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Aufruf prominenter Iraner: „Möge der Tag kommen, an dem Freiheit über unser Land scheint“
Mehr als ein Dutzend bekannter Aktivisten fordern ein Ende der Unterdrückung und einen demokratischen Wandel im Iran. Der Tagesspiegel dokumentiert ihren Aufruf.
Stand:
Der Iran ist geschwächt wie selten zuvor. Der Krieg gegen Israel und die USA hat die Machthaber gedemütigt. Viele Iranerinnen und Iraner sehen darin einen Offenbarungseid des brutalen Regimes, das sie ablehnen und gerne ersetzen würden. Sie versprechen sich davon Freiheit, Bürgerrechte und Demokratie.
Mehrere Aktivistinnen und Aktivisten sprechen sich jetzt in einem gemeinsamen Appell für einen „neuen“ Iran aus, in dem die Menschen selbstbestimmt über ihr Schicksal entscheiden können. Dem Tagesspiegel liegt die Erklärung exklusiv vor. Hier können Sie lesen, was die Unterzeichner fordern.
„Der Weg aus der gegenwärtigen Krise führt über die Anerkennung der Handlungsfähigkeit des Volkes und die Durchsetzung seines ,Rechts auf Selbstbestimmung’.
Es ist ein Weg, der weder mit Kompromissen gegenüber den Herrschenden und dem autoritären Regime beschritten werden kann noch über Krieg oder Abhängigkeit von ausländischen Mächten führt.

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Wir fordern die Durchführung eines freien, transparenten und unter Aufsicht unabhängiger internationaler Institutionen stehenden Referendums sowie die Einberufung einer verfassungsgebenden Versammlung, um die Grundlage für eine nationale, inklusive Regierung und einen demokratischen Übergang zu schaffen.
Heute stehen das iranische Volk und unser Land an einem Wendepunkt – inmitten einer der kritischsten Phasen der jüngeren Geschichte. Es ist eine gefährliche und komplexe Lage, die aus strukturellen Faktoren innerhalb Irans, der Region und einer ungerechten globalen Ordnung resultiert.
Die nationale Pflicht zur Befreiung
Der einzige Ausweg ist die Betonung des Handlungsspielraums der Menschen und ihres Rechts, über ihr Schicksal selbst zu entscheiden. Es ist unsere historische und nationale Pflicht, diesen Weg zur Befreiung zu öffnen – zur Rettung Irans.
Dieser Weg ist nicht der Weg der Annäherung an das Regime, nicht der Weg des Krieges oder der ausländischen Intervention – sondern ein dritter Weg: der Weg des Volkes, der einen unabhängigen Pfad aufzeigt. Ein Weg, der durch Zusammenhalt, ein gemeinsames Ziel und gewaltfreien Widerstand die Unterdrückung im Inneren und die Gefahr von außen zurückdrängt.
Wir sehen es als unsere nationale Pflicht an, offen gegen die zerstörerische Politik des Regimes aufzustehen.
Aus dem Appell
Angesichts der wachsenden Gefahren sehen wir es als unsere unmittelbare nationale Pflicht an, offen gegen die zerstörerische Politik des Regimes aufzustehen und das Recht der Menschen zurückzufordern, über die wichtigsten und lebensnotwendigen Fragen selbst zu entscheiden.
Die militärischen Maßnahmen der USA und Israels – die laut UN-Charta und geltendem Völkerrecht als klare Aggressionen gelten – drohen sich zu wiederholen. Der düstere Schatten eines Krieges liegt weiterhin über unserem Land.
Seit mehr als zwei Jahrzehnten bestimmt die atomare Politik das Leben der Menschen im Iran. Die Machthaber haben das Atomprogramm zum Zentrum ihrer Herrschaft gemacht und sich in permanente Konflikte nach innen und außen verstrickt. Die Folge sind verheerende wirtschaftliche, sicherheitspolitische, soziale und psychologische Schäden für die Bevölkerung.

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Diese selbstzerstörerische Politik hat trotz aller Warnungen das Land an den Rand eines verheerenden Krieges geführt, ohne jeden greifbaren Nutzen für das Allgemeinwohl.
Die Fortsetzung dieser Linie – nun nach einem zerstörerischen Zwölftagekrieg – bedroht nicht nur die Souveränität und Grundrechte des Volkes, sondern verschärft das ohnehin harte Leben der Menschen weiter.
Auslöschungsrhetorik gegenüber Israel beenden
Wir sind zutiefst besorgt über die Zukunft des Iran und erklären: Wir lehnen die fortgesetzte Konfliktpolitik gegenüber den USA und die Auslöschungsrhetorik gegen Israel ab.
Wir lehnen die Fortsetzung intransparenter Nuklearpolitik ab, die die nationale Sicherheit ohne Einbeziehung des Volkes aufs Spiel setzt. Wir lehnen die Ausbeutung natürlicher Ressourcen und menschlicher Arbeitskraft für kriegerische Zwecke ab.

© dpa/Vahid Salemi
Wir verurteilen die Militarisierung der Gesellschaft und die systematische Unterdrückung von Frauen, Studierenden, Arbeitenden, Lehrkräften, Künstler:innen, Rentner:innen, religiösen Minderheiten und ethnischen Gruppen.
Wir fordern die Freilassung politischer und gewissensbasierter Gefangener und die Beendigung willkürlicher Verhaftungen.
Wir treten ein für Meinungsfreiheit, das Recht auf Protest, freie Medien und ein offenes Internet.
Aus dem Appell
Wir lehnen die unmenschliche Vollstreckung der Todesstrafe ab, die zunehmend zur Einschüchterung und zur Vertuschung militärischer und sicherheitspolitischer Niederlagen missbraucht wird. Wir treten ein für Meinungsfreiheit, das Recht auf Protest, freie Medien und ein offenes Internet.
All diese zerstörerischen Maßnahmen stellen eine existenzielle Bedrohung für die iranische Gesellschaft dar. Sie berauben die Menschen zunehmend ihrer grundlegendsten Rechte, insbesondere ihres Rechts auf Selbstbestimmung.
Sollte dieser Weg weiter beschritten werden, sehen wir einer düsteren Zukunft entgegen – für unser Land wie für kommende Generationen.

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Wir fordern daher mit Nachdruck: ein freies, transparentes Referendum unter internationaler Aufsicht, die Bildung einer verfassungsgebenden Versammlung, die Gründung einer inklusiven nationalen Regierung und einen friedlichen, demokratischen Übergangsprozess.
Wir wissen: Kein autoritäres Regime veranstaltet freiwillig ein Referendum. Deshalb rufen wir alle unabhängigen politischen, zivilgesellschaftlichen und kulturellen Gruppen auf, den Fokus ihrer Arbeit auf die demokratische Veränderung der aktuellen Lage zu legen.
Durch Erklärungen, öffentliche Reden, Diskussionsräume, Volksversammlungen, zivilen Ungehorsam und gewaltfreien Widerstand soll der Boden für die Selbstbestimmung des iranischen Volkes bereitet werden. Möge der Tag kommen, an dem Freiheit über unser Land scheint und eine gute Zukunft dem Iran und seiner Bevölkerung gehört.“
Unterzeichner*innen: Abolfazl Ghadyani, Parastou Forouhar, Hatam Ghaderi, Hossein Razzagh, Saeed Madani, Sedigheh Vasmaghi, Abbas Sadeghi, Abdollah Momeni, Abdolfattah Soltani, Ataollah Shirazi, Mohammadreza Faghihi, Mohammad Seifzadeh, Manzar Zarrabi, Mehdi Mahmoudian, Narges Mohammadi, Nasrin Sotoudeh
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