
© Montage: Tagesspiegel, Fotos: dpa/Annette Riedl, Imago Images, imago images/Andreas Gora, freepik
Nach Vorwürfen gegen Stefan Gelbhaar: Grüne Pankow wählen Julia Schneider zur Direktkandidatin
Nach den Belästigungsvorwürfen gegen Stefan Gelbhaar hat der Kreisverband Pankow ihn als bisherigen Kandidaten für die Bundestagswahl abgewählt. Gelbhaar verteidigte sich erneut.
Stand:
Die Pankower Grünen wollen mit Julia Schneider als Direktkandidatin in die Bundestagswahl ziehen. Für Schneider stimmten bei der Neuwahl am Mittwochabend 74,3 Prozent der Mitglieder. Der bisherige Kandidat Stefan Gelbhaar bekam von 35 Prozent der Mitglieder eine Stimme. Die Prozentangaben liegen bei mehr als 100 Prozent, da die Mitglieder für alle Kandidaten stimmen konnten. Anschließend wurde Schneider mit 85,2 Prozent als Kandidatin nominiert.
„Wir gratulieren Julia Schneider zu ihrem tollen Ergebnis und freuen uns, mit ihr eine so kompetente Kandidatin für die Bundestagswahl zu haben“, sagte der Co-Kreisvorsitzende Nicolas Scharioth. „Wir sind uns sicher, mit ihr das Direktmandat gewinnen zu können und für Pankow mit ihr eine starke ostdeutsche Stimme im Bundestag zu haben.“
Das war eine politische Entscheidung. Es stand heute nicht zur Abstimmung, wie der Kreisverband die Vorwürfe bewertet.
Nicolas Scharioth, Co-Kreisvorsitzender der Grünen Pankow zur Entscheidung gegen Stefan Gelbhaar als Kandidaten
Zugleich machte er deutlich, dass die Partei damit nicht über die Vorwürfe gegen den Bundestagsabgeordneten geurteilt habe. „Das war eine politische Entscheidung. Es stand heute nicht zur Abstimmung, wie der Kreisverband die Vorwürfe bewertet“, sagte Scharioth. Gelbhaar habe jedes Recht, sich zu verteidigen. „Für ihn gilt die Unschuldsvermutung wie für jeden anderen auch.“
Empfohlener redaktioneller Inhalt
An dieser Stelle finden Sie einen von unseren Redakteuren ausgewählten, externen Inhalt, der den Artikel für Sie mit zusätzlichen Informationen anreichert. Sie können sich hier den externen Inhalt mit einem Klick anzeigen lassen oder wieder ausblenden.
Ich bin damit einverstanden, dass mir der externe Inhalt angezeigt wird. Damit können personenbezogene Daten an Drittplattformen übermittelt werden. Mehr Informationen dazu erhalten Sie in den Datenschutz-Einstellungen. Diese finden Sie ganz unten auf unserer Seite im Footer, sodass Sie Ihre Einstellungen jederzeit verwalten oder widerrufen können.
Gelbhaar akzeptiert seine Abwahl durch die Partei
Gelbhaar hingegen nahm das Ergebnis für ihn gefasst auf. „Danke an die Menschen, die mich heute auch hier unterstützt haben. Das war für mich sehr wichtig.“ Zugleich akzeptierte er die Entscheidung. „Das ist Demokratie. Ich wünsche Julia ganz viel Erfolg für den Wahlkampf.“ Lange saß er nach der Wahl im Saal. Immer wieder kamen Parteikollegen zu ihm, umarmten ihn, klopften ihm auf die Schulter.
Die Neuwahl war vom Kreisvorstand angesetzt worden, nachdem mehrere Frauen aus der Partei Vorwürfe der sexuellen Belästigung gegen Gelbhaar erhoben hatten. Seither beschäftigt sich die Ombudsstelle der Bundespartei mit dem Fall.
Gelbhaar selbst bestreitet die Vorwürfe und setzt sich juristisch dagegen zur Wehr. Bei der Polizei Berlin hat er zudem Anzeige wegen Verleumdung gestellt.
Kandidatenwahl stößt auf riesiges Interesse bei den Grünen-Mitgliedern
Aufgrund der Vorwürfe hatte der Bundestagsabgeordnete im Dezember bereits kurzfristig auf eine Kandidatur für die Landesliste der Berliner Grünen für die Bundestagswahl verzichtet. Der Kreis- und Landesvorstand der Partei hatten Gelbhaar jüngst auch einen Verzicht auf seine Direktkandidatur nahegelegt. Dieser hielt aber daran fest.

© dpa/Annette Riedl
Nach der anhaltenden Berichterstattung über den Fall war das Interesse unter den Mitgliedern des Kreisverbands am Mittwochabend groß. Mehr als 360 Mitglieder kamen. Der Platz in der Kulturmarkthalle in Prenzlauer Berg reichte nicht aus. Einige mussten die Versammlung aus einem kurzfristig geöffneten Nebenraum verfolgen.
„Das ist die größte Versammlung, die der Kreisverband Pankow je gesehen hat“, sagte die Co-Kreisvorsitzende Maren Bergschneider. Dafür gebe es einen guten Grund. „Es ist der Elefant im Raum“, sagte Bergschneider.
Die Situation seit Dezember sei „eine Belastung“ für den Kreisverband, erklärte sie, ohne Gelbhaar direkt zu erwähnen. Zugleich begründete Bergschneider, warum sich der Kreisverband entschlossen hatte, die Wahl zu wiederholen: „Die aktuelle Diskussion hat nicht nur Folgen für uns als Kreisverband, sondern auch für alle an den Wahlkampfständen und beim Klingeln an den Haustüren im Wahlkampf.“ Man wolle den Mitgliedern daher aufgrund der geänderten Lage erneut die Möglichkeit geben, einen Kandidaten für die Bundestagswahl zu bestimmen.
Es gibt Behauptungen, die gelogen sind. Gegen diese wehre ich mich, und zwar erfolgreich.
Grünen-Bundestagsabgeordneter Stefan Gelbhaar über die Vorwürfe gegen ihn
Bei der Wahlversammlung am Mittwochabend verteidigte sich Gelbhaar erneut. „Es gibt Behauptungen, die gelogen sind. Gegen diese wehre ich mich, und zwar erfolgreich.“ Wer glaube, man könne Politik betreiben, ohne sich auch zur Wehr zu setzen, irre. „In schwierigen Situationen weiche ich nicht aus. Und das ist eine schwierige Situation.“
Es bewege ihn, dass im politischen Raum die Unschuldsvermutung nicht zu existieren scheine, sagte Gelbhaar. „Deshalb versuche ich das, was in einem Rechtsstaat nicht vorgesehen ist: meine Unschuld zu beweisen.“ Entscheidend sei, so der Bundestagsabgeordnete, dass der Kreisverband zusammenhalte. „Am 12.11. habt ihr mir das Vertrauen ausgesprochen. Ich bitte euch erneut um dieses Vertrauen.“
Zugleich räumte Gelbhaar ein, dass sein Umgang als Bundestagsabgeordneter mit anderen Parteimitgliedern nicht immer von allen als richtig empfunden worden sein könnte. „Allein das allgemein zu hören, hat mich getroffen.“
Auch Julia Schneider ging in ihrer Rede indirekt auf die Vorwürfe gegen Gelbhaar ein. „Ich kandidiere heute, damit wir uns wieder auf das Wesentliche konzentrieren können und für einen Kreisverband, in dem Frauen sich sicher fühlen können und gehört werden.“
Wir dürfen nicht politische Karrieren aufgrund von unbewiesenen Vorwürfen beenden.
Grünen-Abgeordneter Andreas Otto mahnt für die Zukunft einen anderen Umgang mit Fällen wie dem von Stefan Gelbhaar an
Die Berliner Abgeordnete erklärte, sich bei einer Wahl für Umwelt- und Klimaschutz einsetzen zu wollen. Zugleich verwies sie darauf, bereits bei der Abgeordnetenhauswahl erfolgreich gewesen zu sein. „Ich habe schon einen Wahlkreis gewonnen und das Ergebnis bei der Wiederholungswahl verbessert. Jetzt will ich für ganz Pankow das Mandat gewinnen“, sagte sie.
Offen bleibt, welche Folgen der Vorgang langfristig für den Kreisverband haben wird und welche Rolle der bisherige Direktkandidat Gelbhaar dort künftig spielen kann und will. „Er hat mehr als ein Drittel der Stimmen gekriegt. Das ist ein Zeichen, dass seine Arbeit geschätzt wird“, sagte der Berliner Abgeordnete Andreas Otto.
Er plädierte dafür, Gelbhaar weiter eng in die Arbeit des Kreisverbands einzubinden. „Unsere Partei kann nicht jemanden wegen unbewiesener Vorwürfe rausschmeißen. Wir müssen diesen Fall aufklären und dafür sorgen, dass er weiter in der Partei mitarbeiten kann.“
Otto macht sich zudem Sorgen, was der Fall grundsätzlich für die Arbeit in der Partei bedeuten könnte. Mit Blick auf die Zukunft mahnte er: „Wir dürfen nicht politischen Karrieren aufgrund von unbewiesenen Vorwürfen beenden.“
- showPaywall:
- false
- isSubscriber:
- false
- isPaid: