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Metallisch, kühl, deutsch. Politik-Beraterin Ingeborg (Christiane Paul) erteilt dem Neu-Brüsseler Samy Nachhilfe in Sachen Verhandlungskünste und Durchsetzungskraft. Das ist wohl auch eine Hommage an Bundeskanzlerin Merkel.

© WDR/Jo Voets

Brüssel-TV-Satire „Parlament“: Hai life

Die ARD-Serie „Parlament“ mit Christiane Paul macht aus dem Alltag der EU-Abgeordneten in Brüssel amüsante Politsatire.

Stand:

Ist der Hai nun ein gutes oder ein böses Tier, und was hat die Antwort auf diese Frage für Auswirkungen auf Haifisch-Fangquoten in Spanien oder Frankreich? Ist das Wohl dieser Tiere für Europa genauso wichtig oder weniger wichtig als das Thema Rechtspopulismus? Und wieviele Hintergrundgespräche und Verordnungen braucht es, um das alles heraus zu bekommen?

Das fragt sich mitunter, wer abends in der „Tagesschau“ Bilder und Kommentare aus Brüssel sieht und hört. Fakt ist, dass der Alltag der EU-Abgeordneten bei all den kleinteiligen Fragen zu dröge für gute Fernsehunterhaltung zu sein scheint. Brüssel? Lustig ist das doch nicht. Das Gegenteil beweist die ARD mit ihrer am Dienstag auf One startenden Politsatire „Parlament“ (20 Uhr 15, alle zehn Folgen in der ARD-Mediathek).

Das hat ein bisschen was von Kafka. Alleine schon, wie der neu nach Brüssel kommende Assistent Samy Kantor im Parlament mit großen Augen durch von Neonlicht bestrahlte Gänge irrt, und hinter großen Glasfassaden, wo bekanntlich auch nachts noch Licht brennt, verzweifelt nach Abgeordneten sucht, die ihm irgendwie erklären können, wie Politik in Brüssel funktioniert.

Der junge Mann hat bei dem französischen Abgeordneten Michel Specklin angeheuert. Das ist ein ziemlich kurz belichteter Vertreter seiner Gattung, dem in Verhandlungen ins Ohr eingeflüstert werden muss, was es mit dem Gesetzentwurf gegen das sogenannte Finning, das Abtrennen von Haifischflossen, auf sich hat.

Klar, die Serie scheut keine Klischees. Jedes Land kriegt sein Fett ab. Blasierte Kommissionsvertreter, Empfänge, auf denen reichlich Alkohol fließt, eine zynische Brexiteer-Abgeordnete, die nichts zu tun hat und endlos den Satz „Brexit means Brexit“ in den PC tippt, windige Lobbyisten, die metallisch kühle deutsche Polit-Beraterin Ingeborg, grandios gespielt von Christiane Paul, die Samy Nachhilfe in Sachen Verhandlungskünste erteilt (wohl eine Hommage an die Bundeskanzlerin) sowie bezaubernde, blonde Skandinavierinnen unter Rechtspopulismus-Verdacht wie Maja Karlsson, die sich ein Hitlerbärtchen aus Bierschaum antrinkt und Samy schöne Augen macht.

Als sich Maja während einer Knutscherei mit Samy vor Kollegen im Bad verstecken muss, freut sie sich hinterher: Sie habe sich gefühlt wie Anne Frank.

Darf man über die EU überhaupt noch Witze machen?

Derlei Witze muss man erst mal mögen. Ansonsten viel Dialog, durchaus mit Ermüdungsgefahr. Hauptsprachen sind Englisch und Französisch, versehen mit Untertiteln, eine ungewohnte, für Authentizität sorgende Übung im deutschen Unterhaltungsfernsehen. Dazu flotte Kameraführung, Musik und Schnitt fürs Youtube-verwöhnte Zielpublikum, von ferne erinnernd an die Miniserie „Fett und Fett“, die 2019 beim ZDF lief, nur labyrinthischer.

Und dann hat das Ganze, bei allem Kafka, bei aller Satire, ja durchaus didaktischen Charakter. Der Brexit, eine desaströse Flüchtlingspolitik und immer mehr Populisten, darf man über die EU überhaupt noch Witze machen? „Ich glaube sogar, dass man das muss“, sagt Christiane Paul im Interview mit der KNA. Die Art von „Parlament“, Brüssel mit Satire, Komik und Klischees beizukommen, bringe einem den EU-Kosmos näher, als es eine Dokumentation tut.

„Das große Problem an der EU ist doch, dass sie immer noch weit weg ist. Früher haben wir Witze darüber gemacht, dass ausgediente Politiker in das Europaparlament abgeschoben werden.“ Dabei sei es wichtig, dass wir Europäer gemeinsame Ziele verfolgen. „Wir brauchen die EU. Allein die Tatsache, dass wir hier seit langem keinen Krieg mehr gehabt haben. Vieles von dem, was wir inzwischen für selbstverständlich halten, ist hart erkämpft. Wir erleben gerade in Weißrussland mit, wie es ist, wenn Meinungsfreiheit und Demokratie sterben.“

Wohl wahr. Und wohl dargeboten von einem erstaunlichen Cast. In den Dienst der unterhaltsamen politischen Bildung haben sich, neben Christiane Paul, Philippe Duquesne als Michel Specklin sowie eine Reihe frischer Filmgesichter gestellt. Allen voran Xavier Lacaille als stets verwirrt-überforderter Samy Kantor sowie der Wiener Lucas Englander als leicht größenwahnsinniger Assistent von Ingeborg Becker.

In Frankreich, Spanien und Belgien stieß diese Serie auf positives Echo. Es gehe nicht nur um die schnelle Pointe, lobte „Le Monde“. Das Publikum lerne zugleich „eine Menge über den Prozess der europäischen Gesetzgebung“. Eine TV-Serie als gute Ergänzung zu „Herr Sonneborn geht nach Brüssel – Abenteuer im Europaparlament“, dem Buch des Satirikers Martin Sonneborn, der seit 2014 Mitglied des Europäischen Parlaments ist.

„Parlament“ sieht jedenfalls bemerkenswert gut aus neben vielen Versuchen aus Deutschland („Kanzleramt“, "Eichwald, MdB"), den Politikbetrieb unterhaltsam näher zu bringen. Die nächste Debatte über Haiflossen wartet schon. So geht es wohl zu auf den Fluren in Brüssel und Straßburg.

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