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Nazi-Propaganda, Angriffe und Brandanschläge: Neukölln legt ersten Bericht zu Rechtsextremismus im Bezirk vor
Das Bezirksamt des Berliner Bezirks hat erstmals eine Studie zu rechten Straftaten vorgelegt. Zentral sind die rechte Anschlagsserie, aber auch Kontinuitäten rassistischer Gewalt.
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Das Neuköllner Bezirksamt hat erstmals eine Studie zu rechtsextremen Straftaten und der Kontinuität rechter Gewalt im Bezirk vorgelegt. Am Mittwoch wurden die Ergebnisse bei einem Pressegespräch vorgestellt.
Neben der zuständigen Stadträtin Sarah Nagel (Linke) nahmen auch Vertreter:innen verschiedener Beratungs- und Betroffenenorganisationen sowie der Kriminologe Max Laube teil, die jeweils Beiträge für den Bericht verfasst haben.
Der Bericht solle insbesondere aufzeigen, dass rechte Gewalt im Bezirk ein drängendes Problem sei, sagte Nagel. Das Bezirksamt wolle mögliche Maßnahmen aus dem Bericht ableiten, etwa zur Prävention und Schulung von Fachkräften. Zudem wolle das Amt Betroffene rechter Anschläge politisch und praktisch stärker unterstützen.
Die Zahl rechter Straftaten im Bezirk nehme seit einigen Jahren zu. „Es ist noch nicht lange her, dass der letzte Anschlag stattgefunden hat“, sagte Nagel. Im Oktober 2024 hatten Unbekannte etwa die Autoreifen des Rudower Buchhändlers Heinz Ostermann aufgeschlitzt. Ostermann engagiert sich seit Jahren gegen Rechtsextremismus und war bereits mehrfach Opfer von rechten Anschlägen.
Es ist noch nicht lange her, dass der letzte Anschlag stattgefunden hat.
Sarah Nagel, Stadträtin in Neukölln
Der Bericht bezieht sich auf das Jahr 2023: Damals registrierte die Polizei 208 rechte Delikte in Neukölln. Rund die Hälfte der registrierten Vorfälle fallen in den Bereich der Propaganda. Beratungsstellen sehen darin den Versuch von Neonazis, Menschen einzuschüchtern und Stärke zu demonstrieren.
Die Zahlen von Opfer- und Beratungsstellen liegen deutlich höher. Die Neuköllner Registerstelle spricht für den gleichen Zeitraum von 400 Vorfällen. Der Kriminologe Laube begründete das unter anderem mit einem hohen Dunkelfeld.
So würden häufig Personen Opfer rechter Straftaten, die eine geringere Wahrscheinlichkeit aufweisen, diese anzuzeigen – etwa, weil sie einen unsicheren Aufenthaltsstatus, geringe Deutschkenntnisse oder wenig Vertrauen in staatliche Strukturen hätten.
Opfer zeigen rechte Straftaten häufig nicht an
Zudem würde die Polizei Delikte dann registrieren und in die Statistik eingruppieren, wenn sie gemeldet würden – auch wenn das Motiv hinter der Tat vielleicht erst später bei Ermittlungen erkennbar sei, sagte Laue. Er sieht auch die Gefahr, dass Einsatzkräfte rechte Delikte teils gar nicht als solche wahrnehmen. „Die Polizei hat da eine hohe Deutungsmacht“, sagte er.
Schon 2017 hatte die Neuköllner Bezirksverordnetenversammlung das Bezirksamt dazu aufgefordert, jährlich einen entsprechenden Bericht vorzulegen. Damals war die rechte Anschlagsserie im Bezirk auf ihrem Höhepunkt: Zwischen 2013 und 2019 sollen Neonazis im Rahmen des sogenannten Neukölln-Komplexes mindestens 72 Straftaten begangenen haben, darunter 23 Brandanschläge vorwiegend auf Autos politischer Gegner:innen.
Mit Ermittlungspannen und -versäumnissen beschäftigt sich seit 2021 ein parlamentarischer Untersuchungsausschuss im Berliner Abgeordnetenhaus, der in den kommenden Monaten seine Befragungen abschließen soll. Für einige der Straftaten aus dem Komplex, insbesondere für zwei Brandanschläge aus dem Frühjahr 2018, wurden zwei bekannte Neuköllner Neonazis Ende 2024 in zweiter Instanz zu mehrjährigen Haftstrafen verurteilt. Deren Anwälte haben Revision eingelegt, das Urteil ist noch nicht rechtskräftig.
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