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Herrendoppel. Christian Lindner und Wolfgang Kubicki kämpfen in zweifacher Mission.

© Christoph Schmidt/dpa

FDP-Parteitag: Eine Männerfreundschaft bis zur Bundestagswahl

Am Anfang stand ein Schwur an der Bar: Wir bringen die FDP wieder in den Bundestag. Christian Lindner, der Parteichef, und Wolfgang Kubicki, der Quertreiber, wissen, dass es ihr letzter Versuch ist.

Sie werden es krachen lassen. Egal, wie es ausgeht. Spätestens um Mitternacht nach der Bundestagswahl am 24. September werden sie im guten, alten West-Berlin, Fasanen-/Ecke Kantstraße, sich in tiefen Ledersesseln fläzen, Zigarren qualmen und saufen. Das ist ein Versprechen, das sich beide gegeben haben. Der Alte hat es dem Jungen gerade noch einmal abverlangt. Und der Junge hat es per SMS bestätigt. Times Bar, Hotel Savoy. Hier hat ihre Beziehung vor vier Jahren richtig begonnen, hier haben sie sich nachts ausgemalt, was am Ende herauskommen soll: die Rückkehr ihrer Partei, der FDP, in den Deutschen Bundestag.

Wolfgang Kubicki und Christian Lindner haben in jener Nacht noch einen Schwur per Handschlag abgelegt: Bis zum Tag der Bundestagswahl wird keiner den anderen öffentlich kritisieren. Bisher hält die Abmachung.

Wenige Tage vor dem dreitägigen Bundesparteitag in Berlin, der an diesem Freitag beginnt, sitzt Wolfgang Kubicki zu Hause in Strande, einem kleinen Ort an der Kieler Bucht, hält ein Glas Weißwein in der Hand, schaut aufs Meer und sagt: „Ich und Christian Lindner – wir verstehen uns blind.“ Kubicki, Fraktionschef in Schleswig-Holstein und Parteivize der Bundespartei, ist jetzt 65 Jahre alt und seit mehr als 46 Jahren Mitglied der Liberalen. Er tritt zum siebten Mal als Spitzenkandidat in einer Landtagswahl an, ein einsamer Rekord. Und jetzt also noch eine Rolle im Bund, die er über alles liebt: Held und Retter! Würde Kubicki im Wilden Westen leben, er würde in diesem Moment seinen rauchenden Colt ein paar Mal um den Zeigefinger schwingen lassen.

Damit ihm sein Satz über sich und Lindner nicht zur Floskel gerät, fügt er noch eine Erklärung an. Er habe in den letzten Jahren nie das Gefühl gehabt, er müsse Lindner inhaltlich kritisieren. Dabei war er doch eigentlich immer der Quertreiber aus dem hohen Norden, scheinbar ein Alleingänger und Nörgler, der den Eindruck erweckte, immer alles besser zu wissen, der jede Parteispitze anging, egal, wer das Amt vertrat.

Er weiß schon, dass er die Hauptrolle des Retters nicht allein ausfüllt – so altersmilde ist er. Aber im Restaurant des Strandhotels wird deutlich, dass es für Kubicki rote Linien gibt, dass er öffentlich aufstehen würde, wie er sagt, sollte eine strategische Entscheidung die Partei gefährden. Wie harmonisch und wetterfest kann diese Beziehung wirklich sein, wie lange hält der Schwur?

Freunde auf Zeit, Parteifreunde oder Freunde fürs Leben? Christian Lindner (l) und Wolfgang Kubicki.
Freunde auf Zeit, Parteifreunde oder Freunde fürs Leben? Christian Lindner (l) und Wolfgang Kubicki.

© Angelika Warmuth/dpa

Christian Lindner ist 38 Jahre alt, aber auch schon seit knapp 20 Jahren im politischen Geschäft. Er ist einst der jüngste Abgeordnete im Landtag von NRW gewesen, er war der jüngste Generalsekretär seiner Partei, und nun ist er eben der jüngste Parteichef der Geschichte. Beide sagen, sie müssten sich beweisen, dass sie die FDP zurückführen können in den Bundestag. Sie sagen aber auch: Noch einmal würden sie einen solchen Kraftakt nicht auf sich nehmen. Wenn sie ihr Ziel verfehlen, wird Wolfgang Kubicki auf ewig in Strande bleiben, und Christian Lindner wird aufhören mit der Politik.

Nun steht nicht nur der Bundesparteitag an, sondern auch die Landtagswahlen in Schleswig-Holstein und Nordrhein-Westfalen. Beide kämpfen in doppelter Mission, und beide, die Umfragen zeigen es, könnten in ihren Ländern zweistellige Ergebnisse erzielen. Kubicki ist wieder Spitzenkandidat der FDP in Schleswig-Holstein, kandidiert aber auch für den Bundestag. Christian Lindner ist bei beiden Wahlen der Frontmann. Doch das eigentliche Wunder der neuen FDP würde nicht darin bestehen, dass sie den Einzug ins Parlament schafft, sondern dass Kubicki und Lindner sich tatsächlich verstehen könnten – und nicht auf Zeit nur so tun.

Die alte FDP, bevor sie 2013 aus dem Bundestag flog, war traditionell eine Intrigen-Partei. Im Präsidium traute niemand dem anderen über den Weg, es wurden Parteifreunde genauso selbstverständlich persönlich attackiert wie parteiinterne Beschlüsse oder Absprachen sofort nach draußen lanciert. Man gönnte dem anderen nichts.

Sollte die FDP es dieses Mal schaffen, würde der ganze schöne Ruhm vermutlich nicht artig aufgeteilt werden können, denn so funktioniert öffentliche Wahrnehmung ja nicht – er fiele nur dem einen zu: dem Parteichef.

Vier Jahre sind ins Land gegangen, seitdem Lindner und Kubicki sich entschlossen haben, als Team aufzutreten. Am Abend der für die Liberalen so katastrophal verlaufenen Bundestagswahl sitzt Lindner im Hotel Savoy, Times Bar, und hat schon ein paar Drinks genommen. Er selbst war Ende 2011 als Generalsekretär zurückgetreten und nach NRW gegangen, wo er die Partei trotz der schwierigen Lage der FDP im Bund im Landtag hielt. Auch das hat Kubicki imponiert. Er selbst schaffte es 2012 in Kiel ebenfalls, wenn auch mit hohen Verlusten.

Der FDP-Bundesvorsitzende Christian Lindner (l) und Wolfgang Kubicki (r), stellvertretender Bundesvorsitzender der FDP, unterhalten sich mit der Hamburger FDP-Partei- und Fraktionsvorsitzenden Katja Suding.
Der FDP-Bundesvorsitzende Christian Lindner (l) und Wolfgang Kubicki (r), stellvertretender Bundesvorsitzender der FDP, unterhalten sich mit der Hamburger FDP-Partei- und Fraktionsvorsitzenden Katja Suding.

© Bernd von Jutrczenka/dpa

Lindner hatte an jenem Abend schon mit Hermann Otto Solms gesprochen, dem alten Schatzmeister, und ihn gefragt, ob er ihn unterstützen würde, wenn er nach dem Amt des Parteichefs greift. Und Solms hatte zugesagt. Also bittet Lindner Kubicki ins Savoy. Heute erzählt Kubicki die Geschichte so: Alle seien nicht mehr so ganz nüchtern gewesen, Lindner fragte, ob Kubicki sein Generalsekretär werden wolle. Im Strandhotel in Strande grinst Kubicki: Wie hätte das ausgesehen, „ich mehr General als Sekretär“, und dann stehe Lindner neben ihm und alle denken, das sei sein Sohn.

Schon diese Ur-Geschichte macht deutlich, dass hier zwei zusammenstehen sollen, die die Dinge gern allein bestimmen. Kubicki wollte kein Generalsekretär unter Lindner sein, weil sonst die Machtverhältnisse klar gewesen wären. Lindner Koch, Kubicki Kellner. Das war eine rote Linie. Der junge Parteichef wird sie nicht ohne Hintergedanken ausgetestet haben.

Christian Lindner spricht öffentlich nicht über Kubicki, er ist da sehr viel vorsichtiger. Man darf nur wissen, dass beide mit den Ehefrauen regelmäßig einen kurzen, gemeinsamen Urlaub machen. Auf Sylt und Mallorca. Da sei Vertrauen gewachsen, heißt es knapp. In Wahrheit müssen sich beide schon deshalb blind verstehen, weil sie sich angesichts zahlloser Termine kaum sehen, kaum Zeit ist zu sprechen. Den nächsten Strandspaziergang haben sie sich für nach der Bundestagswahl vorgenommen.

Kubicki liebt gute Sprüche

An einem Freitag im anbrechenden Frühling sitzt der FDP-Chef im Garten des Hans-Dietrich-Genscher-Hauses, der Bundesparteizentrale in Berlin, und ist unverschämt gut gelaunt. Dabei hat er wie jede Woche im Wahlkampf an jedem Tag vier Termine absolviert und dazu mehrere Interviews gegeben. 2014 hatte Lindner einen innerparteilichen Prozess für ein neues Leitbild eingeleitet, bei dem sich die ganze Basis, alle Landesverbände mitgenommen fühlten. Im November 2016 hatte Lindner noch mit tiefen Augenringen in seinem Büro gesessen, die Spuren der Arbeit waren gut sichtbar. Außerdem ist es anstrengend, immer so tun zu müssen, als ob man nie zweifelt. Jetzt, auf der Zielgeraden, fühlt sich Lindner wohler. Jetzt kann er die Lage selbst beeinflussen. Wie er sich fühlt? „Wie ein Rennpferd in der Box.“

Kubicki hat die Suche nach dem neuen Leitbild weniger interessiert, das Basisdemokratische ist nicht so seins. Lange kannten sich die beiden Spitzenmänner nur aus der Ferne, und Lindner ist Menschen gegenüber, die er nicht gut kennt, misstrauisch. Kubicki gilt als einer, der jedem direkt sagt, was er denkt. Über Lindner urteilte Kubicki schon 2010 auf die Frage, wer Westerwelle einmal folgen könnte: „Wir haben den jungen General Christian Lindner, ein Juwel der Partei. Sie merken ja, dass ich selbst sehr eitel bin, aber dieser Lindner ist wirklich gut.“

So geht das immer mit Kubicki: Niemals verkniffen, aber total klar in der Botschaft; lieber als Macho gelten, als sich einen guten Spruch verkneifen; die Politik und die Menschen, für die man sie macht, ernst nehmen, aber vor allem auch das eigene Leben – das ist seine Einstellung. Kubickis radikale Art, einfach der zu sein, der er ist, imponiert Lindner, weil dahinter die Kunst steckt, Mensch zu bleiben in der Politik, geerdet – nur dann kann man glaubhaft eigene Überzeugungen vermitteln. Das ist den Liberalen vor dem Rauswurf 2013 nie gelungen. Die Besserverdiener hätte man ihnen vielleicht verziehen, aber nicht die Besserwisser.

Wind, Meer und schnelle Boote mag Wolfgang Kubicki. Der ehemalige, verstorbene Bundesaußenminister Guido Westerwelle (links) war gerne Gast in Kubickis Heimat in Schleswig-Holstein.
Wind, Meer und schnelle Boote mag Wolfgang Kubicki. Der ehemalige, verstorbene Bundesaußenminister Guido Westerwelle (links) war gerne Gast in Kubickis Heimat in Schleswig-Holstein.

© Axel Heimken/dpa

Lindner weiß, dass er in seinem Alter kein Kubicki sein kann. Mit 38 so schnoddrig, das geht nicht. Aber er beobachtet genau, wie Kubickis Welt funktioniert; in Strande kann man sie erleben. Vor einer Woche beim 20. Geburtstag des FDP-Ortsvereins sind alle gekommen, die im Örtchen etwas zu sagen haben, auch der Bürgermeister der CDU. Plötzlich tritt der SPD-Ortsvorsitzende spontan ans Mikrofon und wirbt dafür, dass „der Kubicki in Berlin mit dem Martin Schulz ein sozialliberales Bündnis“ schmieden solle. Gelächter. Grüne, Linke oder AfD gibt es hier in Strande nicht. Die FDP hat bei der letzten Wahl 27 Prozent erreicht, der Ortsverein ist mit seinen 62 Mitgliedern gemessen an der Einwohnerzahl von 1500 einer der erfolgreichsten im ganzen Land.

Kubicki wird hier nur „der Chef“ genannt, und seine Frau, die Anwältin und erfolgreiche Strafverteidigerin Annette Marberth-Kubicki, die dem Ortsverein seit 2012 vorsteht, wird „Königin“ gerufen. Was wie aus der Zeit gefallen wirkt, ist hier gelebte Frotzelei unter Bürgern, die nicht alle Freunde sind, aber eben auch keine Feinde. Sie helfen sich und anderen. Das bürgerliche Milieu hat hier viel Herz und große Klappe, dazu gutes Essen und viel Wein – soziales Engagement ist selbstverständlich.

Kubicki nennt das schlicht Lebensgefühl. Er sagt: „Wenn man als Politiker kein Lebensgefühl mehr vermitteln kann, sollte man gehen.“

Männerfreundschaft zählt

Zum echten Lebensgefühl gehört auch eine echte Männerfreundschaft. Früher war Kubicki eng befreundet mit Jürgen W. Möllemann und loyal bis zum Ende. Einmal rutscht ihm im Gespräch in Strande heraus, dass es mit Lindner ein bisschen wie mit Möllemann ist. Aber in Strande gibt es noch einen anderen, wirklichen Männerfreund: Jürgen Nehm, den alle nur Vaddi nennen, und den Kubicki seit mehr als 26 Jahren kennt.

Sie haben ein Schiff, sie gehen, wenn Kubicki da ist, jeden Sonntagabend in die Sauna und trinken dabei Wein, und Vaddi sagt: „Ich muss mich beeilen, als Erster einzuschlafen, denn der Wölfi schnarcht.“ Vaddi findet, es sei völlig egal, wie lange der Wölfi mal weg sei, wenn er wiederkomme, ist es wie immer. Nichts kann die Freundschaft ändern. Sie funktioniert ohne Schwur und hat keine roten Linien. Sie ist ja auch privat.

Jürgen Nehm ist früher auf Schiffen gefahren und hat deren Maschinen geölt, später war er Motorradhändler, und heute hat er ein Weingeschäft. Er ist Kubickis Wagenburg, seine direkte Erdung zu den einfachen Menschen. Kubicki nimmt ihn auf viele politische Termine mit. Und wenn der dann beispielsweise anfängt, in einer Fernsehsendung Unsinn zu reden, dann gibt ihm Vaddi ein Zeichen, weil er immer so sitzt, dass Kubicki ihn sehen kann.

Männerfreunde sagen sich schonungslos die Meinung, so hat es Kubicki immer gehalten, das heißt für ihn nicht, dass man illoyal wäre. Er findet, dass Lindner zeitweise schon zu viel Westerwelle-Attitüde zeige, es ärgert ihn, dass es im Umfeld des Parteichefs offenbar Leute aus der Westerwelle-Zeit gebe, die ihn falsch beraten. Man kann das so übersetzen: Wenn man sich Kubicki als Männerfreund an die Seite holt, soll man gefälligst auch Kubicki um Rat fragen.

Diejenigen in der Partei, die Lindner und Kubicki schon lange kennen, sagen: Es sei „die Akzeptanz der gegenseitigen Stärken“, die das Verhältnis stabil halte. Aber es gibt auch eine Schwäche, die der kluge Kubicki nie zugeben würde: Im Herzen ist er ein Romantiker, er glaubt an Männerkumpanei, die auf Handschlag basiert und einem ordentlichen Besäufnis. Du und ich, wir regeln das! Lindner ist anders. Kühler. Er hat das Für und Wider dieser Freundschaft gewiss sehr sorgfältig gewogen und beschlossen, dass das Restrisiko klein genug ist, um es einzugehen.

Aber hinter der harmonischen öffentlichen Arbeitsteilung gibt es Dissens. Kubicki ist anders als Lindner für die Aufhebung der Sanktionen gegen Russland. Außerdem hält der Kieler nichts davon, Koalitionen mit SPD oder Grünen auszuschließen. Lindner hat dies für Nordrhein-Westfalen getan, Kubicki findet das persönlich falsch, sagt öffentlich aber: „Ich kann nachvollziehen, warum Christian Lindner die Ampel in NRW ausgeschlossen hat. Auch mich stört diese Attitüde der Grünen, andere ständig moralisch zu diskreditieren.“ Sozialliberal ist für Kubicki kein Problem, die Ampel im Bund schon gar nicht. Bei Lindner weiß man nie, ob er am Ende nicht doch noch die Ampel im Bund ausschließt.

Dann würde der Schwur aus der Times Bar nicht halten.

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