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Menschen versammeln sich, als Rauch aus einem Geschäft in Sidon, Libanon, aufsteigt.

© REUTERS/Hassan Hankir

Update

Explosionen im Libanon: Offenbar mehr als 600 Verletzte durch detonierte Funkgeräte der Hisbollah

Während der Schreck der Pager-Explosionen im Libanon noch tief sitzt, überzieht eine zweite Welle von Explosionen das Land. Insgesamt werden mehr als 3000 Menschen verletzt.

Stand:

Bei erneuten Explosionen zahlreicher elektronischer Geräte sind im Libanon nach Angaben des Gesundheitsministeriums in Beirut 608 Menschen verletzt worden. Die Zahl der Getöteten sei mittlerweile auf 37 gestiegen. Wie am Dienstag wurden damit wohl wieder gezielt Kämpfer der proiranischen Terrororganisation Hisbollah getroffen, hieß es aus libanesischen Sicherheitskreisen.

Bereits am Dienstag waren an mehreren Orten im Libanon gleichzeitig Hunderte Pager explodiert, die Menschen unter anderem in ihren Hosentaschen trugen. Dabei wurden nach aktuellem Stand 2323 Menschen verletzt und mindestens zwölf starben. Die Hisbollah machte Israel für den Angriff vom Dienstag verantwortlich und schwor Vergeltung. Israel selbst äußerte sich dazu nicht. Die beiden Angriffe dürften allerdings große Teile der Hisbollah-Anführer und Kommandostruktur außer Gefecht gesetzt haben.

Angesichts der Lage will der UN-Sicherheitsrat am Freitag zu einer Dringlichkeitssitzung zusammenkommen. Bereits am Donnerstag wollen hochrangige Diplomaten aus den USA, Großbritannien, Deutschland, Frankreich und Italien in Paris über die sich zuspitzende Situation im Libanon beraten. Israels Verteidigungsminister Joav Galant kündigte derweil eine „neue Phase“ des Krieges mit einem Fokus auf den Norden des Landes an. Dorthin würden nun Truppen und Ressourcen verlegt.

Während die Opfer des Vortags beerdigt werden, gibt es neue Explosionen

Die zweite Explosionswelle durchzog den Libanon am späten Mittwochnachmittag. Während im südlichen Beiruter Vorort Beerdigungen für Opfer vom Vortag abgehalten wurden, wurden die erneuten Explosionen gemeldet. Libanesische Sicherheitskreise bestätigten der Deutschen Presse-Agentur, dass Walkie-Talkies von Hisbollah-Mitgliedern explodierten. Auch aus Hisbollah-Kreisen hieß es, dass „drahtlose Geräte, wie Walkie-Talkies“ explodiert seien. 

Videos in sozialen Medien zeigten, wie sich während der Beerdigungszeremonie Panik ausbreitete, nachdem Knallgeräusche zu hören waren. Augenzeugen berichteten: „Wir hören die gleichen Geräusche wie gestern.“

Sehen Sie hier weitere Videos zum Krieg in Nahost

Der ranghohe Hisbollah-Funktionär Hashim Safieddine sagte als Reaktion auf die explodierten Pager vom Vortag: „Diese Aggression hat ihre eigene Strafe und Vergeltung, und die Strafe wird kommen.“ Die Hisbollah hatte bereits zuvor Vergeltung angekündigt. Hisbollah-Chef Hassan Nasrallah wollte sich am Donnerstag gegen Mittag deutscher Zeit an die Öffentlichkeit wenden.

Viele Häuser und Autos beschädigt

Auch in der Hafenstadt Tyrus im Süden des Landes waren Explosionsgeräusche zu hören, wie Menschen von vor Ort berichteten. Zahlreiche Krankenwagen seien im Einsatz. Lokale Medien berichteten außerdem von Explosionen in Sidon und weiteren Orten im Süden des Landes. In Baalbek im Osten des Libanon wurden nach Krankenhausangaben mindestens 15 Menschen durch explodierende Walkie-Talkies verletzt.

Der libanesische Zivilschutz sagte, seine Teams seien im Süden und Osten des Landes und in den südlichen Vororten Beiruts im Einsatz, um Brände an Autos, in Geschäften und weiteren Gebäuden zu löschen. Diese Gebiete werden vor allem von der Hisbollah kontrolliert.

Menschen reagieren auf eine Explosion in den südlichen Vororten von Beirut, die sich während der Beerdigung derjenigen ereignete, die am Vortag bei der Explosion von Hunderten von Pagern im Libanon getötet wurden. 

© AFP/FADEL ITANI

Bereits zuvor hatte die libanesische Regierung erklärt, sich auf einen möglichen israelischen Großangriff vorzubereiten. Der Leiter des Notfallausschusses der Regierung, Nasser Yassin, sagte laut libanesischer Nachrichtenagentur NNA: „Wir haben mögliche Szenarien für den Fall ausgedehnter israelischer Angriffe vorgestellt.“

Das Bildungsministerium habe eine Liste mit rund 100 Schulen vorgelegt, die als Notunterkünfte dienen könnten. Nahrungsmittelreserven reichten nach Regierungsangaben im Libanon für mehr als drei Monate. 

Walkie-Talkies wohl zeitgleich mit Pagern gekauft

Eine der Hisbollah nahestehende Quelle sagte der Nachrichtenagentur AFP, die Explosionen vom Dienstag beträfen „eine kürzlich von der Hisbollah importierte Lieferung von 1000 Geräten“, die offenbar „an der Quelle sabotiert“ worden seien.

Das Videostandbild zeigt ein Funkgerät, das in einem Haus explodiert ist.

© dpa/AP/Uncredited

Laut „New York Times“ wurden durch die Hisbollah sogar 3000 Pager bei dem Unternehmen Gold Apollo bestellt.

Die bulgarische Staatssicherheitsbehörde Dans kündigt Überprüfungen einer Firma in Zusammenhang mit den manipulierten Pagern an. Bulgarische Medien berichten, eine in Sofia ansässige Firma namens Norta Global Ltd sei in den Verkauf der Pager verwickelt.

3000
Pager soll die Hisbollah bestellt haben. Wie viele manipulierte Geräte im Umlauf waren, ist unklar.

Die am Mittwoch explodierten Handfunkgeräte wurden von der Hisbollah vor fünf Monaten gekauft, etwa zur gleichen Zeit wie die Pager, sagte eine Sicherheitsquelle.

Höchstwahrscheinlich sei an der Batterie der Geräte eine kleine Menge Plastiksprengstoff eingebaut worden, das durch einen Telefonanruf oder ein Funksignal zur Explosion gebracht werden konnte, sagte Charles Lister von der US-Denkfabrik Middle East Institute. Der israelische Geheimdienst habe offenbar die Lieferkette „infiltriert“.

Die Logik hinter der Explosion all dieser Geräte besteht natürlich darin, dies als Präventivschlag vor einer größeren Militäroperation zu tun.

UN-Generalsekretär António Guterres

UN-Generalsekretär sieht Hinweise auf „dramatische Eskalation“

UN-Generalsekretär António Guterres sieht angesichts der Vorfälle Hinweise auf eine massive bevorstehende Eskalation in Nahost. „Die Logik hinter der Explosion all dieser Geräte besteht natürlich darin, dies als Präventivschlag vor einer größeren Militäroperation zu tun“, sagte Guterres in New York.

Es bestehe die „ernsthafte Gefahr einer dramatischen Eskalation“, so Guterres weiter. Es müsse alles getan werden, um diese zu verhindern. Guterres sprach bei einer Pressekonferenz und bezog sich auf die Explosionen vom Dienstag – die Nachrichten der neuerlichen Detonationen erreichten die Teilnehmer während der Veranstaltung.

Ein Überwachungsvideo von Dienstag, zeigt eine Explosion und einen Mann, der zu Boden fällt.

© AFP/Uncredited

Bundesaußenminister Annalena Baerbock rief im Onlinedienst X zur Mäßigung auf. „Ich warne alle Seiten vor weiterer Eskalation“, mahnte sie. Schlag und Gegenschlag würden die Region „keinen Millimeter“ zum Frieden bringen.

Gegenseitiger Beschuss an der Grenze geht weiter

Immer wieder gab es in den vergangenen Monaten die Befürchtung, der seit Monaten andauernde Beschuss zwischen der Hisbollah und dem israelischen Militär könne sich neben dem Gaza-Krieg zu einem zweiten, großen Kriegsschauplatz verwandeln.

Menschen beobachten, wie nach einer Explosion Rauch aus einem Gebäude in Beirut aufsteigt.

© REUTERS/Social Media

Seit Beginn des Kriegs im Gazastreifen zwischen Israel und der islamistischen Hamas vor fast einem Jahr greift die Hisbollah Terrororganisation den jüdischen Staat fast täglich mit Raketen an. Zehntausende Israelis wurden aus dem Norden des Landes evakuiert. Israel reagiert auf die Angriffe mit Gegenangriffen auf die militärische Infrastruktur der Hisbollah.

Israels Verteidigungsminister Joav Galant kündigte bereits eine „neue Phase“ des Krieges an. Fokus sei die Front im Norden, wo die Armee sich die Gefechte mit der Hisbollah liefert, berichteten mehrere Medien unter Berufung auf Galants Büro. Kräfte und Ressourcen sollten in den Norden verlagert werden, zitierten israelische Medien Galant weiter. Er habe an das kürzlich festgelegte Kriegsziel Israels erinnert: die Rückkehr geflüchteter Bürger in das Grenzgebiet. (dpa/AFP/Reuters)

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