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Iran und Russland an Kämpfen beteiligt: Rebellen wollen strategisch wichtige Stadt Hama einnehmen
Die vorrückenden HTS-Rebellen liefern sich mit Regierungstruppen schwere Kämpfe um die Großstadt. Gleichzeitig haben die Gefechte sowie russische Bombardements 50.000 Zivillisten in die Flucht getrieben.
Stand:
In Syrien halten die Kämpfe um die strategisch wichtige Stadt Hama an. Während Rebellengruppen angeben, am Dienstag bis auf 15 Kilometer an die Großstadt heran vorgestoßen zu sein, haben Syriens Regierungstruppen nach eigener Darstellung Versuche islamistischer Rebellen abgewehrt, in Gebiete nördlich vorzudringen.
Die Truppen hätten vielmehr am Montagabend eine große Gegenoffensive begonnen, um die in vergangenen Tagen verlorenen Gebiete zurückzugewinnen, sagte ein Armee-Kommandeur der Regierungstruppen der Deutschen Presse-Agentur.
Die Armee habe dabei den Ort Chanasir rund 80 Kilometer südöstlich von Aleppo zurückgewonnen – weniger als 48 Stunden, nachdem die Aufständischen ihn am Sonntag eingenommen hatten. Die Angaben lassen sich nicht unabhängig überprüfen. Auch am Mittwoch hat die syrische Armee laut Aussagen von Beobachtern einen Gegenstoß unternommen.
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Die Syrische Beobachtungsstelle für Menschenrechte mit Sitz in London, die mit einem Netz aus Informanten das Kriegsgeschehen im Land verfolgt, berichtete, dass sich die Kämpfer „vor den Toren von Hama“ befänden und einige Stadtviertel bombardierten. Die Regierungstruppen vor Ort hätten Unterstützung erhalten.
Russische Kampfflugzeuge und Iran-treue Milizen würden die Armee dabei unterstützen, sagte der Leiter der Beobachtungsstelle, Rami Abdel-Rahman. Laut dem ukrainischen Geheimdienst hat Moskau inzwischen auch Söldnertruppen aus Afrika nach Syrien verlegt. Gleichzeitig hat Russland alle seine Kriegsschiffe von der syrischen Basis Tartus abgezogen. Tartus liegt nur 80 Kilometer von Hama entfernt.
In mehreren Städten und Dörfern in der Region Hama rückten die Kämpfer nach Angaben der Beobachtungsstelle vor. Ein Kämpfer der Rebellen sagte der Nachrichtenagentur AFP: „Wir rücken nach Hama vor, nachdem wir die Ortschaften, die nach Hama führen, gesäubert haben.“
Hama verbindet Damaskus mit Assads Hochburgen
Ein Fotograf von AFP sah am Dienstag Dutzende verlassene Panzer und Militärfahrzeuge der syrischen Armee auf der Straße nach Hama. Nach Angaben der Syrischen Beobachtungsstelle stießen die islamistischen Kämpfer dort offenbar auf weitaus größeren Widerstand als in Aleppo.
Kampfflugzeuge und Hubschrauber hätten mehr als 45 Luftangriffe geflogen und dabei auch Fassbomben abgeworfen. Die Regierungstruppen hätten dadurch einzelne Vorstöße der Rebellen abwehren können. Die Regierungstruppen und deren Verbündete bewegten sich Abdel–Rahman zufolge in Richtung der Stadt Safira, die 25 Kilometer außerhalb von Aleppo liegt und die als Eingang zu der zweitgrößten Stadt des Landes gilt.
Laut der Beobachtungsstelle kamen unter den Aufständischen mindestens 268 Rebellen und 154 Kämpfer der Regierungstruppen ums Leben. Zudem seien mindestens 91 Zivillisten getötet worden. Bei einem offenbar gezielten israelischen Angriff auf ein Auto wurde zudem eine Person in der Nähe von Damaskus getötet.

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Russische Basen drohen abgeschnitten zu werden
Hama liegt auf rund halbem Weg zwischen Aleppo und Damaskus, dem Zentrum der Assad-Diktatur. Zu Beginn des syrischen Bürgerkriegs im Jahr 2011 war Hama eine Bastion der Opposition. Die Stadt gilt als strategisch wichtig, weil durch sie wichtige Verbindungsstraßen sowohl nach Aleppo und in den Norden des Landes als auch an die syrische Küste führen.
Dort befinden sich mit den alawitischen Gegenden des Landes wichtige Hochburgen von Machthaber Bashar al-Assad, der der Minderheit der Alawiten angehört.
Auch die beiden wichtigsten militärischen Basen Russlands befinden sich in den Küstengebieten, die dann nur noch über eine letzte Straße in Homs mit Damaskus verbunden wären. Bei einem Verlust von Homs wäre das Regime in Damaskus vollständig von der lebenswichtigen Küstenregion abgeschnitten.
Von dort setzten auch am Dienstag russische Flugzeuge Luftangriffe auf Aleppo und Wohngebiete der Rebellenhochburg Idlib fort. Diese lösten offenbar einen Massenexodus aus. Anwohner berichteten von katastrophalen humanitären Folgen: Die Wasserversorgung brach zusammen, zeitweise fiel auch der Strom aus.
50.000 Menschen sind auf der Flucht, Zehntausende könnten folgen
Dutzende Menschen seien bei Bombardierungen getötet und viele weitere verletzt worden – „die meisten von ihnen Frauen und Kinder“, erklärte die Landesdirektorin für Syrien des „International Rescue Committee“ (IRC), Tanya Evans, am Dienstag in der jordanischen Hauptstadt Amman.
Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) warnte bereits, dass Dutzende Kliniken und Praxen ihre Dienste einstellen müssen. Nur acht Kliniken in den Rebellengebieten seien mit minimaler Kapazität noch im Einsatz, sagte sie. In Idlib hätten Bomben diese Woche unter anderem das Universitätskrankenhaus und eine Geburtsklinik beschädigt. Kranke könnten nicht mehr versorgt werden, Verletzte nur noch von wenigen Kliniken aufgenommen werden.
Aufgrund des erneuten Gewaltausbruchs kommt der UN-Sicherheitsrat am Dienstag zu einer Sondersitzung zur Lage in Syrien zusammen. UN-Angaben zufolge sind in den vergangenen Tagen fast 50.000 Menschen in die Flucht getrieben worden.
Der Leiter des UN-Büros für humanitäre Angelegenheiten (Ocha), Tom Fletcher, nannte die Situation „besorgniserregend“. Unter den Vertriebenen sind auch Tausende syrische Kurden. Bilder der Nachrichtenagentur AFP zeigten lange Schlangen von mit Matratzen und Decken beladenen Fahrzeugen, die sich auf einer Autobahn in Richtung Osten bewegten.
Rebellen profitieren von der Schwäche der Hisbollah
Mitte vergangener Woche hatte eine Allianz von Aufständischen unter der Führung der Islamistengruppe Haiat Tahrir al-Scham (HTS) eine Offensive im Nordwesten Syriens begonnen und am Wochenende überraschend die Kontrolle über Aleppo, die zweitgrößte Stadt des Landes, übernommen. Die Gruppierung HTS wird unter anderem von den USA als Terrororganisation eingestuft und verfolgt Experten zufolge eine salafistisch-dschihadistische Ideologie.
Dabei profitieren die Rebellengruppen offenbar von einem jüngst entstandenen Machtvakuum. Die Hisbollah hat in ihrem Krieg gegen Israel massive Verluste erlitten. Die schiitische Terror-Miliz war das wichtigste Werkzeug des Irans, um dort die Herrschaft Assads abzusichern und so eine „schiitischer Halbmond“ genannte Landbrücke vom Iran bis zum Libanon herzustellen. Auch Russland, Assads zweiter wichtiger Verbündete, ist durch seinen Krieg gegen die Ukraine zunehmend ablenkt.

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Auch kurdische Truppen versuchen vorzurücken
Gleichzeitig versuchen die Syrischen Demokratischen Kräfte (SDF), die von kurdischen Milizen angeführt werden, ebenfalls zusätzliche Gebiete im Nordosten unter Kontrolle zu bringen. In Dair as-Saur lieferten sich Regierungstruppen und deren Verbündete Gefechte mit SDF-nahen Milizen. Unterstützt wurde der kurdische Vorstoß offenbar auch durch US-Kampfflugzeuge, die dort Stellungen der Iran-treuen Milizen angegriffen haben.
Die SDF kontrollieren große Gebiete in Nord- und Ostsyrien. Die Türkei will seit Langem den Einfluss kurdischer Milizen an ihrer Grenze schwächen und unterstützt dort islamistische Rebellengruppen. Nach heftigen Kämpfen eroberten pro-türkische Kämpfer am Sonntag kurdisch dominierte Gebiete nördlich von Aleppo.
Derzeit sitzen dort noch rund 200.000 Kurden fest. Diese fürchteten sich vor Massakern durch die islamistischen Rebellen und Kurdenmilizen versuchen deren Evakuierung in die von ihnen gehaltenen Gebiete zu ermöglichen.
Der Bürgerkrieg war 2011 in Syrien ausgebrochen, nachdem der Diktator des Landes die anfangs demokratischen Proteste gewaltsam unterdrückt hatte. Hunderttausende kamen ums Leben und Millionen flohen aus dem Land. Assad werden Kriegsverbrechen wie der Einsatz von Giftgas und Folter vorgeworfen.
Seine Regierung kontrollierte zuletzt mithilfe ihrer Verbündeten Russland und Iran etwa zwei Drittel des Landes. Unterschiedliche Oppositionskräfte dominieren Teile des Nordwestens und Nordostens. Reste des Islamischen Staates kontrollieren weiter ländliche Regionen im Osten. (Mit Agenturen)
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