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ProSiebenSat.1 gehört jetzt Berlusconi : Wie bedroht ist die mediale Unabhängigkeit?
Die Holding MediaForEurope (MFE) der Berlusconi-Familie hat ProSiebenSat.1 übernommen. Die Bundesregierung ist besorgt. Wie unabhängig wird der Sender bleiben? Unsere Experten geben Antworten.
- Annette Jael Lehmann
- Bjørn von Rimscha
- Mika Beuster
- Björn A Kuchinke
- Philipp Blanke
Stand:
Gut sechs Jahre nach ihrem Einstieg bei ProSiebenSat.1 ist die italienische MFE-Holding der Familie Berlusconi am Ziel: Sie hält die Mehrheit und hat künftig das Sagen beim bayerischen Fernsehkonzern. MFE erhöhte zuletzt den Druck auf den Aufsichtsrat: Sollte kein Mitglied des Kontrollgremiums zurücktreten, werde man einen neuen Aufsichtsrat vorschlagen, hieß es. Die Kontrolle wäre dann perfekt.
Die Bundesregierung hatte sich in der Vergangenheit besorgt über die Auswirkungen einer Übernahme durch MFE auf die journalistische Unabhängigkeit des Senders geäußert. Kulturstaatsminister Wolfram Weimer (parteilos) sagte nach einem Treffen mit der MFE-Führung, die redaktionelle Unabhängigkeit sei von zentraler Bedeutung, sie dürfe nicht angetastet werden.
Doch was haben die Italiener mit ProSiebenSat.1 überhaupt vor? Laut ersten Mitteilungen setzt MFE auf ein lokales Angebot mit heimischer Produktion für ProSiebenSat.1, mit mehr Nachrichten, mehr Unterhaltungssendungen und mehr Fernsehserien. Mittelfristig sollen weniger Formate zugekauft werden. Besonders für ProSieben, die gefühlt in Dauerschleifen US-Serien wie „The Simpsons“ oder „Big Bang Theory“ zeigen, wäre das eine Neuerung.
MFE-Gründer Silvio Berlusconi (verstorben 2023) hatte sein Sender-Imperium in Italien dazu genutzt, sich seinen Weg an die Staatsspitze zu ebnen: Viermal war er italienischer Ministerpräsident, unabhängig waren seine Programme nie. Belusconis Erben an der Spitze von MFE versuche zwar zu beschwichtigen. Aber wie bedroht ist die mediale Unabhängigkeit von ProSiebenSat.1 nach der Übernahme durch MFE wirklich? Unsere Experten geben Antworten.
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Es gibt keine Stimme weniger im Markt
Laut Medienvielfaltsmonitor der Medienanstalten hat ProSiebenSat.1 5,1 % Anteil am „Meinungsmarkt“ und liegt damit auf Platz 6 der einflussreichsten deutschen Medienkonzerne. An herausragende Beiträge zum deutschen Journalismus in den ProSieben‑Newstimes wird sich kaum jemand erinnern. Die Befürchtung, es werde schlechter, wirkt wie eine Verklärung der Vergangenheit. Es gibt keine Stimme weniger im Markt, nur einen neuen Eigentümer, der Gewinn erzielen will. Die tatsächliche Relevanz für die Meinungsbildung ist wohl noch geringer.
Für viele ist Social Media die Hauptnachrichtenquelle und sie registrieren selten, welche Quelle ein Post hat. Andere fragen KI‑Chatbots über die Welt aus. So haben Plattform‑Algorithmen und potenziell verzerrte KI‑Modelle mehr Einfluss auf die Nachrichtendiät der Deutschen als Unterhaltungs-TV, das nach Mailand berichten muss. Die Übernahme durch MFE ist eine Konsolidierungsfusion in einer Branche, die ihre besten Zeiten hinter sich hat. MFE will Synergien und Größenvorteile nutzen, um Rückgänge im Werbegeschäft zu kompensieren.
MFE steht für Populismus und Polarisierung
Das Interesse des Berlusconi-Medienkonzerns MFE am deutschen Fernsehkonzern ProSiebenSat.1 ist verständlich. Die Gruppe ist Nummer zwei nach RTL bei den privaten Anbietern. Deutschland ist ein attraktiver Markt – auch wenn Werbeerlöse immer mehr zu den US-Plattform-Giganten abwandern. Doch obwohl MFE-Chef Pier Silvio Berlusconi im Kanzleramt Kulturstaatsminister Wolfram Weimer (CDU) in die Hand die redaktionelle Unabhängigkeit in Deutschland versprochen hat, ist Misstrauen angezeigt.
In Italien und Spanien hat MFE bewiesen, dass es von jener Unabhängigkeit der Redaktionen nicht viel hält, dafür aber umso mehr von Populismus und Polarisierung. Außerdem ist der Konzern unter Spardruck: Ein dreistelliger Millionenbetrag soll gestrichen werden. MFE setzt grundsätzlich eher auf ein seichtes, gefälliges Werbeumfeld, als auf kritischen Qualitätsjournalismus. Der Deal zeigt so die Schwächen des deutschen Medienmarkts, der lange Zeit von der Politik sträflich missachtet wurde.
Politische Meinungsfreiheit und kulturelle Vielfalt interessieren nicht
Die Übernahme bedeutet mehr Einfluss der Unterhaltungsindustrie und der Werbebranche in der europäischen Medienlandschaft. Sie dient der ökonomischen Expansion des Medienkonzerns in Europa, bei dem politische Meinungsfreiheit und kulturelle Vielfalt nur eine sehr untergeordnete Rolle spielen.
Dass der italienischer Medienkonzern MediaForEurope-Holding (MFE) ProSieben.Sat1 kontrolliert, ist kartellrechtlich möglich und dient der Strategie des Medienkonzerns, die europäische Fernsehlandschaft zu dominieren. Dabei geht es vor allem um Werbeeinnahmen im TV-Markt in Deutschland, Österreich und auch der Schweiz. Ähnlich wie in Spanien und Italien soll damit der Medienmarkt im Bereich der privaten Sender langfristig dominiert werden und mittelfristig auf weit über drei Milliarden Euro europaweit ansteigen. Dies ist vor allem für Aktionäre interessant und dient der Macht der Berlusconi-Familienholding.
Im Zeitalter des internationalen Streamings (vor allem von Anbietern aus den USA) und einer Vielzahl von alternativen Online-Anbietern ist die Konkurrenz zu privaten TV-Anbietern mit ihren niedrigschwelligen Informations- und Unterhaltungsangeboten allerdings sehr groß. Der Zusammenschluss im Konzern soll idealerweise eine Zweiteilung des Marktes mit RTL ermöglichen und damit im kriselnden Bereich des Fernsehens den Wettbewerb um Zuschauer und Werbemöglichkeiten vereinfachen. Daher ist vor allem eine Stärkung des TV-Angebots im Bereich von populären Unterhaltungssendungen und Serien zu erwarten. Ob diese Strategie in Konkurrenz zu Online-Angeboten aufgeht, lässt sich langfristig nicht vorhersagen, ist aber risikobehaftet.
Diesen Strategien des Wettbewerbs und der Marktmacht, werden auch die Möglichkeiten einer kritischen und vor allem Populismus fernen Nachrichten- und Informationspolitik untergeordnet. Das avisierte Sparprogramm des Konzerns wird dieses Kalkül in naher Zukunft widerspiegeln. Unabhängig sind Berichterstattung wie auch die Programmgestaltung grundsätzlich nicht, sondern sie dienen vor allem auch der Stärkung der ökonomisch-politischen Netzwerke und Verflechtungen der Berlusconi Familie, die bekanntlich eng mit der rechtpopulistischen Bewegung verbunden sind. Eine einfache Formal lautet dazu: Mit dieser wirtschaftlichen Abhängigkeit nimmt die journalistische Unabhängigkeit proportional ab.
Ob mit dem Eigentümerwechsel die Meinungsfreiheit in Deutschland geschwächt wird, hängt letztlich von den ökonomischen Entwicklungen der Medienwirtschaft in Europa und ihrer Konkurrenz mit den außereuropäischen Mediengiganten der Digitalwirtschaft zusammen. Die Einladung von Berlusconi zu einem kritischen Gespräch ins Bundeskanzleramt war vor diesem Hintergrund Makulatur.
Kein Problem wegen marktbeherrschender Stellung
Berlusconi – ein Schreckgespenst geht wieder einmal um… Aus medienökonomischer Sicht ist jedoch klar Entwarnung zu geben. Sowohl die Europäische Kommission 2023 als auch das Bundeskartellamt 2024 haben die Fusionspläne von MFE (MediaForEurope) geprüft. Das bedeutet, es sind die wettbewerbsmäßigen Effekte für Europa und Deutschland abgeschätzt worden. Fazit: Es gibt kein Problem hinsichtlich der Bildung einer marktbeherrschenden Stellung auf Zuschauer- oder Werbemärkten. Zusätzlich hat die Kommission zur Ermittlung der Konzentrationsrate im Medienbereich (KEK) schon in vorangegangenen Jahren eine Prüfung vorgenommen.
Die KEK schaut sich hierbei den Meinungsmarkt an. Ergebnis: Kein Problem. Wie soll auch etwas durch einen Wettbewerber gefährdet werden, wenn er ohne großen Einfluss ist? Zusätzlich: Der Sender setzt auf Serien sowie Infotainment und ist damit erfolgreich. Die Umstellung auf einseitige politische Inhalte vergrault womöglich Zuschauer und mindert Werbeeinnahmen (sog. „Anderson-McLaren Trade-Off“). Dies macht betriebswirtschaftlich wenig Sinn.
Medienmacht in der Hand weniger Männer
Wir leben in Zeiten, in denen insbesondere traditionelle Medienmarken sich zu immer größeren Konglomeraten zusammen schließen müssen, um zu überleben. Diese Entwicklung macht keinen Bogen um Deutschland; ob es die Zeitungslandschaft mit Unternehmen wie AxelSpringer, Madsack oder der Funke-Mediengruppe oder die TV-Branche trifft. MFE und ProSiebenSat.1. decken nun gemeinsam fünf europäische Märkte ab und erreichen rund 210 Millionen Menschen. MFE-Chef Pier Silvio Berlusconi will nach eigenen Angaben eine pan-europäische Rundfunk- und Mediengruppe formen, die sich gegen die US-Techkonzerne behaupten kann.
Was nachvollziehbar klingt, birgt jedoch enorme Risiken für die Pressefreiheit, den Medienpluralismus und damit die demokratischen Grundstrukturen. In den USA zeigt sich gerade auf erschreckende Weise, wie schnell und massiv Meinungspluralismus abnehmen kann, wenn sich Marken in Händen weniger mächtiger (fast ausschließlich) Männer konzentrieren. In Frankreich und Österreich ist diese Medienkonzentration bereits sehr weit fortgeschritten. Deutschland zieht nur nach.
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