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Der ukrainische Präsident Wolodymyr Zelenskiy und der Leiter des ukrainischen Sicherheitsdienstes Vasyl Maliuk

© REUTERS/UKRAINIAN PRESIDENTIAL PRESS SERVICE

„Operation Spinnennetz“: Die Ukraine zeigt, wie sie sich wehren kann

Der Ukraine ist ein Militärschlag gegen Russland von historischem Ausmaß gelungen. Damit hat Kiew Stärke gezeigt – und was es kann, fast ohne US-Hilfe. Wie es jetzt weitergehen muss.

Christoph von Marschall
Ein Kommentar von Christoph von Marschall

Stand:

Das Überraschendste am Ukrainekrieg ist die Abfolge immer neuer Überraschungen. Selbst nach gut drei Jahren Dauer ist der Ausgang des russischen Angriffs nicht ausrechenbar, sondern offen.

Jüngstes Beispiel ist die spektakuläre „Operation Spinnennetz“. Die Ukraine hat offenbar vier russische Luftwaffenstützpunkte, die zum Teil mehrere tausend Kilometer hinter der Front liegen, erfolgreich angegriffen und einen beträchtlichen Teil der russischen Bomber und Aufklärungsjets zerstört, mit denen der Kreml die verbrecherischen Luftangriffe auf ukrainische Städte ausführt.

Die Operation wurde seit anderthalb Jahren vorbereitet, sagt Präsident Wolodymyr Selenskyj. Damit stellen sich drei Fragen: In welchem Maße ist die Ukraine von US-Hilfe abhängig? Kann sie sich ohne diese gegen Russland wehren? Und was müssen Deutschland und Europa leisten?

Hilft Trump der Ukraine heimlich weiter?

Die anderthalb Jahre schließen die Zeit ein, in der die USA unter ihrem Präsidenten Joe Biden Kiew militärisch unterstützten, und die Monate, seit Donald Trump die Ukrainehilfe offiziell gestoppt hat. Eine derart komplexe Militäraktion ist ohne die Satelliteninformationen und Geheimdienste der USA schwer vorstellbar.

Lässt Trump diese Hilfe womöglich heimlich weiterlaufen, auch wenn er öffentlich das Gegenteil behauptet? Schon in seiner ersten Amtszeit hatte er die Waffen geliefert, mit denen die Ukraine den späteren russischen Angriff im Februar und März 2022 stoppen konnte.

Oder ist die Ukraine dank der Kooperation bei der Vorbereitung unter Biden nun auch ohne Trumps Hilfe in der Lage, einen derartigen Angriff durchzuführen? Unter der existenziellen Bedrohung haben ihr Militär und ihre Rüstungsindustrie rasch dazugelernt und Erstaunliches geleistet.

In beiden Fällen ist das Signal: Der russische Plan, die Ukraine in einen Diktatfrieden zu bombardieren, muss nicht aufgehen. Jedenfalls, solange Kiew ein Mindestmaß an westlicher Hilfe erhält. Da Trump militärisch und finanziell wenig bis nichts beisteuern möchte, wird Europa das ausgleichen müssen – voran Deutschland, das leistungsfähigste EU-Land.

Deutschland und die EU dürfen sich darauf einstellen, dass dieser Krieg noch lange dauert. Es ist ein Abnutzungskrieg und ein Test des politischen Willens, den die Seite gewinnt, die länger durchhält.

Christoph von Marschall, Diplomatischer Korrespondent der Chefredaktion

Auf die sogenannten Friedensgespräche braucht man jedenfalls nicht zu setzen. Russland führt die Verhandlungen nur zum Schein und auf niedriger Ebene. Es ist bisher zu keinen Kompromissen bereit.

Wladimir Putin stellt Bedingungen, die für Kiew, aber auch Europa unannehmbar sind. Darunter der Stopp jeder westlichen Hilfe, ein Ende der Rekrutierung ukrainischer Soldaten, der Verzicht auf eine Nato-Perspektive und eine Begrenzung der Armee. Kurzum: Kiew soll sich unterwerfen und unfähig zur Gegenwehr sein.

Abnutzungskrieg und Test des Willens

Deutschland und die EU dürfen sich darauf einstellen, dass dieser Krieg noch lange dauert. Es ist ein Abnutzungskrieg und ein Test des politischen Willens, den die Seite gewinnt, die länger durchhält.

Bundeskanzler Friedrich Merz hat dem ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj bei dessen Besuch in Berlin weitere Waffenhilfe zugesagt.

© Kay Nietfeld/dpa

Vergleicht man die wirtschaftlichen Ressourcen, ist der Ausgang vorhersehbar: Auf sich gestellt wird die Ukraine Russland früher oder später unterliegen. Wird Kiew konsequent von Deutschland und Europa unterstützt, dürfte es umgekehrt enden: Russland verliert. Die EU hat siebenmal so viel Wirtschaftskraft, allein Deutschland hat anderthalbmal so viel wie Russland.

Eines hat die Regierung Merz aus den Ampeljahren gelernt: Deutschland muss mehr tun, aber es sollte nicht öffentlich diskutieren, was es liefert und was nicht. Die „Operation Spinnennetz“ zeigt, wie realitätsfern der Streit über eine Reichweitenbegrenzung, zum Beispiel des Taurus, war.

Mit dem Taurus wäre die Krim wohl heute frei

Hätte Deutschland den Taurus vor einem Jahr geliefert, wäre die Krim wohl schon heute frei. Denn mit ihm lässt sich der Nachschub für die russischen Truppen auf der Halbinsel unterbinden. Und Soldaten, die keinen Nachschub erhalten, müssen kapitulieren.

Ein für Putin nachteiliger Kriegsausgang ist zudem die beste Garantie, dass Russland seine Pläne aufgeben muss, nach der Ukraine weiterzumachen: etwa in Litauen, wo die Bundeswehr die Nato-Schutztruppe führt.

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