
© AFP/-
Israel tötet bekannten Journalisten in Gaza: „Gegen al-Sharif wurde zuletzt eine regelrechte Kampagne geführt“
Israel hat den Medienvertreter gezielt angegriffen – mit der Begründung, er sei Kopf einer Hamas-Terrorzelle. Sein Arbeitgeber und Journalistenverbände bestreiten das.
Stand:
Bei einem gezielten Angriff hat die israelische Armee in der Nacht zu Montag den bekannten TV-Reporter Anas al-Sharif und fünf weitere palästinensische Medienvertreter getötet.
Israel behauptet, der 28-Jährige sei Anführer einer Terrorzelle der Hamas gewesen. Dessen Arbeitgeber – der katarische Fernsehsender Al-Dschasira – und internationale Journalistenverbände weisen die Anschuldigungen zurück. Sie kritisieren die Armee scharf wegen der Tötung der Pressevertreter.
Was ist passiert?
Der Fernsehreporter al-Sharif war eines der bekanntesten Gesichter von Al-Dschasira in Gaza. Bei dem Angriff wurden laut Nachrichtenagenturen auch sein Kollege Mohammed Qreiqeh sowie die Kameraleute des TV-Senders Ibrahim Zaher, Mohammed Noufal, Moamen Aliwa und der freie Journalist Mohammad al-Khaldi getötet. Nach Angaben der britischen BBC wurde bei dem Angriff das gesamte Al-Dschasira-Team in Gaza-Stadt getötet.

© AFP/Bashar Taleb
Sie hielten sich in einem Journalisten-Zelt am Eingang des Al-Shifa-Krankenhauses in Gaza-Stadt auf. Der gezielte Luftschlag habe „dem Terroristen al-Sharif“ gegolten, erklärte die israelische Armee (IDF).
Legt Israel Beweise vor?
Israel begründet den Angriff damit, dass al-Sharif sich nur als Journalist ausgegeben hätte, in Wahrheit jedoch verantwortlich für Raketenangriffe auf israelische Zivilisten und IDF-Truppen gewesen sei. Die Armee berief sich bei der Einschätzung auf Geheimdienstinformationen und angeblich in Gaza gefundene Dokumente.
Nach Angaben des Senders Al-Dschasira hat Israels Militär keine von unabhängigen internationalen Stellen verifizierten Unterlagen vorgelegt, die diese Behauptung belegen würden. Er bezeichnet al-Sharif dagegen als „bekannten“ und „mutigen“ Journalisten, der ausführlich aus dem Norden das Gazastreifens berichtet habe.

© REUTERS/IBRAHEEM ABU MUSTAFA
Die BBC berichtet, dass al-Sharif bereits vor dem 7. Oktober 2023 für Al-Dschasira gearbeitet habe. Ihr erfahrener Nahost-Experte, Jeremy Brown, schreibt, dass er ein Dokument der Israelis gesehen habe, das die angeblichen Hamas-Aktivitäten des Getöteten belegen solle. „Das ist nicht überzeugend“, lautet sein Urteil.
Wie reagieren internationale Journalistenverbände?
Das Komitee zum Schutz von Journalisten (CPJ) mit Sitz in New York zeigte sich „entsetzt“ über die tödliche Attacke auf die Journalisten. Israel habe keine Beweise für seine Anschuldigungen vorgelegt. Die Organisation hatte bereits am 24. Juli davor gewarnt, dass al-Sharifs Leben wegen „falscher Terrorismus-Beschuldigungen“ in Gefahr sei.
Es ist nicht das erste Mal, dass Israel al-Sharaf bedroht, aber diesmal ist er in akuter Lebensgefahr.
Warnung des Komitees zum Schutz von Journalisten (CPJ) in New York am 24. Juli
Damals hatte Israels Armeesprecher Avichay Adraee seine Online-Angriffe auf den Reporter intensiviert und behauptet, er arbeite seit 2013 für den militärischen Arm der Hamas.
„Wir sind tief besorgt über die Drohungen durch den IDF-Sprecher Adraee gegen den Al-Dschasira-Korrepondenten Anas al-Sharif und fordern die internationale Gemeinschaft auf, ihn zu schützen“, hieß es in der CPJ-Stellungnahme vor drei Wochen.
„Es ist nicht das erste Mal, dass Israel al-Sharif bedroht, aber diesmal ist er in akuter Lebensgefahr“, hieß es weiter. Das CPJ bezeichnete ihn damals als eine „zentrale Quelle für Nachrichten“ aus dem abgeriegelten Küstenstreifen.
Empfohlener redaktioneller Inhalt
An dieser Stelle finden Sie einen von unseren Redakteuren ausgewählten, externen Inhalt, der den Artikel für Sie mit zusätzlichen Informationen anreichert. Sie können sich hier den externen Inhalt mit einem Klick anzeigen lassen oder wieder ausblenden.
Ich bin damit einverstanden, dass mir der externe Inhalt angezeigt wird. Damit können personenbezogene Daten an Drittplattformen übermittelt werden. Mehr Informationen dazu erhalten Sie in den Datenschutz-Einstellungen. Diese finden Sie ganz unten auf unserer Seite im Footer, sodass Sie Ihre Einstellungen jederzeit verwalten oder widerrufen können.
Nach Sharifs Tod schrieb Sara Qudah, Nahost-Direktorin des CPJ: „Israels Vorgehen, Journalisten ohne glaubwürdige Beweise als Kämpfer zu bezeichnen, wirft ernsthafte Fragen bezüglich seiner Absichten und seines Respekts für die Pressefreiheit auf.“ Journalisten seien Zivilisten und dürften nie angegriffen werden. Sie forderte, die Verantwortlichen zur Rechenschaft zu ziehen.

© AFP/OMAR AL-QATTAA
Die Geschäftsführerin von Reporter ohne Grenzen Deutschland (ROG), Anja Osterhaus, sagte dem Tagesspiegel: „Wir verurteilen die gezielte Tötung der sechs Journalisten durch die israelische Armee in Gaza auf das Schärfste“.
Die Organisation warne seit langem vor der akuten Gefahr, wenn Reporter öffentlich und ohne überzeugende Belege beschuldigt werden, enge Verbindungen zur Hamas zu haben.
Die Anschuldigungen könnten dazu dienen, den Journalisten im Nachhinein zu diskreditieren und den Angriff zu rechtfertigen.
Anja Osterhaus, Geschäftsführerin Reporter ohne Grenzen Deutschland
„Insbesondere gegen Anas al-Sharif wurde zuletzt eine regelrechte Kampagne geführt.“ Nach den ROG vorliegenden Informationen „gibt es begründete Zweifel“ daran, dass al-Sharif nur als „al-Dschasira-Journalist posiert“ habe.
Die Anschuldigungen könnten im Gegenteil dazu dienen, „den Journalisten im Nachhinein zu diskreditieren und den Angriff zu rechtfertigen“, sagt Osterhaus.
Der Deutsche Journalistenverband (DJV) verurteilte ebenfalls den Angriff auf die Medienvertreter. Selbst falls al-Sharif ein Terrorist gewesen sein sollte, rechtfertige das nicht den Luftangriff auf ein Journalistenzelt, sagte der DJV-Bundesvorsitzende Mika Beuster. Dass auf Grundlage von nicht überprüfbaren Vorwürfen gezielt Jagd auf Medienschaffende gemacht werde, sei nicht hinnehmbar.
Wie reagiert die Bundesregierung?
Die Tötung von Medienschaffenden sei im humanitären Völkerrecht „absolut unzulässig“, sagte ein Sprecher des Außenministeriums in Berlin am Montag. „Wenn es dazu kommt, wie es eben jetzt passiert ist, dann liegt es an der Partei, die eine solche Tötung unternimmt, das klar darzulegen, transparent aufzubereiten, warum das notwendig war.“
Das sei bislang nicht geschehen. Wenn Israel sage, dass der Angriff einer Person gegolten habe, sei die Frage zu beantworten, warum dann fünf Kollegen getötet wurden.
Ist es der erste gezielte israelische Angriff auf Journalisten?
Wohl nicht. Bei einer Attacke auf Pressevertreter im Südlibanon waren im Oktober 2024 der Reuters-Videojournalist Issam Abdallah getötet sowie fünf weitere Journalisten verletzt worden.
Untersuchungen der UN-Truppen im Libanon (Unifil) sowie vier weitere Recherchen der Nachrichtenagenturen AFP und Reuters sowie von Amnesty International und Human Rights Watch zufolge waren die außerhalb des Kampfgeschehens auf einem Hügel stehende Journalistengruppe „eindeutig erkennbar“.
Reporter ohne Grenzen geht in Gaza von 45 gezielten Tötungen von Journalisten aus und hat daher beim Internationalen Strafgerichtshof in Den Haag (ICC) vier Strafanzeigen wegen Kriegsverbrechen gestellt.

© AFP/Omar Al-Qattaa
Ein Fall ist der Tod des Al-Dschasira-Journalisten Ismail al-Ghoul sowie des Kameramanns Rami al-Rifi bei einem Angriff auf ihren Wagen im August 2024. „Wir und andere Organisationen haben auf Ungereimtheiten im Versuch der Beweisführung der israelischen Armee hingewiesen, die gezielte Tötung Ismail al-Ghoul zu rechtfertigen“, sagt Osterhaus von Reporter ohne Grenzen.
„Zur lückenlosen Aufklärung – und damit die Straflosigkeit endlich ein Ende hat – braucht es dringend eine unabhängige Untersuchung der Tötungen von al-Sharif, al-Ghoul und anderer Fälle.“
„Die Tötung der sechs Journalisten ist nicht nur ein Kriegsverbrechen, sie markiert auch einen weiteren Höhepunkt in der systematischen Einschüchterung und Gewalt gegen palästinensische Medienschaffende“, sagt Osterhaus.
Meist weise die Armee den Vorwurf, Journalisten gezielt anzugreifen, zurück. Aber selbst wenn sie sich zu gezielten Tötungen bekenne, weil es sich angeblich um Hamas-Kader handele, würden „wirklich glaubwürdige Beweise auch auf Nachfrage nicht geliefert“.
Warum dürfen keine Journalisten nach Gaza?
Israel erlaubt seit fast zwei Jahren keinem internationalen Medienvertreter den Zugang zu Gaza – außer einige Male unter Aufsicht der israelischen Streitkräfte („embedded journalism“). Die Armee gibt als Grund Sicherheitsbedenken an, und dass ihr Einsatz durch Journalisten behindert werde.
Internationale Medien und die Vereinigung der Auslandskorrespondenten (FPA) in Israel fordert seit langem Zugang zu dem abgeriegelten Gebiet. Die FPA ist damit bis vor Israels obersten Gerichtshof gezogen, dort wurde ihre Forderung abgelehnt.
Daher sind ausländische Medien auf die Arbeit der palästinensischen Kollegen in Gaza angewiesen. Die Nachrichtenagentur AFP schrieb in ihrer Nachricht zum Tode al-Sharifs, dass „viele Medien weltweit auf Text-, Foto- und Videoberichterstattung palästinensischer Reporter, die für internationale Nachrichtenagenturen wie AFP arbeiten, angewiesen sind“.
Wie viele palästinensische Journalisten hat Israel in Gaza getötet?
Nach palästinensischen Angaben sind seit dem 7. Oktober 2023 mehr als 200 Journalisten und Medienschaffende getötet worden. Auch Reporter ohne Grenzen spricht von 200 Journalisten. Das internationale Komitee zum Schutz von Journalisten (CPJ) konnte bisher 186 Fälle verifizieren.
- showPaywall:
- false
- isSubscriber:
- false
- isPaid: