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Thema

Nordirland

Von Clemens Wergin Es gab Zeiten, da pilgerten Politiker aus den Krisenregionen der Welt nach Israel, um sich den in Oslo begonnenen Weg zum Frieden erklären zu lassen. Letzte Woche fuhren Politiker aus Israel mit palästinensischen Ministern nach Nordirland, um sich erzählen zu lassen, was die Krisenmanager dort besser machen.

Dublin. Die nordirische Hauptstadt Belfast hat seit Mittwochabend einen neuen Bürgermeister: Alex Maskey ist zugleich der erste Vertreter der Sinn-Finn-Partei in diesem Amt.

Von Martin Alioth, Dublin Die nordirische Untergrundorganisation IRA und ihr politischer Flügel Sinn Fein stehen im Kreuzfeuer: Ein amerikanischer Kongressausschuss stellt diese Woche unerbittlich Fragen, wie weit die IRA dazu beigetragen habe, die kolumbianische Rebellenarmee Farc auf den neuesten technischen Stand zu bringen. Bis zu 15, zum Teil hochrangige IRA-Leute sollen in den letzten drei Jahren ihre Erfahrungen im Umgang mit urbanem Terror in den Dienst der Farc gestellt haben.

Die nordirische Polizei hat am Freitag behauptet, sie habe in einem republikanischen Viertel von Nord-Belfast nachrichtendienstliche Dokumente der Irisch Republikanischen Armee (IRA) gefunden. Es handle sich möglicherweise um Todeslisten von britischen konservativen Politikern und Angaben über Militäranlagen in Großbritannien.

Kaum war Nordirlands Chefminister David Trimble am Samstag von seiner eigenen Unionisten-Partei als Vorsitzender bestätigt worden, ging er auch schon in die Offensive: Er forderte die britische Regierung auf, eine Volksbefragung in Nordirland über die Vereinigung des britischen Nordens mit der benachbarten Republik Irland abzuhalten. Der Protestantenpolitiker, der selbstverständlich für die Ablehnung der Wiedervereinigung kämpfen wird, regte an, dieses Referendum im Mai 2003 abzuhalten, gleichzeitig mit der Neuwahl des nordirischen Parlaments.

"March For Civil Rights", steht auf dem Bettuch, Demonstration für Bürgerrechte. An seinem oberen Ende färbt es sich langsam rot, denn unter ihm liegt ein Mann, den eine Kugel mitten in den Kopf traf.

Von Christian Schröder

Nordirlands Arbeitnehmer sind am Freitagmittag dem Aufruf des irischen Gewerkschaftsbundes gefolgt und haben die Arbeit niedergelegt. In Belfast, Derry und einigen kleineren Städten versammelten sich Zehntausende im strömendem Regen, um gegen die Zunahme von konfessionell motivierter Gewalt in der letzten Zeit zu protestieren.

Gleitet Nordirland zurück in alte Muster? Eine Massenschlägerei aus geringfügigem Anlass, ein kalkulierter Überfall auf eine katholische Schule: Da sollen Leute eingeschüchtert werden, das riecht nach überwunden geglaubten Reflexen.

Auch diesmal will wieder niemand für die Gewalt verantwortlich sein. Wie immer in Nordirland sieht sich vielmehr jeder als Opfer heimtückischer Verschwörungen.

Fast 100 Verletzte durch einen Anschlag in Madrid am Dienstag, ein durch Kopfschüsse getöteter Richter in Bilbao am Mittwoch - die Eta bombt und mordet weiter, als ob es den 11. September nie gegeben hätte.

Von Christian Böhme

Erbaulich waren die Szenen nicht gerade, die da aus dem spät-wilhelminischen Prunk-Parlament von Belfast an die Öffentlichkeit drangen: Nicht genug damit, dass der ehemalige und nun gerade wiedergewählte Chefminister David Trimble am Freitag den Dolchstoß aus den eigenen Reihen empfing, nicht genug damit, dass Pfarrer Paisleys rabiate und kindische Horden jeden Sabotagetrick ausprobierten; nein, als Trimble dann gestern endlich gewählt war, brachen im Foyer gleich noch Handgreiflichkeiten unter den Abgeordneten aus. Und zwischendurch wurden ein paar Regeln zurechtgebogen, damit die Selbstverwaltung Nordirlands gerettet werden konnte.

Nach dem Debakel vom Freitag, als die erwartete Wiederwahl von David Trimble zum Ersten Minister Nordirlands an seinen eigenen Fraktionsgenossen kläglich gescheitert war, haben sich die Politiker übers Wochenende einen Trick einfallen lassen: An diesem Montag wollen sich einige Abgeordnete der kleinen, überkonfessionellen Allianz-Partei zu "Unionisten" erklären (siehe Kasten), um die nötige Stimmenmehrheit zu gewährleisten.Die fundamentalistischen Protestanten von Pfarrer Ian Paisleys Partei schworen indes, sie wollten diesen Zaubertrick mit gerichtlichen Mitteln verhindern: Der britische Nordirlandminister John Reid verzichtete nämlich darauf, um Mitternacht am Samstag die auslaufende Selbstverwaltung förmlich auszusetzen oder gar Neuwahlen auszuschreiben, weil er zu dem Zeitpunkt schon wusste, dass die Regierung zu neuem Leben erweckt werden könnte.

Es war die kleine Frauen-Koalition, die den Weg zur Rettung der nordirischen Selbstverwaltung aufzeigte: Um dem von seinen eigenen Leuten im Stich gelassenen Unionistenchef David Trimble zur Wiederwahl zu verhelfen, verzichteten die beiden Abgeordneten der Frauen-Koalition auf ihr Etikett "Andere", und wurden zu einer "Unionistin" und einer "Nationalistin". Die Allianz verspottete den selbstlosen Schritt der "Transvestiten".

Jose-Pedro Sebastian de Erice (58) ist seit 1996 spanischer Botschafter in Deutschland. In Nordirland hat die katholische IRA damit begonnen, die Waffen abzugeben.

"Solange die demokratischen Rechte des baskischen Volkes nicht anerkannt sind, wird die Eta den bewaffneten Kampf fortsetzen." Die Führer der baskischen Terror-Organisation stellten klar, dass sie nicht im Traum daran denken, dem Friedensbeispiel der nordirischen IRA zu folgen, die gerade ihre Entwaffnung ankündigte.

Der Barmann, der zum IRA-Kommandanten von Belfast aufstieg, und der Rechtsprofessor, der einst einer Bürgerwehr gegen eine Koalitionsregierung von Katholiken und Protestanten angehörte: Gerry Adams und David Trimble sind in der Tat ein ungleiches Paar, wenn sie nun versuchen, den nordirischen Friedensprozess gemeinsam zu retten.Der Präsident der IRA-nahen Sinn Fein-Partei und der Vorsitzende der größten Protestantenpartei haben sich noch nie öffentlich die Hand geschüttelt, aber in diesen Tagen gehen sie behutsam miteinander um.

Selten wohl haben sich Laienschauspieler so exakt ans vereinbarte Drehbuch gehalten: Die Abrüstung der IRA hat begonnen, und bei allen Gutwilligen ist die Erleichterung zu spüren. Politiker in Belfast, Dublin und London geben sich Mühe, die Empfindlichkeiten vormaliger Gegner zu schonen, denn sie wollen den Neubeginn.

Dublin. Seit Mitternacht besteht die Rumpfregierung Nordirlands nur noch aus Nationalisten und Republikanern - Vertretern der katholischen Bevölkerungsminderheit also.

Die Angriffe auf Amerika schienen zunächst eine ernüchternde Wirkung auf die Nordiren zu haben. Aber die Welt der lokalen Muskelprotze und Revolverhelden bleibt klein; begrenzt durch Mauern im Hinterhof.

Der nordirische Polizeikommandant Sir Ronnie Flanagan hat am Freitag die Politiker und die Geistlichen in der Unruheprovinz scharf kritisiert. Flanagan erwartete eine deutlichere Stellungnahme der beiden Gruppen, nachdem es im Norden von Belfast zu schweren Krawallen gekommen war.

In ihrer fast dreißigjährigen Gewaltorgie hat es die IRA nicht geschafft, den Ruf ihrer katholischen Glaubensbrüder derart in den Schmutz zu ziehen, wie es nun einer winzigen Gruppe protestantischer Betonköpfe für die eigene Seite mühelos gelungen ist. Die Bewohner einer protestantischen Enklave in Nordbelfast haben mit ihrer Kampagne gegen wehrlose katholische Schulmädchen unermesslichen Schaden angerichtet.

Morgens um neun durfte man noch hoffen. Zum dritten Mal in dieser Woche formierte sich auf der Ardoyne Road im Norden von Belfast ein Konvoi aus Eltern und ihren Töchtern, vier- bis elfjährigen Mädchen mit frischen Gesichtern und coolen Schleifen im zusammengebundenen Haar.

Vierjährige Mädchen weinen bitterlich, während sie durch einen stählernen Tunnel unter den Blicken vermummter Sicherheitskräfte geschleust werden. Die Belfaster Schülerinnen sind zu Geiseln protestantischer Anwohner geworden.

Zum zweiten Mal in Folge gerieten am Dienstagmorgen vier- bis elfjährige Schulmädchen in Belfast zwischen die Fronten eines bitteren kommunalen Zwists. Wie schon zum Schulbeginn am Montag rotteten sich protestantische Anwohnergruppen an der Ardoyne Road zusammen, um den Kindern und ihren besorgten Eltern den kurzen Weg zur katholischen HeiligKreuz-Schule zu versperren.

Die Liste der gewaltsam ausgetragenen Konflikte ist ziemlich lang: Weltweit gibt es 35 ernste Krisenzonen. Die Regionen, auf die der deutsche Blick als Erstes fällt - Nahost, Balkan und im Wechsel Nordirland oder Spanien - stehen seit Monaten wieder unter Feuer.

Nach Monaten der Stagnation ist Bewegung in Nordirlands Politik gekommen: Die irische Regierung, die Katholische Kirche und die gemäßigte Katholikenpartei Nordirlands empfehlen der katholischen Jugend Nordirlands eine Karriere im Polizeidienst. In jener Institution also, die den Katholiken als Unterdrückungsinstrument der Protestanten und der britischen "Besatzer" galt.

Zum ersten Mal seit der Teilung Irlands vor 80 Jahren haben sich Repräsentanten der katholisch-nationalistischen Bevölkerungsminderheit Nordirlands hinter die Polizei gestellt. Am Montag verkündete die SDLP, die aus der Bürgerrechtsbewegung entstandene sozialdemokratische Partei der gemäßigten Katholiken, sie unterstütze die modifizierten Reformpläne der britischen Regierung für eine neue Polizei.

BBC war schnell. Nur ein paar Minuten, nachdem sich in Israel zum wiederholten Male ein Selbstmordattentäter in die Luft gesprengt hatte, liefen bereits die "Breaking News" über den Bildschirm des britischen Senders.

Von Armin Lehmann

Letzte Woche verkündete die IRA großspurig, sie habe einen Vorschlag zur endgültigen, überprüfbaren Entsorgung ihrer Waffen unterbreitet, gestern nahm sie das - noch immer geheime - Zugeständnis wieder vom Tisch. Dieser Schritt entspringt taktischen Überlegungen, ändert aber letztlich nicht viel an der politischen Gleichung, die es zu lösen gilt.

Fußball-Profi Jan Koller vom Bundesligisten Borussia Dortmund ist vom Verband seines Landes mit einer Buße von rund 20 000 Kronen (1100 Mark) belegt worden und erhielt keine Prämie. Der 28 Jahre alte Stürmer war im Juni beim WM-Qualifikationsspiel gegen Nordirland (3:1) ausgewechselt worden und hatte aus Verärgerung über seine schwache Leistung sein Trikot vor der Trainerbank ausgezogen und durch die Luft getreten.

Einen Tag nach Aussetzung der nordirischen Selbstverwaltung hat Großbritannien die Macht wieder an die protestantisch-katholische Provinzregierung zurückgegeben. Der britische Nordirlandminister John Reid unterzeichnete am Samstag ein Dekret, mit dem die Regierung um Mitternacht wieder eingesetzt wurde.

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