zum Hauptinhalt
Dragqueen Judy LaDivina

© Stefan Braunbarth

Jüdisch-arabische Dragqueen Judy LaDivina: „Plötzlich unterhält sich jemand aus Israel mit einer Person aus dem Libanon“

Seit dem 7. Oktober ist die Dragqueen Judy LaDivina immer wieder das Ziel von Antisemitismus – und will dennoch Brücken bauen. Ein Gespräch über den Riss in der queeren Szene, die Kraft von Drag und Berlin als Begegnungsort.

Stand:

Judy LaDivina, ein Teil Ihrer Show „Tell Mama” besteht darin, dass das Publikum an Sie gerichtete Fragen auf Zettel schreiben kann, die Sie dann beantworten. Fragen die Menschen seit dem 7. Oktober vermehrt nach dem Nahostkonflikt?
Ja, ständig. Aber ich bitte das Publikum auch darum.

Warum?
Menschen beginnen zuzuhören, wenn ein Mensch vor ihnen steht und sie nicht nur ein mediales Bild sehen. Es muss darum gehen, Gespräche zu führen und zu verstehen, dass sich nichts ändern wird, wenn wir nicht miteinander reden. Es sind zwei Narrative entstanden, die die andere Seite so weit dämonisieren und dehumanisieren, dass sie nicht mehr begreifen, was es bedeutet, Palästinenser*in oder Israeli zu sein. Auch wenn es sich momentan nicht so anfühlt, gibt es viel, woraus sich Hoffnung ziehen lässt. Mein Job ist es, Menschen daran zu erinnern.

Gibt es auch negative Reaktionen auf die Shows?
Der 7. Oktober war wie ein Schlag ins Gesicht. Für unsere gemeinsame Show haben Darvish und ich immer schon Backlash erlebt: Wir seien naiv oder fake, wir hätten nichts verstanden. Aber nach dem 7. Oktober war es das pure Böse. Menschen schrieben mir, sie würden sich freuen, wir hätten das und noch mehr verdient. Ich weigere mich aber, darauf einzugehen. Ich werde mich nicht auf diesen sogenannten Aktivismus einlassen, der in Wirklichkeit Narzissmus ist.

Ich stehe für etwas, was letztendlich alle anpisst. Die, die 100 Prozent pro Palästina sind und mir erklären wollen, Israel hätte kein Recht zu existieren, was sowohl moralisch als auch historisch falsch ist. Und die, die 100 Prozent auf der Seite Israels stehen und den inakzeptablen Schmerz und Schaden der palästinensischen Seite nicht anerkennen – wir brauchen keine weitere Runde Krieg, um zu verstehen, dass die Palästinenser*innen ein Recht auf Selbstbestimmung und Freiheit haben.

Der Krieg in Nahost dauert nun schon über 400 Tage an. Der Antisemitismus ist in Deutschland stark angestiegen. Wie erleben Sie Berlin seitdem?
Zunächst ist es nicht nur der Antisemitismus, der gestiegen ist, sondern auch die Islamfeindlichkeit. Beides wurzelt im Hass gegenüber anderen aufgrund ihrer Religion oder Ethnie. Ich erlebe diesen Hass auf verschiedene Weise – ich wurde aus meinem Friseursalon geworfen, habe meinen Namen auf Uber geändert. Auch auf meiner Türklingel steht mein Nachname nicht mehr, weil er als jüdisch zu erkennen ist. In der Öffentlichkeit vermeide ich es, Hebräisch zu sprechen. Es ist komisch. Privat verstecke ich mich. In Drag ist mir das alles egal. Da fühle ich mich, als hätte ich eine Rüstung an.

Warum können Sie in Drag anders damit umgehen?
Wenn ich in Drag bin, ist da etwas, was in anderen freigesetzt wird, was es auch mir erlaubt, Teile in mir freizusetzen. Wenn ich zum Beispiel in der S41 sitze, würde ich Menschen nicht einfach anlächeln, weil das awkward wäre. Wenn ich aber in Drag einen Raum betrete, ist das Erste, was ich tue: lächeln und Smalltalk führen. Mein Gegenüber fühlt sich dadurch wohl dabei, Dinge mit mir zu teilen und ein Gespräch zu führen. Das setzt etwas in beiden Seiten frei: Wir erkennen einander plötzlich.

In fast jeder meiner Shows performe ich mindestens einen Song auf Hebräisch und Arabisch. Ich will das Nebeneinander der beiden Sprachen normalisieren.

Judy LaDivina, Dragqueen

Wie zeigt sich Ihre jüdisch-arabische Identität in Drag?
Es gibt da für mich kein Entrinnen – ich sehe aus wie ein ordentlicher Teller Hummus (lacht). Oft, wenn wir an jüdische oder arabische Gesellschaften denken, meinen wir, die männlichen Figuren seien der Boss. Aber es gibt keine Stärke wie die einer arabischen Frau. Mein Drag ist ein Liebesbrief an die Frauen, die mich aufgezogen haben. An meine Großmutter, an meine Mutter, an meine Tanten.

In fast jeder meiner Shows performe ich mindestens einen Song auf Hebräisch und Arabisch. Ich will das Nebeneinander der beiden Sprachen normalisieren, weil sie sich so ähnlich sind. Und selbst wenn Menschen die Worte nicht verstehen, empfinden sie die Emotionen.

War Ihr Drag immer schon so politisch?
Drag muss politisch sein. In der Sekunde, in der du als sichtbare queere Person das Haus verlässt, in Drag oder nicht, ist das ein politischer Akt

Was versuchen Sie mit Ihrer Kunst zu erreichen?
Am Ende geht es um Repräsentation. Wohin können jüdische oder palästinensische Menschen aufsehen, die sich nur nach Frieden sehnen? Überall, wo sie hinschauen, geht es darum, eine Seite zu wählen. Die Erzählungen von „entweder/oder“ werden immer schärfer, wo doch die Wahrheit ist, dass Jüdinnen*Juden wie Palästinenser*innen in diesem Stück Land Indigene sind. Und sie werden dort bleiben. Ich glaube, dass der Weg nur gemeinsam nach vorne führt. Also bin ich froh, ein kleiner Teil dieser Repräsentation sein zu können.

Was ich am liebsten sehe, sind Menschen, die nie die Chance hätten, sich irgendwo anders zu treffen als an diesen Orten hier in Berlin. Und plötzlich ist da jemand aus Israel und jemand aus dem Libanon, sie unterhalten sich nach der Show und haben vielleicht sogar Sex. Darvish und ich sagen auf der Bühne immer: „Wir sind damit aufgewachsen, die gleichen Bomben von anderen Seiten der Grenze zu hören.“ Wären wir nicht in Berlin, hätten wir nie die Chance gehabt, aufeinanderzutreffen, geschweige denn queere Kunst zu schaffen.

Woraus ziehen Sie die Kraft und Hoffnung, daran weiterzuarbeiten?
Jedes Mal, wenn ich Hoffnung verliere, sehe ich mich um und sage mir, dass ich Gemeinschaft und Glück gefunden habe, Sicherheit und Licht – an einem Ort, über den ich seit dem ersten Tag meines Lebens nichts gehört hatte als Horror. Das erste Mal kam ich mit der Schule nach Deutschland.

Ich war damals 16. Wir besuchten KZ-Gedenkstätten, in Polen, Auschwitz, in Tschechien und in Deutschland. Und einige Jahre später bin ich hier, eine jüdisch-arabische Person, die als Dragqueen arbeitet. Offen queer. In Deutschland. Das bedeutet etwas. Und selbst wenn Frieden zu meinen Lebenszeiten unrealistisch erscheint, werde ich die Hoffnung nicht aufgeben.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
console.debug({ userId: "", verifiedBot: "false", botCategory: "" })