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RBB zieht Konsequenzen im Fall Gelbhaar: Programmdirektorin und Chefredakteur legen Ämter nieder
Der RBB hatte bei seiner Berichterstattung über den Grünen-Politiker Stefan Gelbhaar schwerwiegende Fehler gemacht. Nun ziehen Programmdirektorin und Chefredakteur Konsequenzen.
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Der Rundfunk Berlin-Brandenburg (RBB) zieht Konsequenzen aus der fehlerhaften Berichterstattung über den bisherigen Pankower Grünen-Bundestagsabgeordneten Stefan Gelbhaar. Programmdirektorin Katrin Günther und Chefredakteur David Biesinger legen ihre Ämter nieder. Das teilte der Sender am Freitag mit.
Der Sender hatte Ende Dezember 2024 über angebliche Vorwürfe der sexuellen Belästigung berichtet, zog die Beiträge dann aber im Januar wieder zurück. Der Tagesspiegel hatte nachgewiesen, dass sich der Sender auf die eidesstattliche Versicherung einer Frau verlassen hatten, die gar nicht existiert. Die Grünen-Bezirkspolitikerin Shirin Kreße hatte unter falscher Identität die Versicherung unterzeichnet.
Eine „Anne K.“ hatte dem RBB zwar eine eidesstattliche Versicherung vorgelegt, doch der Sender hatte diese nicht ausreichend geprüft. Pikant: Das Justiziariat des RBB hatte alle Berichte zu den Vorwürfen abgesegnet.
In Telefonaten hätte „Anne K.“ den angeblichen Übergriff von Gelbhaar geschildert, persönlich getroffen hatte die Redaktion die Frau nicht. Ihre Identität hatte der Sender nicht überprüft. Dennoch verbreitete der RBB den Vorwurf von „Anne K.“, Gelbhaar habe sie zu einem Kuss gezwungen.

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Auch gravierend war ein weiterer Umstand im Bericht in der „Abendschau“ vom 31. Dezember. Dabei wurde eine „nachgestellte Szene“ gezeigt, die den Austausch des Rechercheteams mit der angeblich betroffenen „Anne K.“ zeigen soll. In der Szene war ein Gespräch zwischen zwei Personen zu erkennen, die sich im selben Raum in der Sendezentrale befinden, mit den roten RBB-Fahnen im Hintergrund. Den Zuschauern wurde also vorgetäuscht, dass die Redaktion „Anne K.“ getroffen hat.
Der Sender gestand später schwere Verstöße gegen die journalistische Sorgfaltspflicht ein. Ende Januar dann untersagte das Landgericht Hamburg auf Antrag die RBB-Berichterstattung komplett.
Wie es zu den personellen Konsequenzen kam
Personelle Konsequenzen blieben jedoch aus – bis zu diesem Freitag. Chefredakteur Biesinger teilte mit, der Neuanfang an der Spitze der Chefredaktion solle „dazu beitragen, die publizistische Reputation des RBB wieder herzustellen“.

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Biesinger hatte zunächst jede Verantwortung für den Gelbhaar-Skandal von sich gewiesen. Er verstehe seine Rolle anders, als sich in jedem Fall direkt einzuschalten, hatte er etwa im RBB-eigenen Medienmagazin gesagt. Intern hatte dies massiven Unmut ausgelöst. Denn tatsächlich hatte Biesinger zumindest davon gewusst, dass Gelbhaar mit Anwälten gegen die Berichterstattung über ihn vorgeht – er hatte jedoch nicht interveniert. Dann kam es zum Skandal-Bericht.
Im Sender hatte es wegen Biesingers Rolle in den vergangenen Wochen rumort, weil er keine Verantwortung übernehmen wollte. Der Redaktionsausschuss forderte mehrfach Konsequenzen und nahm auch die Rolle des Chefredakteurs ins Visier. Zugleich machten im Sender erste Hinweise die Runde, dass Brandenburgs Ministerpräsident Dietmar Woidke (SPD) und Berlins Regierender Bürgermeister Kai Wegner (CDU) auf Bieisingers Ablösung drängten.
Programmdirektorin: RBB hat „insgesamt programmlich versagt“
Auch Programmdirektorin Günther zieht nun Konsequenzen. Sie teilte mit, der RBB habe „in diesem Fall insgesamt programmlich versagt“. Dafür sehe sie sich in der Verantwortung. „Es darf nicht sein, dass der RBB nach einem solchen Fehler einfach wieder zur Tagesordnung übergeht, auch dieses Zeichen ist mir wichtig“, so die Programmdirektorin weiter. „Wir müssen jetzt aber über Strukturen sprechen, nicht über Köpfe.“

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RBB-Intendantin Ulrike Demmer hatte vor wenigen Tagen bereits angekündigt, „dass es Konsequenzen geben wird“. Sie sagte zu den Rücktritten: „Die Führung des RBB steht zu ihrer Verantwortung. Ich respektiere die Entscheidungen von Katrin Günther und David Biesinger und danke den beiden für das starke Signal, persönliche Konsequenzen zu ziehen.“
Und weiter: „Die substanziellen und unmissverständlichen Konsequenzen aus der fehlerhaften Berichterstattung und der Aufarbeitung stellen sicher, dass die hohen Standards, die der RBB hat, auch wirklich angewandt werden.“ Der Anspruch des Senders sei es, „das uneingeschränkte Vertrauen des Publikums in die unabhängige, unvoreingenommene und verlässliche Berichterstattung des RBB wieder herzustellen.“
Unter RBB-Mitarbeitern in der Redaktion wurden am Freitag per Handy viele Nachrichten verschickt. Das häufigste Emoji: Sektgläser und Sektflasche mit knallenden Korken. Kommissarisch soll Stephanie Pieper, bislang Leiterin des Inforadio und des Bereichs Digitales, als Chefredakteurin den Rundfunk Berlin-Brandenburg führen. Wofür Katrin Günther und David Biesinger künftig zuständig sein sollen, ließ die RBB zunächst offen. Über die zukünftigen Aufgaben sei man mit beiden im Gespräch.
Verpflichtende Schulungen zu Verdachtsberichterstattung
Der Sender ordnete laut Mitteilung zudem weitere Änderungen an: Für ähnlich heikle Fälle wie bei Gelbhaar sollen künftig die Investigativ-Einheiten einbezogen werden. Als Lehre aus Biesingers Versagen – er soll besagten Beitrag kurz vor Sendestarte trotz erster Schreiben von Gelbhaars Anwalt freigegeben haben – gibt es auch für die Chefredaktion eine Order, die in anderen Häusern selbstverständlich ist: Sie soll eine aktive Rolle bei der Kontrolle solcher Recherchen wahrnehmen. Hinzu kommen Schulungen zu Verdachtsberichterstattung. Im Fall der Redakteurinnen, die den Gelbhaar-Beitrag gemacht haben, ist senderintern von möglichen Abmahnungen die Rede.
Stefan Gelbhaar macht indes wegen der RBB-Berichte finanzielle Ansprüche geltend. Er fordert Geldentschädigung und Schadensersatz in Höhe von insgesamt 1,7 Millionen Euro. Beim größeren Teil der Summe, 1,2 Millionen Euro, gehe es um Schadensersatz. Gelbhaars Anwalt begründete die Forderung damit, dass dem Politiker Einnahmen entgehen würden, die er bei der Wiederwahl in den Bundestag in den kommenden Jahren erzielt hätte.
Gelbhaar verlor durch die Vorwürfe zunächst einen aussichtsreichen Platz auf der Landesliste der Grünen. Nach dem RBB-Bericht korrigierte der Kreisverband Pankow dann noch seine Wahl zum Direktkandidaten.
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