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Frankreichs Staatschef Macron (links) und Staatschef Macron vor dem Élysée-Palast im vergangenen Oktober.

© Reuters/Sarah Meyssonnier

60 Jahre Freundschaft: Am Feiertag herrscht zwischen Berlin und Paris dicke Luft

Kanzler Scholz und Präsident Macron wollen am Sonntag den Jahrestag des Freundschaftsvertrages beider Länder feiern. Doch bei der Verteidigungspolitik liegen sie über Kreuz.

Wenige Tage vor dem Feiern zum Jubiläum des deutsch-französischen Freundschaftsvertrages gaben Beraterinnen und Berater des französischen Präsidenten Emmanuel Macron einen Einblick zum Stand der Beziehungen zwischen Berlin und Paris. Eines war auffällig: Die ansonsten häufig benutzte Floskel vom „deutsch-französischen Paar“ wurde bei dem Briefing nicht verwendet. Der Ukraine-Krieg hat zu einer neuen Nüchternheit zwischen Berlin und Paris geführt.

Am Sonntag wird der Élysée-Vertrag 60 Jahre alt. Der Vertrag wurde seinerzeit von dem damaligen Bundeskanzler Konrad Adenauer und dem Präsidenten Charles de Gaulle geschlossen, um nach dem Zweiten Weltkrieg die so genannte Erbfeindschaft zwischen beiden Völkern endgültig zu überwinden. Das ist gelungen – etliche Städtepartnerschaften, der gemeinsame Wille zur Zusammenarbeit in den Grenzregionen und eine gemeinsame Parlamentarierversammlung zeugen davon.

Auf höchster Ebene knirscht es allerdings. Am Sonntag wollen Macron und Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) in der Pariser Sorbonne-Universität das Jubiläum des Freundschaftsvertrages würdigen, von beiden Seiten nehmen insgesamt 300 Abgeordnete an dem Festakt teil. In Macrons Amtssitz, dem Élysée-Palast, tagen anschließend die Kabinette beider Länder. Der feierliche Rahmen kann aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass es Differenzen gibt – unter anderem bei europäischen Verteidigungsfragen.

In Paris setzt man sich weiterhin kritisch mit der Verteidigungsinitiative des Kanzlers auseinander, der nach dem russischen Überfall auf die Ukraine ein europäisches Luftverteidigungssystem vorgeschlagen hatte. 14 europäische Staaten haben inzwischen erklärt, sich Scholz‘ „Sky Shield“-Initiative anschließen zu wollen. Paris blieb außen vor.

Im Élysée-Palast wirkt der Ärger über den europapolitischen Vorstoß des Kanzlers offenbar immer noch nach. Nach den Vorstellungen der Bundesregierung ist es denkbar, das deutsche Iris-T-System, aber auch das US-System Patriot oder die israelische Raketenabwehr Arrow 3 für den Schutzschild zu verwenden. Bei der Abwehr von Raketen in großen Höhen, Drohnen und Marschflugkörpern setzt man am Amtssitz Macrons hingegen auf die Verwendung europäischer Fähigkeiten. „Wir machen kein Geheimnis daraus, dass wir wünschen, dass Europa seiner strategischen Autonomie den Vorrang gibt“, heißt es. Bei der Anschaffung der Abwehrsysteme solle man daher einen „europäischen Vorrang“ berücksichtigen.

Damit meint man in der französischen Regierung das Luftabwehrsystem SAMP/T, das gemeinsam mit Italien hergestellt wird. Die Raketenabwehr sei auch ein Thema, das die nukleare Abschreckung berührt, wird in Paris betont. Über dieses sensible Thema müsse man mit den Partnern in der Nato und insbesondere „unseren deutschen Freunden“ sprechen, heißt es. Aus dem Kanzleramt hieß es derweil, dass man mit der Regierung in Paris darüber rede, ob eine Beteiligung Frankreichs an der „Sky Shield“-Initiative denkbar ist.

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Millionen junge Menschen hatten bislang seit 1963 die Möglichkeit, an einem Austauschprogramm des Deutsch-Französischen Jugendwerks teilzunehmen.

Eigentlich wird am Sonntag in Paris der deutsch-französische Ministerrat nachgeholt, der im Oktober wegen der Unstimmigkeiten auf beiden Seiten ins Wasser gefallen war. Weil es nicht genügend gemeinsame Projekte gab, die man hätte verkünden können, fiel das gemeinsame Kabinettstreffen aus. Höhepunkt der diplomatischen Verstimmungen: Nach einem Arbeitsessen mit Scholz im Élysée-Palast verzichtete Macron darauf, die sonst übliche anschließende Pressebegegnung abzuhalten.

Inzwischen hat es immerhin einige Fortschritte zwischen beiden Ländern gegeben. Beim gemeinsam mit Spanien entwickelten Luftkampfsystem FCAS, das nach 2040 einsatzbereit sein könnte, haben die Flugzeugbauer Dassault und Airbus inzwischen ihren industriepolitischen Rivalitäten überwunden. So kann die nächste Entwicklungsphase beginnen. Für den Sonntag haben sich Scholz und Macron jedenfalls vorgenommen, in einer gemeinsamen Erklärung auszuleuchten, wo es mit der EU in den nächsten Jahren strategisch, wirtschaftlich und industriepolitisch hingehen soll.

Scholz und Macron sind auch gefordert, wenn es um eine gemeinsame Antwort auf das milliardenschwere Subventionsprogramm von US-Präsident Joe Biden für klimafreundliche Technologien geht. Vor allem Frankreich drängt darauf, das „Inflation Reduction Act“ mit umfangreichen öffentlichen Subventionen zu kontern. Dagegen hatte sich allerdings Finanzminister Christian Lindner beim Wirtschaftsform in Davos ausgesprochen.

Dass man in Pariser Regierungskreisen jenseits der offiziellen Reden den Begriffs des „Paars“ mit Blick auf die deutsch-französische Zusammenarbeit nicht mehr gebraucht, hat derweil noch einen anderen Grund. Inzwischen hat Frankreich auch Freundschaftsverträge mit Italien und Spanien abgeschlossen. Die Zusammenarbeit mit Deutschland hat aus Pariser Sicht zwar nach wie vor innerhalb der EU eine zentrale Bedeutung, aber keinen Exklusiv-Charakter mehr.

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