausgabe soll erpresst worden sein.

© Polizei Berlin

Von den Durchsuchungen ebenfalls betroffen ist nach Informationen des Tagesspiegels der 23-jährige Julian M. Der Rechtsextremist wohnt in Wandlitz und fungiert als Leiter des Berliner „DJV“-Ablegers.

Zuletzt trat der Neonazi am vergangenen Sonnabend bei einer rechtsextremen Demonstration in Marzahn-Hellersdorf in Erscheinung und koordinierte dort die Versammlung per Megafon. Auch an Neonazi-Demonstrationen in Oranienburg, Leipzig und Bautzen war M. maßgeblich beteiligt und organisierte die Masse.

Ein T-Shirt der Gruppe „Deutsche Jugend voran“.

© Polizei Berlin

Geweckt durch die Polizei wurde zudem der in Berlin wohnhafte Christopher W. Der junge Mann gilt als umtriebiges Mitglied von „DJV“ und „JS“. Zuletzt trat er immer wieder in Kleidung der „Dritte Weg“-Jugend NRJ auf. So beteiligte sich W. an einer geplanten Störaktion der Neonazis gegen den Berliner CSD, bei Demonstrationen in Leipzig und Magdeburg war er als Ordner eingesetzt. Der junge Neonazi trägt in internen Kreisen wegen seiner grellen, auffälligen Stimme den Spitznamen „Sirene“.

Am vergangenen Wochenende waren die von der Razzia betroffenen Gruppierungen noch auf der Straße. „DJV“ und „JS“ hatten zu einer Demonstration gegen „linken Terror“ in Marzahn-Hellersdorf aufgerufen. In der Mitte mit Megafon: Julian M.

© dpa/Paul Zinken

Unter dem gleichen Namen laufen die Ermittlungen der Berliner Polizei zu den Neonazis zusammen, die Ermittlungsgruppe „Sirene“ ist zuständig. Noch am Dienstag beantwortete W. verschiedene Fragen von Followern auf seinem Instagram-Profil. „Wie bist du auf deine politische Meinung gekommen?“, wollte jemand wissen. W. antwortete: „Ich habe mich schon immer für die NSDAP interessiert.“

Insgesamt konnten nach Angaben der Staatsanwaltschaft sieben Tatverdächtige angetroffen und erkennungsdienstlich behandelt werden. Zudem wurden durch die Polizeikräfte Hinweise zu einer weiteren Gewalttat erlangt.

Neonazi-Aufmarsch vor Marzahner Platten. Links im Bild, vermummt und im grünen Pullover des „III. Wegs“: Christopher W.

© privat

Die Gruppen „Jung und stark“ und „Deutsche Jugend voran“ (DJV) sind in diesem Jahr wiederholt bundesweit mit rechtsextremen Störaktionen gegen Christopher Street Days aufgefallen, auch in Berlin. Da die Pride-Saison mittlerweile beendet ist, suchen sich Gruppen wie „DJV“ offenbar bewusst neue Anlässe, um auf die Straße zu gehen.

Am vergangenen Wochenende marschierten weniger als 100 Neonazis in Marzahn auf – es war eine Gegendemonstration zu einer linken Kundgebung. In den vergangenen Monaten war es insbesondere dort immer wieder zu politisch motivierten Straftaten aus dem rechtsextremen Bereich gekommen, einige Kader der neuen Gruppen wohnen dort.

Die Polizei schritt im Juli am Rande des Berliner CSD gegen die Neonazis ein.

© Alexander Fröhlich

Viele der teilweise sehr jungen Neonazis gelten als gewaltaffin. Das Berliner Landeskriminalamt hat in den vergangenen Monaten nach Tagesspiegel-Informationen zahlreiche sogenannte Gefährderansprachen mit Akteuren von „Deutschen Jugend voran“ und „Jung und stark“ geführt.

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