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Hier ist Geschichte zu sehen und zu erleben. Der Vereinsvorsitzende Wolfgang Maennig im historischen Hafen am Märkischen Ufer.

© Gerd Nowakowski

Historischer Hafen: Volldampf voraus für das alte Berlin

Die ehrenamtlichen Schiffer haben große Pläne für die alten Schiffe und die Fischerinsel - und werden mit 956.000 Euro von der Lotto-Stiftung gefördert

Der winterliche Wind fegt in kalten Böen die Regentropfen übers Wasser, und der Fernsehturm ist teilweise hinter Wolken verschwunden. Am Märkischen Ufer liegen die historischen Schiffe eng gedrängt, als wollten sie sich wärmen. Kahl reckt die über 200 Jahre alte Kastanie an der Spitze der Fischerinsel die kahlen Äste in den Himmel. Wer sich alte Gemälde anschaut, der findet diese Kastanie immer wieder. Sie hat die rauen Zeitläufe überlebt, während von der historischen Stadt nichts geblieben ist. Erst haben die Nazis das eng bebaute Armenviertel – den “Krögel“ – abgerissen, dann verwandelte der Weltkrieg das alte Zentrum Berlins in eine Trümmerlandschaft. Später tilgte die DDR die letzten Altbauten für die Hochhäuser auf der Fischerinsel als Symbol der sozialistischen Stadt. Nur die Kastanie blieb. Sie soll bald besonders geschützt und der an ihrem Stamm vorbeiführende historische Treidelpfad mit einem Denkmal ergänzt werden, erzählt Wolfgang Maennig über die anstehenden Pläne.
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Der Professor für Wirtschaft an der Uni Hamburg wohnt selbst am Märkischen Ufer, wo einst die Stadt Berlin ihren Ursprung hatte. Ohne den Hafen, der 1298 erstmalig erwähnt wurde, und ohne den Handel gäbe es Berlin heute möglicherweise überhaupt nicht. Wer weiß schon, dass der Hafen entscheidend dafür war, dass Berlin im Jahre 1360 Mitglied der Hanse wurde? Am Historischen Hafen entstand der Spruch „Berlin ist aus dem Kahn erbaut“. Denn hier zwischen Mühlendammbrücke und dem Märkischen Ufer kamen einst die Lastkähne an, vollgeladen mit Ziegelsteinen aus den Brennereien im Berliner Umland.
Maennig kann darüber lebhaft erzählen, auch während er gleichzeitig die steilen Stufen in den Laderaum der „Renate-Angelika“ heruntersteigt. Der geborene Berliner ist Vorsitzender des Vereins Brandenburgische Schifffahrtsgesellschaft. Die rund 100 ehrenamtlich Engagierten betreiben den Historischen Hafen, unterhalten und pflegen die dem Verein gehörenden großen Schiffe oder informieren über die wechselvolle Geschichte des Ortes. Neben der Instandhaltung organisieren die „Hafenarbeiter“ auch Veranstaltungen, Hafenfeste, Ausfahrten mit den Schiffen für Besucher*innen und kümmern sich um die Ausstellung. Auch Wim Wenders, der hier mal einen Film drehte, ist Mitglied.

Zu tun ist bei so alten Schiffen immer etwas; Wind und Wetter verlangen stets erneute Arbeitseinsätze. Man ahnt die tausenden Stunden ehrenamtlich geleisteter Arbeit, um diese schwimmenden Zeugen der Berliner Geschichte zu erhalten. Regelmäßig entstehen Kosten für die technische Überprüfung und die Lizenzierung der historischen Schiffe – der „TÜV“ für den Dampf-Schlepper „Andreas“ etwa kostet alle fünf Jahre rund 50.000 Euro. Einige Mitglieder haben auch noch eigene, kleinere Boote – erlaubt sind aber nur sogenannte „Dienstschiffe“, keine Sportboote. Neben Lastkähnen und Schleppern findet sich auch ein ehemaliges DDR-Grenzboot, mit dem einst Fluchten übers Wasser verhindert werden sollten. Zu sehen ist immer noch die Halterung für das Maschinengewehr.
Auch der hochgewachsene Wolfgang Maennig, der 1988 in Seoul Olympiasieger im Ruder-Achter war, besitzt einen kleinen Schlepper. Der alte Mercedes-Benz-Diesel der „Barbarossa“ wird aber nur wenige Male im Jahr für eine Ausfahrt angeworfen, erzählt Maennig. Regelmäßig traf sich vor Corona die bunte Mischung aus Jüngeren und Älteren, Handwerkern, Akademikern, Ossis und Wessis beim wöchentlichen „Klönsnack“. So soll es hoffentlich bald wieder sein. Dann wird auch wieder das Restaurantschiff seine Pforten öffnen. Das hat mit seinen Einnahmen erheblich zum Unterhalt der Schiffe beigetragen. Aber auch jetzt können Interessenten „anheuern“; neue Hafenarbeiter*innen sind immer willkommen.
Unten im Laderaum des historischen Lastkahns „Renate-Angelika“ gibt es eine sehenswerte Ausstellung. Lebendig wird mit Fotos, Alltagsgegenständen und Schiffsgeräten das schwere Leben der Schiffer und deren Familien. Wer möchte, kann etwa einen mit Ziegeln beladenen Transportkarren anheben, mit dem damals die Steine aus dem Laderaum an Land geschafft wurden – eine wahrhaftige Knochenarbeit. Anfassen ist ausdrücklich erlaubt in dieser Ausstellung. Zu spüren ist überall die Liebe zum Thema und auch die viele Arbeit, die dahinter steckt.
Bald soll alles noch besser werden. Der Verein hat kürzlich von der Berliner Lotto-Stiftung 956.000 Euro erhalten. Damit soll die Ausstellung mit Hilfe von Museumspädagog*innen modernisiert und digitalisiert werden; auch soll es Informationen in Englisch und in Blindenschrift geben. „Wir wollen die Ausstellung behutsam in die Zukunft bringen“, sagt Maennig. Zu den sechs Projekten, die mit der Förderung der Lotto-Stiftung realisiert werden soll, gehört auch eine neue Ausstellung zur Geschichte, Gegenwart und Zukunft der Fischerinsel. Die soll ihren Raum an der Ostspitze der Fischerinsel haben; nahe der riesigen, alten Kastanie und dem früheren Treidelpfad, wo Schiffer die Lastkähne vor Erfindung der Motoren allein mit Muskelkraft voran bewegten.
Die bereits vorhandenen Schautafeln zu beiden Seiten des Märkischen Ufers werden überarbeitet. Sie sollen die bewegte Vergangenheit des Ortes noch besser visualisieren und Geschichte wie auch Geschichten erzählen. So wie jetzt schon die Tafel über eine Lastkahn-Schifferin, die in der zweiten Hälfte des vergangenen Jahrhunderts ihr ganzes Leben von der Kindheit über die Ehe auf dem Schiff verbracht hat.  

An der Fischerinsel, daran erinnern die Engagierten mit ihrer Arbeit und der Pflege der Schiffe, wuchs Berlin einst zu einer Stadt heran.
An der Fischerinsel, daran erinnern die Engagierten mit ihrer Arbeit und der Pflege der Schiffe, wuchs Berlin einst zu einer Stadt heran.

© Mike Wolff

Eine Terrassierung entlang der Schleuse soll auf der Fischerinsel zusätzliche Entspannungs- und Freizeitmöglichkeiten bieten. Angesichts dieser Aufwertung des Ufers sieht es Wolfgang Maennig freilich kritisch, dass eine vom Land Berlin geplante Fischtreppe in hässlich roher Betonoptik ausgeführt werden soll. Die mehrere hundert Meter lange Gefällestrecke soll es Fischen ermöglichen, das Wehr hinter der Mühlendammbrücke flussaufwärts zu überwinden.
Stolz ist der Vereinsvorsitzende, der zwei kleine Töchter hat, darauf, dass die Brandenburgische Schifffahrtsgesellschaft e.V. den ersten CO2-freien Hafen der Welt betreibt. Alle Emissionen der Schiffe werden durch entsprechende Abgaben ausgeglichen. Außerdem liegt im Hafen ein Lastkahn, vollständig bepflanzt mit gefährdeten wasserliebenden Pflanzen, die als lebende Filter das Spreewasser reinigen. CO2-frei soll künftig auch der Schlepper „Elisabeth“ unterwegs sein. Aus der Vergangenheit direkt in die Zukunft: Das 1907 gebaute Schiff wurde nämlich schon damals mit einem Elektroantrieb ausgerüstet. Mit den Lotto-Geldern soll das einzig erhaltene Schiff seiner Art tiefgreifend restauriert und wieder fahrtüchtig gemacht werden, erzählt der Vereinsvorsitzende Maennig. Allein dafür sind rund 180.000 Euro eingeplant. Der Elektro-Schlepper „Elisabeth“ ist damit durchaus ein Symbol für die damalige Innovationskraft der jungen deutschen Hauptstadt. Das gilt übrigens auch für das heutige Tagesspiegel-Haus am Askanischen Platz: Vor 110 Jahren entwickelte das junge Start-up Siemens hier Elektro-Antriebe für Busse.
Das positive Votum der Berliner Lotto-Stiftung wurde von den Vereinsmitglieder zum Jahresende auf dem Dampf-Schlepper „Andreas“ gefeiert. Noch ruht alles im winterlichen Nieselwetter, auch die große Dampfmaschine tief im Bauch des Schleppers schläft. Damit die Dampfmaschine schnurrt und der hoch aufragende Schornstein raucht, müssen unten vor dem Kessel vier Leute kräftig die Kohlen in den Feuerschlund schaufeln. Eine schweißtreibende Arbeit. Aber man freut sich auf das traditionelle „Andampfen“. Das soll am 30. April stattfinden – dann hoffentlich ohne Corona-Sorgen. Wenn alles gut geht, auch wieder mit Besucher*innen, die erfahren möchten, wo einst alles anfing mit der Stadt Berlin.

Mehr Infos zum Historischen Hafen Berlin gibt es auf www.historischer-hafen-berlin.de.

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