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Wolodymyr Selenskyj am Donnerstag zu Besuch bei der EU-Spitze in Brüssel. Zuvor war er in London und Paris.

© dpa/Olivier Matthys

Kampfjets für die Ukraine?: Selenskyjs Forderung ist militärisch sinnlos und politisch schädlich

Bei seiner Rede vor dem EU-Parlament befeuert der ukrainische Präsident eine Geisterdebatte um die Lieferung westlicher Militärflugzeuge. Sie führt aus vier Gründen in eine Sackgasse.

Ein Kommentar von Christoph von Marschall

Die deutsche Debatte um Kampfjets für die Ukraine ist eine Geisterdebatte ohne Sinn und Ziel. Sie lebt von der Hypothese, dass es da irgendeine Substanz geben müsse. Weil doch die Ukraine bisher am Ende meist zumindest teilweise bekam, was sie gefordert hatte. Das dürfte diesmal anders kommen.

Wolodymyr Selenskyj ist ein begnadeter Fürsprecher einer unabhängigen Ukraine und setzt sein Leben für ihr Überleben aufs Spiel. Im PR-Kampf gegen Wladimir Putin um die öffentliche Meinung, um die Sympathien und die Hilfsbereitschaft des Auslands hat er die Nase vorn – jedenfalls dort, wo es darauf ankommt, nämlich in Europa und Nordamerika.

Ohne die flehenden Auftritte ihres vom Schauspieler zum Staatsoberhaupt gereiften Präsidenten in Medien und Parlamenten in aller Welt hätte die Ukraine wohl kaum so viel Militärhilfe in relativ kurzer Zeit erhalten. Dabei hilft ihm seine lange Erfahrung als Darsteller und Manager in der Unterhaltungsindustrie. Er hat ein Gespür für die Bilder und Worte, die Wirkung erzielen.

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Weder Europäer noch Amerikaner wollen Jets liefern

Mitunter liegt freilich nur ein schmaler Grat zwischen wirkungsvollem Pathos, zum Beispiel bei Kampfpanzern, und pathetischem Kitsch, etwa bei Kampfjets. Weil der Kontext so ernst ist und die Risiken einer militärischen Eskalation so hoch, wäre Selenskyj gut beraten, genau zu überlegen, was er wann und wo fordert.

Das öffentliche Pro und Contra um die Lieferung westlicher Kampfpanzer war sinnvoll und zielführend. Und hatte nur einen wesentlichen Nachteil: Es dauerte zu lange, bis die Entscheidungen fielen. Darüber hat sich Selenskyj nun nochmals beschwert, speziell mit Blick auf die Rolle des Bundeskanzlers Olaf Scholz bei der Verzögerung. Als Verstärkung gegen die russische Frühjahrsoffensive kommen sie zu spät. Sobald die Panzer eintreffen – Leoparden und britische Challenger in einigen Monaten, amerikanische Abrams wohl nicht vor 2024 –, wird ihr Nutzen offenkundig.

Das ist beim Streit um Militärjets anders. Ihr militärischer Nutzen ist aus mehreren Gründen zweifelhaft; dazu gleich mehr. Das politische Gerangel darum ist schädlich, weil es den Eindruck vermittelt, der Westen sei in einer wichtigen Frage gespalten.

Wir haben Freiheit. Gebt uns Flügel, um sie zu schützen

Wolodymyr Selenskyj, Präsident der Ukraine, zur Forderung nach Kampfjets

In Wahrheit möchten weder Europäer noch Amerikaner der Ukraine westliche Jets geben. Es sagt nur niemand klar. Das „Nein“ wird verkleidet in ein „Vielleicht später“.

Da stößt Selenskyjs Inszenierung seiner Bitte um Kampfflugzeuge in emotional aufgeladenen Worten und Bildern, wie jüngst vor dem Europäischen Parlament, dann an die Grenzen der Überzeugungskraft. Pathos kann auch hohl klingen.

In Großbritannien trat Selenskyj mit einem Pilotenhelm auf, mit der Aufschrift „Wir haben Freiheit. Gebt uns Flügel, um sie zu schützen“. Das wird wohl kaum zu einem Umdenken führen.

Vier Gründe, warum Kampfjets wenig Nutzen bringen

Zu vieles spricht gegen die Lieferung westlicher Kampfjets. Erstens würde es sehr, sehr lange dauern, bis ukrainische Piloten an ihnen ausgebildet sind. Mindestens ein Jahr. Auch wenn die Briten ankündigen, sie wollten auch die Ausbildung von Marinesoldaten und an Kampfjets aufnehmen: Für die anstehenden Kämpfe hat das keine Bedeutung.

Zweitens ist die Frage unbeantwortet, welchen Unterschied Kampfjets für die militärische Lage machen würden. Auch die bemannte russische Luftwaffe bleibt weitgehend am Boden – aus Furcht vor der ukrainischen Luftabwehr. Das Risiko, abgeschossen zu werden, steht in keinem vernünftigen Verhältnis zu den Kosten eines Jets und der Ausbildung der Piloten.

Drittens lässt sich das meiste, was Kampfjets können, auch mit unbemannten Waffen erreichen: mit Drohnen, Raketen, Artillerie mit hoher Reichweite. Diese Waffen kosten weit weniger. Vor die Wahl gestellt, wo man die begrenzten Mittel mit dem größten Nutzen einsetzt, antwortet kaum ein militärischer Fachmann, dass die Ukraine ausgerechnet Kampfjets jetzt am dringendsten braucht.

Das Ziel, die russischen Nachschublinien auf die Krim, in den Donbass und in die besetzte Südostukraine zu unterbrechen, lässt sich effektiver erreichen, wenn der Westen der Ukraine die dafür nötigen Distanzwaffen gibt. Mit einer Reichweite von 300 Kilometer statt bisher 90.

Viertens würde die Entscheidung, dennoch Kampfjets zu liefern, Wladimir Putin einen Vorwand liefern, dem Westen eine Eskalation vorzuwerfen. Und damit seinerseits eine militärische Eskalation zu begründen.

Polen stellt seit Jahren von russischen auf US-Kampfjets um: Zwei MiG-29 fliegen über und unter zwei F-16-Kampfflugzeugen während einer Flugschau in Radom. Die MiGs wollte Polen schon vor einem Jahr der Ukraine geben.
Polen stellt seit Jahren von russischen auf US-Kampfjets um: Zwei MiG-29 fliegen über und unter zwei F-16-Kampfflugzeugen während einer Flugschau in Radom. Die MiGs wollte Polen schon vor einem Jahr der Ukraine geben.

© Alik Keplicz/AP/dpa

Gibt es also gar keine guten Gründe, über Kampfjets für die Ukraine zu reden? Doch, aber die sind nicht prioritär. Auf lange Sicht braucht die Ukraine die Fähigkeit, die drei traditionellen Teilstreitkräfte – Heer, Luftwaffe, Marine – im Verbund kämpfen zu lassen. Das gilt sowohl für die Zeit nach dem Krieg, als auch für einen Krieg, der sich noch Jahre hinzieht.

Anders als bei den Kampfpanzern steht Deutschland beim Thema Militärjets nicht im Fokus. Denn es hat in diesem Bereich nichts zu bieten, was die Ukraine dringend braucht, also auch nichts zu entscheiden.

Mit einer Ausnahme: Aus DDR-Beständen hatte die Bundeswehr sowjetische MiGs geerbt, die sie später an östliche Nato-Partner weitergegeben hat. Wenn diese Verbündeten solche MiGs an die Ukraine weitergeben wollen, weil deren Piloten diese Flugzeuge bereits beherrschen, brauchen sie dafür eine Exportgenehmigung der Bundesregierung.

Als Polen die Debatte vor einem Jahr aufbrachte, fand es keine Unterstützung, weder in Berlin noch in Washington. Das Eskalationsrisiko galt als zu hoch. Diese Abwägung könnte sich ändern. Zu den Prioritäten gehört aber auch dieser Unteraspekt derzeit nicht.

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