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Raed Saleh, Landesvorsitzender der SPD Berlin und Vorsitzender der SPD-Fraktion im Berliner Abgeordnetenhaus, bei einem Interview mit Redakteuren der Deutschen Presse Agentur im Kurt-Schuhmacher-Haus.

© Carsten Koall/dpa

Update

Berliner SPD-Chef Saleh kritisiert Wirtschaftsminister: „Habeck will Kostenexplosionen von bis zu 500 Prozent auf Verbraucher abwälzen“

Wirtschaftsminister Habeck warne nur, statt zu handeln, sagt Saleh. Der Bund müsse arme Menschen mit Mehreinnahmen stützen. Kritik kommt auch aus Brandenburg.

Berlins SPD-Landes- und Fraktionschef, Raed Saleh, wirft Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) vor, die Kosten des eigenen energiepolitischen Versagens auf die Verbraucher abzuwälzen. „Es ist richtig, die Industrie und Arbeitsplätze zu sichern. Habeck will aber die zu befürchtenden Kostenexplosionen von bis zu 500 Prozent auf die Verbraucherinnen und Verbraucher abwälzen“, sagte Saleh dem Tagesspiegel am Dienstag. „Das ist unterkühlte Politik.“

Zuvor hatte Habeck die Priorisierung der Gasversorgung für Privat-Haushalte infrage gestellt. Eine dauerhafte Unterbrechung von industrieller Produktion hätte massive Folgen für die Versorgung, warnte Habeck am Dienstag. Seit Längerem schon drängen derweil Berliner Landespolitiker auf mehr Bundeshilfen für arme Menschen - und die Sicherung ihrer Versorgung. Kürzlich hatte erst Sozialsenatorin Katja Kipping (Linke) gesagt: „Armutsbekämpfung ist eine Aufgabe des Bundes.“

Saleh forderte von Wirtschaftsminister Habeck, dass sich der Bund bei den explodierenden Energiekosten stärker zu beteiligen habe. Der Bund habe durch die gestiegenen Kosten in vielen Lebensbereichen zwischen 2021 und 2023 „rund 50 Milliarden Euro ungeplante Mehreinnahmen aus genau diesen Kostenentwicklungen bei der Mehrwertsteuer“, sagte Saleh.

„Ich mache mir große Sorgen, dass in Deutschland die Mittelschicht abrutscht“, sagte der SPD-Politiker. Habeck müsse nun „Machen statt Warnen“. Saleh kritisierte außerdem, dass die Grünen selbst die jetzige Entwicklung mit ihrer Politik mitverursacht hätten.

Habeck wie „ein Chefarzt, der keinen Bypass legt“

„Die Grünen haben schon 2020 und im Wahlkampf 2021 Erdgas zur Übergangstechnologie erklärt, um den Kohleausstieg zu forcieren und kannten natürlich die Abhängigkeit von den Öl- und Gaslieferungen aus Russland und die geringen Füllstände unserer Speicher“, sagte der sozialdemokratische Landes- und Fraktionschef Berlins. „Habecks Versprechungen zur Lieferung von Flüssiggas aus aller Welt scheinen Luftschlösser.“

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Habeck warne nur „immer blumiger“ vor den eigenen Entscheidungen, sagte Saleh. „Er verhält sich wie ein Chefarzt, der bei der Herznot-OP keinen Bypass legt, sondern über die angeblich falsche Ernährung des Patienten in den letzten Jahren schimpft.“

In Berlin sollen mit einem Energiefonds mit bis zu 380 Millionen Euro soziale Härten abgefedert werden. Das wollen SPD und Linke sowie den Fonds kräftig ausbauen. Die Grünen wollen das Geld bislang eher für gestiegenen Energiekosten im Landeshaushalt verwenden.

Steinbach: „Die Priorisierung, die wir haben, ist richtig"

Auch Brandenburgs Wirtschaftsminister Jörg Steinbach lehnt es ab, im Falle einer Notlage bei der Gasversorgung den Vorrang für Privathaushalte aufzuweichen. „Ich bin der Meinung, die bisherige Priorisierung, die wir haben, also zunächst die schützenswerte Infrastruktur, dann die privaten Haushalte und dann die Wirtschaft, ist richtig“, sagte der SPD-Politiker am Mittwoch im Inforadio des RBB. „Und wir sollten aus meiner Sicht auch dabei bleiben.“

Im Falle einer Gasmangellage müssen aus Sicht des Bundeswirtschaftsministeriums alle Verbraucher Beiträge zum Energiesparen leisten. Dies habe Minister Habeck deutlich gemacht, sagte eine Sprecherin der dpa.

Die europäische Verordnung, auf der der deutsche Notfallplan Gas basiert, definiere geschützte Kunden und diese Vorgabe gelte, sagte die Sprecherin. „Das heißt Kindergärten, Krankenhäuser, private Verbraucher sind geschützte Verbraucher und diese werden auch im Fall einer Gasmangellage weiter versorgt und beliefert und nicht abgeschaltet.“

Klar sei aber auch, „dass im Fall einer Gasmangellage alle Verbraucher einen Beitrag zum Energiesparen leisten müssen.“ Dafür brauche es dann auch Standards zum Energiesparen.

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Wegen Wartungsarbeiten fließt seit Montag durch die Ostsee-Pipeline Nord Stream 1 derzeit kein russisches Gas nach Deutschland. Die Sorge ist, dass Russland Gaslieferungen über die zuletzt wichtigste Verbindung nach Deutschland nach Abschluss der Arbeiten nicht wieder aufnehmen könnte.

Sollte das eintreten, werde ein „Optionierungsmechanismus“ greifen, sagte Steinbach. Dabei werde es darum gehen, mit den reduzierten Gasmengen gegenseitig auszukommen. „Das heißt, man wird den Unternehmen Anreize bieten, aktiv zu sparen, und damit insgesamt das Kontingent so zu gestalten, dass es ausreichend ist“, erläuterte er. Über staatliche Eingriffe „sollten wir im Augenblick alle nicht diskutieren“, fügte Steinbach hinzu. Denn es müsse alles getan werden, um dies zu vermeiden. (mit dpa)

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