
© imago/Westend61
Kai Wegner zu 35 Jahren Mauerfall: Berlin wird auch immer eine Stimme des Ostens sein
Nur in Berlin treffen Ost und West in einer Stadt aufeinander. Deshalb spielt es eine besondere Rolle bei der Vollendung der Einheit. Die Vielfalt ist eine Chance, schreibt der Regierende Bürgermeister.

Stand:
35 Jahre Mauerfall – in wenigen Tagen feiern und erinnern wir in Berlin wieder an dieses weltbewegende Ereignis. Ja, wir feiern, denn der 9. November 1989 war ein Glückstag für die Berlinerinnen und Berliner, für die Menschen in Ost und West. Endlich war die Mauer offen, endlich konnte aus dem geteilten Deutschland wieder eines werden.
Trotz der Ereignisse in der damaligen DDR in den Wochen und Monaten zuvor, trotz der Proteste gegen den SED-Wahlbetrug im Mai 1989, den darauf folgenden Montags-Demonstrationen in Leipzig und vielen anderen Städten der DDR, trotz der beeindruckenden und bis heute unvergessenen Großdemonstration am 4. November 1989 auf dem Alexanderplatz hatte doch kaum jemand mit der Öffnung der Mauer an jenem Novemberabend gerechnet. Und was für ein Glück für uns alle: Es blieb friedlich, kein Schuss fiel an den Grenzübergängen in Berlin.
Viele Menschen haben damals gedacht: Nun wird alles gut, Ost und West werden nach den langen Jahren der Teilung wieder zueinander finden. Doch schon in den ersten Jahren nach der Deutschen Einheit 1990 wurde schnell deutlich, dass das Zusammenwachsen und die Transformation gar nicht so einfach sind und gerade von den Menschen in Ostdeutschland, also auch von den Ost-Berlinern, sehr viel abverlangt.
Es wird heute sicherlich keiner mehr bestreiten: Natürlich wurden auch Fehler gemacht, etwa bei der Transformation der Wirtschaft oder in der Gesundheitspolitik, auch beim Umgang mit ostdeutschen Biografien. Zu Recht fragen sich bis heute viele Ostdeutsche, warum es in Führungspositionen von Rundfunkanstalten oder großen Unternehmen so wenige Ostdeutsche gibt, warum so viele Erfahrungen nicht wahrgenommen wurden, warum bis heute noch unterschiedliche Löhne gezahlt werden.
Gleichmacherei fördert unsere Demokratie sicher nicht
35 Jahre nach dem Mauerfall müssen wir feststellen: In Ost und West wirken die unterschiedlichen Sozialisationen, die unterschiedlichen Erfahrungen mit Staat und Regierung, die unterschiedlichen Lebenswelten nach. Auch die Diskussionen in der jüngsten Vergangenheit, auch unter weit nach 1989 geborenen Menschen, über eine ostdeutsche Identität, ja die Suche nach einer solchen Identität, zeigen, dass es noch viel aufzuarbeiten und zu besprechen gibt.
Ich persönlich hoffe, dass wir uns in Berlin diesen Debatten stellen – offen und selbstkritisch, mit Respekt und Toleranz. Vielfalt, das ist hoffentlich ein Wert für uns alle. Mit Gleichmacherei werden wir unser Land und unsere Demokratie weder festigen noch fördern.
Angleichung der Lebensverhältnisse lief in Berlin schneller
In Berlin waren die Herausforderungen seit dem Mauerfall bekanntlich groß – wegen der exponierten Stellung Ost-Berlins als Hauptstadt der DDR, wegen der besonderen Lage West-Berlins als ehemaliger Mauerstadt, angewiesen auf Milliarden-Subventionen aus dem Bundeshaushalt. Die Angleichung der Lebensverhältnisse spielte in Berlin von Tag eins an eine wesentlich größere Rolle als in den anderen ostdeutschen Ländern.
Hier haben die Senate der vergangenen Jahrzehnte viel Gutes geleistet, auch hinsichtlich der Investitionen in den ehemals Ost-Berliner Bezirken. Angefangen von der Errichtung neuer Schulen und Kitas, dem Umbau des Öffentlichen Dienstes oder der Zusammenführung der Sicherheitsbehörden.
Es waren nach dem radikalen Wegfall der Bundesunterstützung auch sehr schwierige Jahre für Berlin, und natürlich gibt es bis heute viel zu tun. Man denke nur an den Wohnungsbau, den Ausbau des Öffentlichen Personennahverkehrs oder den Bau neuer Straßenverbindungen im Ostteil der Stadt.
Die Bundesregierung muss Ostdeutschland unterstützen
Berlin als deutsche Hauptstadt wird – wie in den vergangenen Jahren – auch immer eine Stimme des Ostens sein. Auch deshalb ist Berlin Teil der Ministerpräsidentenkonferenz der ostdeutschen Länder, um die Themen zu besprechen, die uns in Berlin und Ostdeutschland besonders betreffen.
Ich setze mich gemeinsam mit meinen ostdeutschen Länder-Kollegen sehr dafür ein, dass die Bundesregierung unsere besondere Situation wahrnimmt und unterstützt. Etwa bei der Transformation der Wirtschaft, die die Länder Brandenburg und Sachsen mit Blick auf den Kohleabbau vor größte Herausforderungen stellt, aber auch Chancen für neue Industrieansiedlungen schafft. Oder mit Blick auf den Flughafen BER, der ein internationales Drehkreuz sein müsste. Hier brauchen wir mehr Unterstützung durch die Bundesregierung und von der einst in Berlin gegründeten Fluggesellschaft Lufthansa. Auch aus Respekt vor den Menschen in Ostdeutschland.
Wir profitieren von unterschiedlichen Erfahrungen
Berlin wäre nicht das Berlin, das wir schätzen und lieben, wenn wir den Mauerfall und den Wandel in den vergangenen 35 Jahren nicht erlebt hätten. Wir profitieren von den Erfahrungen der Menschen aus Ost und West, von der Bewältigung des gesellschaftlichen Umbruchs, von den Unterschieden und der Suche nach Gemeinsamkeiten.
Ich persönlich freue mich über die Vielfalt, ich bin froh, dass die Reinickendorfer oder Steglitzer manches anders sehen und machen als die Köpenicker oder Hellersdorfer. Wie langweilig wäre es doch in Deutschland, wenn die Berliner ticken würden wie die Bayern oder Schwaben. In unserer Vielfalt liegt eine große Chance – für uns alle, für den Osten und den Westen.
- Alexanderplatz
- Brandenburg
- Bundesregierung
- DDR
- Der Berliner Flughafen BER
- Deutsche Einheit
- Kai Wegner
- Sachsen
- Schule
- showPaywall:
- false
- isSubscriber:
- false
- isPaid:
- false