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Jian Omar ist seit 2021 Mitglied des Abgeordnetenhauses.

© REUTERS/LISI NIESNER

„Ich gehe nie denselben Weg nach Hause“: Wie Berliner Wahlkämpfer mit Bedrohungen und Attacken umgehen

Neonazis haben vergangenen Samstag SPD-Mitglieder in Berlin angegriffen. Der Tagesspiegel hat mit Wahlkämpfern über ihre Sorgen gesprochen – und darüber, welche Maßnahmen sie ergreifen.

Attacken auf Politikerinnen und Politiker hat es in den Wahlkämpfen im Osten regelmäßig gegeben, aber auch in Berlin kommt es immer wieder zu Angriffen auf Parteibüros. Vergangenen Samstag haben Neonazis an einem Infostand in Lichterfelde SPD-Mitglieder attackiert. Ein Mann kam in der Folge ins Krankenhaus.

Die SPD Steglitz-Zehlendorf hatte für diesen Samstag um 13 Uhr zum Protest aufgerufen. Der Tagesspiegel hat Politiker gefragt, wie sie mit Bedrohungen im Wahlkampf umgehen.

Klara Schedlich (Grüne), Bundestagskandidatin im Wahlkreis Reinickendorf

„Der Angriff auf die Wahlkämpfer in Lichterfelde hat uns total erschüttert. Bisher war bei uns zum Glück alles in Ordnung. Wir haben die Regel, dass niemand beim Haustürwahlkampf oder Flyerverteilen allein unterwegs ist. Immer mindestens zu zweit oder besser zu dritt. Aber wir überlegen natürlich konstant, was wir machen können, um unsere Wahlkämpfenden besser zu schützen.

Auf mein Wahlkreisbüro gab es mehrfach Angriffe. Kurz nachdem ich 2021 ins Abgeordnetenhaus gekommen war, hat jemand den Türrahmen angezündet. Auch die Scheibe wurde schon eingeschlagen. Wahrscheinlich haben rechte Gruppen auf dem Nachhauseweg randaliert. Zuletzt hat im Sommer jemand pro-palästinensische Parolen an mein Büro gesprüht. Das Ärgerliche ist, dass ich am liebsten immer mit offener Tür dasitzen würde, damit die Leute mit ihren Anliegen jederzeit hereinkommen können. Das geht wegen der Vorfälle nicht.

Klara Schedlich ist die jüngste Abgeordnete im Berliner Abgeordnetenhaus.

© Grüne Fraktion Berlin/Vincent Villwock

Natürlich lässt mich das nicht kalt. Aber die einzige Konsequenz ist für mich, sich weiter dafür einzusetzen, dass es einen gepflegten Diskurs in der Gesellschaft gibt. Deshalb werde ich auf keinen Fall Veranstaltungen oder Termine absagen. Ich denke mir immer: jetzt ist es erst recht wichtig, Gesicht zu zeigen. Neulich hatte ich eine echt tolle Begegnung: Eine Frau kam mit zwei großen Hunden in mein Wahlkreisbüro. Sie ist kein Grünen-Mitglied, hat mir aber angeboten, mich im Wahlkampf mit ihren Hunden zu begleiten, wenn ich mich dann sicherer fühle. Solche Momente machen mich sehr glücklich und geben das Gefühl, dass es noch normale nette Leute gibt. Die sind nach meiner Erfahrung die große Mehrheit der Gesellschaft.“

Lukas Krieger (CDU), Bundestagskandidat im Wahlkreis Charlottenburg-Wilmersdorf

„Der feige Angriff auf SPD-Wahlkämpfer in Steglitz-Zehlendorf vom Wochenende ist ein Angriff auf unsere Demokratie und auf alle, die sich für ein friedliches und respektvolles Miteinander einsetzen. Solche Taten sind verabscheuungswürdig und haben in unserer Gesellschaft keinen Platz. Leider ist dies nicht der erste Angriff dieser Art, was uns alle umso mehr alarmieren muss. 

Lukas Krieger CDU CHARLOTTENBURG-WILMERSDORF (WAHLKREIS 79

© CDU Berlin

Wir haben gestern auch im CDU-Kreisvorstand intensiv über dieses Thema diskutiert und beschlossen, sichtbare Wahlkampfaktionen nicht mehr alleine, sondern immer mit mehreren Personen durchzuführen. Unsere Mitglieder und Wahlkämpfer sind verunsichert, aber wir sind fest entschlossen, uns nicht unterkriegen zu lassen. Die gemeinsame Erklärung von Scholz, Habeck und Merz bei ProSieben war ein starkes Zeichen für Respekt und ein konstruktives Miteinander. Leider hat sich in den Tagen danach gezeigt, dass es nicht allen gelingt, diesen respektvollen Umgang aufrechtzuerhalten.

Wir als CDU-Wahlkämpfer in Charlottenburg-Wilmersdorf haben den Anspruch, nicht mit der Verunglimpfung des politischen Gegners zu arbeiten, sondern mit guten Argumenten und den besseren Ideen zu überzeugen. Dieses Prinzip macht die Stärke unserer Demokratie aus, und wir sind fest entschlossen, uns davon weder durch Gewalt noch durch Extremismus abbringen zu lassen. Wir wünschen den Betroffenen von Gewalt und Extremismus und heute besonders den Kollegen der SPD eine schnelle körperliche und seelische Genesung und fordern eine konsequente und harte Verurteilung der Täter. Unsere Demokratie lebt vom Mut und Engagement ihrer Bürgerinnen und Bürger, und wir alle haben die Verantwortung, die Demokratie zu schützen.“

Jian Omar, kam 2005 aus Syrien nach Deutschland und ist seit 2021 Mitglied des Abgeordnetenhauses

„Wenn der Wahlkampf so beginnt, ist das traurig. Auch weil das viele Menschen abschreckt, die sich engagieren wollen. Gerade von neuen Parteimitgliedern kommen sehr viele Fragen, wie sie in solchen Fällen reagieren sollen. Daran merkt man die Verunsicherung. Ich selbst wurde auch schon oft angegriffen. Ich habe einen sichtbaren Migrationshintergrund. Das macht mich zur Zielscheibe. Ich wurde an Wahlkampfständen bespuckt, rassistisch beleidigt, mir wurden Unterlagen aus der Hand genommen und zerrissen.

Bevor ich solche Angriffe erlebt hatte, hatte ich nie Sorgen. Ich bin fröhlich in den Wahlkampf gegangen. Mir hat es Spaß gemacht, mit den Menschen ins Gespräch zu kommen. Jetzt habe ich immer im Hinterkopf, was passieren könnte. Das macht etwas mit einem.

Das Büro von Jian Omar in Moabit stand dieses Jahr vier Monate lang unter Polizeischutz, weil er und sein Team mehrmals angegriffen wurden. Vor der Bundestagswahl macht er Wahlkampf für die Direktkandidatin der Grünen in Mitte, Hanna Steinmüller.

© REUTERS/LISI NIESNER

Im Kreisverband Mitte organisieren wir vor der Bundestagswahl Workshops mit Anti-Gewalt-Expertinnen und Experten, die Wahlhelfern einen Maßnahmen-Katalog an die Hand geben, wie sie reagieren können. Es müssen mindestens zwei Personen am Stand sein und wir bauen ab, bevor es dunkel wird. In der Kreisgeschäftsstelle hat immer jemand Bereitschaft, um auf Notrufe reagieren zu können.

Ich persönlich gehe nie denselben Weg nach Hause und mach eine Pause in einem Café, damit mir niemand folgen kann. Das Ziel ist Einschüchterung, dass wir uns zurückziehen. Diesen Gefallen will ich den Angreifern nicht tun.Deutschland ist meine Heimat, vor allem meine politische Heimat. Ich versuche, die Schärfe aus der Debatte rauszunehmen. Gerade beim Thema Migration wird oft ohne sachliche Grundlage diskutiert. Man kann über Abschiebungen und Sicherheit sprechen, aber Verallgemeinerungen und Populismus sind Gift für unsere plurale Gesellschaft.“

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