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Wird Brandenburgs Gesundheitsministerin Diana Golze (Die Linke) den Pharmaskandal politisch überleben?

© Britta Pedersen/dpa

Skandal um illegalen Medikamentenhandel: Diana Golze kämpft ums politische Überleben

Brandenburgs Gesundheitsministerin ist nach dem Pharmaskandal angeschlagen. In dem Land sind Minister schon für geringere Verfehlungen zurückgetreten.

Als wäre nichts gewesen. Kein Pharmaskandal um möglicherweise unwirksame Krebsmedikamente, um Behördenversagen, um eine politische Führung, die nichts gewusst haben will oder nichts unter Kontrolle hatte. Einen Tag nach der Sondersitzung des Gesundheitsausschusses des Landtags Brandenburg in der parlamentarischen Sommerpause lächelt Gesundheitsministerin Diana Golze (Linke) am Donnerstag wieder in die Kameras.

Es ist ein gemeinsamer Termin mit Berlins Gesundheitssenatorin Dilek Kolat (SPD) in den Havelland-Kliniken in Nauen. Sie sprechen über die Krankenhausplanung, über Alters- und Telemedizin. Tags zuvor musste Golzes Staatssekretärin Almuth Hartwig-Tiedt (Die Linke) eingestehen, dass es sich wohl nie mit Gewissheit sagen lasse, ob Krebspatienten in Deutschland schädliche Mittel für die Chemotherapie verabreicht worden sind. Für die Betroffenen und deren Familie der pure Horror.

Von Aufklärung weit entfernt

Bislang hat nur die AfD den Rücktritt von Golze gefordert. Die CDU hält sich noch zurück: Eine angeschlagene Ministerin der Linken nutzt ihr ein Jahr vor der Landtagswahl mehr. Die SPD ist in der rot-roten Koalition schon mal auf Abstand gegangen. Ministerpräsident Dietmar Woidke mahnte Aufklärung an und geht davon aus, dass Golze alle offenen Fragen beantwortet.

Doch davon ist die Ministerin weit entfernt, wie die SPD-Landtagsfraktion erklärte. Die hält sich alles offen – bis hin zum Rücktritt von Golze. SPD-intern ist von einer katastrophalen Lage die Rede. Nur die Linke hält eisern zu Golze – nach außen. Er habe Vertrauen in ihre Führungsstärke, sie werde alles vorbehaltlos aufklären, sagte Finanzminister Christian Görke, der auch Vizeregierungschef ist.

Doch hinter vorgehaltener Hand wird Golze ein desaströses Krisenmanagement vorgeworfen – weil sie zu langsam auf die Skandalenthüllungen des ARD-Magazins „Kontraste“ vor zwei Wochen reagiert hat. Aber ein Rücktritt? Golze ist nicht nur Ministerin, sondern seit März auch Co-Landesparteichefin, damit sie Spitzenkandidatin wird.

Nun ist sie angeschlagen. In der Partei werden Zweifel laut, ob Golze das durchsteht, auch körperlich. Vor einem Jahr hatte sie im Sommerurlaub auf einem Zeltplatz in Italien bei einem Sturm durch einen herabgestürzten Baum eine schwere Rückenverletzung erlitten, musste mehrmals operiert werden.

Ministerrücktritte gab es schon wegen geringerer Verfehlungen

Im Pharmaskandal geht es bei Golze nicht um persönliche Verfehlungen. Aber es geht um Leben und Tod von Patienten, wobei nicht einmal klar ist, wieviele betroffen sind. Und es geht um die Frage, wie es dazu kommen konnte. Um politische Verantwortung.

In Brandenburg sind Minister schon wegen geringerer Verfehlungen zurückgetreten. Meist weil sie ihr Amt für persönliche Vorteile nutzten. Und weil die Krisenkommunikation alles andere als professionell war, nachdem die Presse die Fälle aufgedeckt hatte.

Weil sie erst Fehler eingestanden haben, als es längst zu spät war. So war es bei Helmuth Markov, der als Justizminister meinte, er könne mit einem Transporter aus dem Landesfuhrpark sein Motorrad in eine Werkstatt nach Leipzig bringen. Anstatt einen Fehler einzugestehen, versuchten er und seine Genossen, die klaren Gesetzesregeln umzudeuten. Im April 2016 trat Markov dann zurück.

Sein Amtsvorgänger Volkmar Schöneburg (Linke) musste Ende 2013 seinen Hut nehmen, weil er sich für zwei inhaftierte Verbrecher stark gemacht hat, die er mal als Anwalt betreut hat. Anfang 2011 trat Ex-Bildungsminister Holger Rupprecht (SPD) zurück, weil er mit einem Luxus-Leihwagen auf Staatskosten seine Familie in den Ski-Urlaub kutschierte – als Test für einen neuen Dienstwagen. Im September 2010 ging Ex-Innenminister Rainer Speer (SPD), weil er jahrelang keinen Unterhalt für ein uneheliches Kind zahlte.

Schließung von Lunapharm war schon im Frühjahr 2017 möglich

Nun also Golze. Nach dem „Kontraste“-Bericht hatte sie erst einen Beamten vorgeschoben, der erklärte, die Krebsmedikamente seien sicher. Tage später ruderte Golze – persönlich – zurück. Und sie musste eingestehen, dass das Landesgesundheitsamt, das dem seit 2014 von Golze geführten Ministerium untersteht, nicht energisch und nicht schnell genug gegen den Pharmahändler Lunapharm in Mahlow vorging.

Obwohl es seit Ende 2016 Hinweise gab, dass der Händler Krebsmedikamente aus Griechenland bezogen haben soll, die dort aus Krankenhäusern seit 2013 gestohlen wurden. Und die möglicherweise unwirksam sind, weil sie falsch gelagert wurden. Diese wurden von Mahlow aus in elf Bundesländer verkauft. Erst vor wenigen Tagen zog Golze die Reißleine, ließ den Betrieb dicht machen. Doch das wäre schon im Frühjahr 2017 möglich gewesen, sagte sie nun.

Bislang zieht sich die Ministerin darauf zurück, Opfer von mindestens zwei Beamten des Landesgesundheitsamtes für Arzneimittelaufsicht geworden zu sein, die die Behördenleitung nicht informiert hatten. Und die von Golze verdächtigt werden, bestechlich zu sein. Statt „fachliches Versagen“ sieht sie Vorsatz. Die Staatsanwaltschaft prüft die Vorwürfe nun, ein Ermittlungsverfahren, einen Anfangsverdacht aber gibt es noch nicht.

Golze steht politisch in der Verantwortung

Aber was, wenn die Ermittler nichts finden? Dann bleibt Golzes Aussage, sie habe sich zu lange auf Informationen von Mitarbeitern verlassen, denen sie vertraut habe. Nun will sie die Überwachungs- und Aufsichtsbehörde auf den Kopf stellen, will den von der Opposition attestierten Kontrollverlust wettmachen. Dabei wäre das ohnehin die Aufgabe der Ministeriumsspitze, nämlich die Kontrolle zu behalten über den Beamtenapparat – und politisch zu führen. Vertrauen reicht da nicht.

Politisch ist Golze verantwortlich dafür, dass die Arzneimittelaufsicht funktioniert. Genau das ist nicht der Fall. In Brandenburg gibt es 68 Pharmabetriebe mit Herstell- und 90 mit Großhandelserlaubnis, einige – wie bisher auch Lunapharm – haben beides. Der Stellenplan für die Arzneimittelkontrolle sieht acht Apotheker mit Spezialausbildung vor, doch es sind derzeit nur vier, zwei waren ohnehin ins Ministerium abgeordnet.

Und nun sind von den vier Fachleuten zwei suspendiert – wegen Korruptionsverdachts. Eine Expertin geht demnächst in den Ruhestand. Für viele sei der Job am Amtsstandort Wünsdorf, 50 Kilometer von Potsdam entfernt, nicht attraktiv. Jetzt sollen andere Bundesländer in Brandenburg aushelfen.

Lunapharm belieferte mindestens zwei Berliner Apotheken

Golze hätte auch wissen können, dass es Probleme gibt. Schon Anfang 2016 warnten die Arzneimittelaufseher. Weil zu viel zu tun ist, sich durch die Förderpolitik das Landes zahlreiche weltweit agierende Unternehmen angesiedelt und Start-ups gegründet haben. Weil die Inspektionen aufwändig sind, das Personal fehlt. In dem Schreiben von Januar 2016 wird daran erinnert, dass „es um das höchste zu schützende Gut des Menschen geht – die Gesundheit“.

Das Landesamt machte damals aber auch auf die „Tragweite von Untersagungen und Rückrufen“ aufmerksam, und wie verloren die Behörden zuweilen sind – weil sie Lobbyisten gegenüberstehen, Heerscharen von Juristen, „ganzen Rechtsabteilungen oder renommierten Fachanwaltskanzleien“. Kleine und große Unternehmen scheuten „den Weg in die politische Ebene“ nicht. Dort ist der Skandal jetzt angekommen.

Am Abend meldete sich dann Golzes Amtskollegin Kolat wegen des Medikamentenrückrufs noch einmal aus Berlin: Eine zweite Berliner Apotheke ist von Lunapharm beliefert worden, die Mittel gingen an fünf Arztpraxen und medizinische Einrichtungen, davon drei in Berlin. Weil in Brandenburg ein Behörde ihre Aufgaben nicht erfüllt hat.

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