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60.000 Soldaten mehr für die Bundeswehr?: Ohne Pflichtdienst geht es nicht
Allgemeine Wehrpflicht oder Dienstpflicht mit Wahlmöglichkeit? So oder so: Die Bundeswehr braucht rasch mehr Soldatinnen und Soldaten. Sonst kann eine Abschreckung von Putin nicht gelingen.

Stand:
Es ist atemberaubend, in welchem Tempo die Bundesregierung neue Ziele für die „Kriegstüchtigkeit“ ausruft, die vor wenigen Monaten noch als unrealistisch und zugleich politisch unerwünscht abgetan wurden.
Zum Beispiel eine Verdoppelung bis Verdreifachung des Budgets für die Bundeswehr und für die verteidigungsrelevante Infrastruktur auf fünf Prozent vom Bruttoinlandsprodukt (BIP) sowie ein Drittel mehr Personalstärke.
Darauf haben sich die Nato-Verteidigungsminister geeinigt. Der offizielle Beschluss folgt beim Nato-Gipfel in gut zwei Wochen in Den Haag. Bundeskanzler Friedrich Merz hat den neuen Kurs bekräftigt, unter anderem beim Besuch bei Donald Trump.
Wie soll das gehen, fragen die einen. Politik und Gesellschaft in Deutschland haben ein Jahrzehnt gebraucht, um das 2014 beschlossene Nato-Ziel von zwei Prozent vom BIP für die Verteidigung zu akzeptieren. In die Nähe dieser inzwischen überholten Hürde kam das Land erst nach Putins Angriff auf die Ukraine. Jetzt sollen es 3,5 Prozent für Verteidigung plus 1,5 Prozent für kriegsrelevante Infrastruktur sein.
Zudem hat die Bundeswehr Schwierigkeiten, die bisherige Sollstärke von 180.000 Mann zu erreichen. Woher sollen 60.000 mehr Soldatinnen und Soldaten kommen, wenn man weiter allein auf eine Freiwilligenarmee setzt? Und das in Zeiten, in denen generell Fachkräftemangel herrscht und andere Arbeitgeber attraktivere Bedingungen bieten.
Deutschland hat sehr viel Zeit vergeudet, weil es Putins Aggressionsbereitschaft nicht sehen wollte. Die muss es nun beschleunigt aufholen. Aber zum Glück nicht alleine.
Christoph von Marschall, Diplomatischer Korrespondent der Chefredaktion
Es muss aber gehen, sagen die anderen. Die Bedrohung ist real. Das dringt allmählich in die Köpfe der Deutschen. Sie haben sie nur viel zu lange verdrängt.
Putin plant weitere Angriffe
Putin hat eine Million Mann unter Waffen. Bis 2026 möchte er 1,5 Millionen Soldaten haben. Russland produziert mehr Waffen und Munition als die komplette Nato zusammen, inklusive des riesigen Rüstungssektors der USA. Der ist im Vergleich zu dem der europäischen Nato-Staaten viel leistungsfähiger, steht aber unter Trump nicht mehr automatisch für Europas Bedürfnisse zur Verfügung.
Man muss nur eins und eins zusammenzählen. Putin plant für weitere Angriffe nach dem Ukrainekrieg. Wenn der durch einen Deal mit Trump beendet wird oder die Kämpfe an erstarrten Fronten eingefroren werden, kann er seine Truppen anderswo einsetzen.
Zum Beispiel in Litauen, wo die Bundeswehr die Nato-Schutztruppe führt. Deutschland will seine Präsenz dort bis 2027 auf eine Brigade mit 5000 Mann verstärken. Litauens Armee hat 25.000 Soldaten. Sie können Putins Truppen in der heute geplanten Aufstellung nicht stoppen, ja nicht mal länger als ein paar Tage aufhalten.
So wie die Lage heute ist und die bisherige Planung für die kommenden Jahre, ist das wie eine Einladung an Putin. Er kann ohne großes Risiko angreifen. Das wäre anders, wenn die Litauer und die Bundeswehr ganz anders bewaffnet wären. Und bei einem Angriff mit rascher Verstärkung rechnen können.
Krieg in Litauen durch Abschreckung verhindern
Und das sollte doch das Ziel sein: den drohenden Krieg durch eine glaubwürdige Abschreckung zu verhindern. Dafür sind eine Truppenstärke und eine Bewaffnung nötig, die das Risiko auch in Putins Augen als zu hoch erscheinen lässt.
Die finanziellen Begrenzungen hat die Regierung Merz durch das Aufbrechen der Schuldenbremse beendet. Geld für mehr Verteidigung ist da. Nur lässt sich Geld nicht gleichsetzen mit mehr militärischen Fähigkeiten.
Weder Europäer noch Amerikaner produzieren die Waffen und die Munition, die gebraucht werden, in ausreichenden Mengen.
Christoph von Marschall, Diplomatischer Korrespondent der Chefredaktion
Der internationale Rüstungsmarkt ist kein Supermarkt, wo es mehr Angebot als Nachfrage gibt und jeder, der Geld hat, kaufen kann, was er möchte. Weder Europäer noch Amerikaner produzieren die Waffen und die Munition, die gebraucht werden, in ausreichenden Mengen.
Da müssen Fabriken gebaut, Ingenieure und Grundstoffe in ausreichender Menge organisiert werden. Das geht nicht von heute auf morgen. Aber es muss rasch und entschlossen gehen, wenn Putin abgeschreckt werden soll.
Scheitert der Pflichtdienst, kommt die Wehrpflicht
Rasch und entschlossen, das gilt auch für den personellen Aufbau der Bundeswehr. Ohne Dienstpflicht für junge Männer und Frauen ist es nicht zu schaffen. Ein Pflichtdienst mit Wahlmöglichkeit ist fürs Erste die bessere Lösung. Sie ist politisch leichter durchzusetzen und trifft auf mehr Zustimmung in der Bevölkerung als die Rückkehr zur Wehrpflicht.
Für die „Kriegstüchtigkeit“ braucht das Land im Übrigen nicht allein Menschen, die bereit sind, mit der Waffe zu kämpfen. Es gibt unzählige Aufgaben, vom Nachschub über den Zivilschutz bis zu Krankenhäusern, wo helfende Hände gebraucht werden – und das sind zahlenmäßig weit mehr als die Kampfeinheiten.
Nur schnell muss es gehen. Deutschland hat sehr viel Zeit vergeudet, weil es Putins Aggressionsbereitschaft nicht sehen wollte. Die muss es nun beschleunigt aufholen. Aber zum Glück nicht alleine.
Alle europäischen Nato-Staaten haben diese Aufgabe. Die Ernsthaftigkeit und die Dringlichkeit, die neuerdings in den öffentlichen Debatten zu hören ist, geben Hoffnung, dass es Deutschland und Europa gelingt, die Ausweitung des Kriegs über die Ukraine hinaus durch Abschreckung zu verhindern.
Wenn es nicht oder nicht rechtzeitig gelingt, wenn Putin Deutschland durch einen Angriff auf die Bundeswehr in Litauen in den direkten Krieg mit Russland zwingt, kommt all das, was heute noch verhindert werden kann, unvermeidbar: die Umstellung auf Kriegswirtschaft, die Einziehung junger Männer zum Dienst an der Waffe und anderes mehr.
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