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Marine Le Pen hat im Abgeordnetenhaus erstmals eine Mehrheit für einen eigenen Antrag erringen können.

© IMAGO/PsnewZ/IMAGO/Michtof

Keine Reichensteuer und ein Sieg für Le Pen : Frankreichs Regierung steht erneut vor dem Sturz

Nach dem Scheitern der Vermögenssteuer im französischen Parlament könnten die Sozialisten der Regierung ihre Unterstützung entziehen. Drei Erkenntnisse aus einer turbulenten Woche.

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Erst mussten die Abgeordneten der französischen Nationalversammlung wochenlang bangen, ob sie überhaupt noch einen Job haben – jetzt schuften sie im Akkord. Das Ziel: doch noch einen Haushalt für 2026 zu erstellen, der es durch das Parlament schafft.

Der Sturz der Regierung von François Bayrou im September hatte zu einer chaotischen Regierungsneubildung geführt und die Verhandlungen über den Haushalt 2026 verzögert. Diese laufen seit dieser Woche täglich bis spät in die Nacht.

Hauptsächlich geht es dabei darum, weitere Einnahmequellen aufzutun. Dadurch sollen harte soziale Einschnitte wie die Verdopplung der Zuzahlung bei Medikamenten oder die Besteuerung der niedrigsten Löhne verhindert werden. Nur so könnten die Sozialisten eventuell dem Haushalt zustimmen.

Bei den Abstimmungsmarathons kam es jedoch zu ungewohnten Allianzen und krachenden Niederlagen. Drei Erkenntnisse aus einer turbulenten Woche.

1 Brandmauer zu Rechtsextremen gefallen

Die Fraktionschefin des rechtsextremen Rassemblement National (RN), Marine Le Pen, sprach von einem „historischen Tag“: Am Donnerstag wurde im französischen Parlament erstmals ein von ihrer Partei eingebrachter Antrag mit den Stimmen anderer Fraktionen beschlossen.

Marine Le Pen hat in der Nationalversammlung diese Woche einen besonderen Erfolg errungen.

© IMAGO/ABACAPRESS/IMAGO/Jumeau Alexis/ABACA

Seit den vorgezogenen Neuwahlen im Sommer 2024 ist der RN die stärkste Fraktion. Bisher hatte es aber eine gut funktionierende Brandmauer gegeben: Gesetzentwürfen und Misstrauensanträgen von Rechtsaußen stimmten die anderen Parteien nie zu.

Doch die Abgrenzung bröckelt schon seit einiger Zeit. So hatte der Parteichef der Republikaner, Bruno Retailleau, bis vor Kurzem Innenminister, nicht nur in der Migrationspolitik faktisch die radikalen Positionen des RN übernommen; bei einer Nachwahl im Département Tarn-et-Garonne rief er zudem dazu auf, „keine einzige Stimme der Linken“ zu geben und stattdessen für einen von der extremen Rechten unterstützten Kandidaten zu stimmen.

Im EU-Parlament unterstützte Vizeparteichef François-Xavier Bellamy das Misstrauensvotum gegen Ursula von der Leyen, das die Rechtsaußen-Fraktion Patrioten für Europa eingebracht hatte, der der RN angehört.

Und so stimmten in der Assemblée Nationale diese Woche viele Republikaner, aber überraschenderweise auch Abgeordnete der zentristischen Modem-Partei von Ex-Premier Bayrou dem Antrag des RN zu, den historischen Vertrag mit Algerien von 1968 aufzukündigen. Darin waren nach dem langen Unabhängigkeitskrieg den ehemals französischen Bürgern Einreiseerleichterungen zugestanden worden.

Die linken Parteien werfen den Macronisten vor, dem RN diesen Sieg ermöglicht zu haben: Nur 30 ihrer 92 Parlamentarier waren anwesend und stimmten dagegen, Fraktionschef Gabriel Attal selbst fehlte auch. So reichten 185 Stimmen bei 184 Gegenstimmen für den ersten Sieg der Rechtsextremen.

2 Ultimatum der Sozialisten

Bei der Reichensteuer geht es um die ideologisch am stärksten aufgeladene Frage der Verhandlungen – und um das Überleben der Regierung: Sollen die Unternehmensanteile Superreicher weiterhin wie die Arbeitsinstrumente von Handwerkern als „professionelles Vermögen“ behandelt werden und von der Steuer befreit bleiben?

Die Sozialisten hatten die Steuer zur Bedingung für ihre Unterstützung des Haushalts gemacht. Über eine solche Steuer wird seit 40 Jahren gestritten – dabei hatte ausgerechnet der erste sozialistische Präsident, François Mitterrand, 1981 die Einführung vermasselt.

Zunächst war sie noch in einem entsprechenden Gesetzentwurf vorgesehen. Aber die damals reichste Frau der Welt, die Millionenerbin Liliane Bettencourt („Mme L’Oréal“), ließ ihren Ehemann sowie den Direktor ihres Kosmetikunternehmens beim Präsidenten intervenieren – beides Freunde von Mitterrand.

Gegen die L’Oreal-Patriarchin Liliane Bettencourt wurde wegen Steuerhinterziehung ermittelt – dabei konnte sie sich ohnehin eine vorteilhafte Steuergesetzgebung sichern.

© dpa/Horst Ossinger

Nach einem Mittagessen der drei Herren, bei dem das Schreckgespenst einer Abwanderung des Unternehmens ins Ausland hervorgeholt wurde, wie die Journalistin Marie-France Etchegoin recherchierte, wurde der Gesetzestext geändert: Aktien von Unternehmern gelten damit weiterhin als Betriebsvermögen und sind von der Steuer ausgenommen.

Das wollen Linke, Grüne und Sozialisten jetzt ändern – der Wirtschaftswissenschaftler Gabriel Zucman hat ein entsprechendes Gesetz ausgearbeitet, nach dem auch Immobilien, Aktien und anderes Unternehmensvermögen besteuert werden können. Es geht um etwa 1800 Haushalte, die mehr als 100 Millionen Euro besitzen.

In ganz Frankreich war im September für die Einführung der sogenannten Zucman-Steuer demonstriert worden.

© REUTERS/Tom Nicholson

Aber die Regierungsparteien und der rechtsextreme RN lehnten am Freitagabend bei den mit Spannung erwarteten Abstimmungen einen entsprechenden Antrag ab, ebenso wie eine abgespeckte Form, in der Familienunternehmen und „innovative“ Start-ups ausgenommen würden.

„Sie werden das Wachstum abwürgen vor lauter Besteuerung“, schimpfte der republikanische Fraktionschef Laurent Wauquiez. „Es ist Steuerirrsinn, dass mittelständische Unternehmen mehr Steuern zahlen als Multinationale“, begründete der Fraktionschef der Sozialisten, Boris Vallaud, die Anträge.

Mit der Ablehnung rückt der Sturz der Minderheitsregierung von Premier Lecornu wieder näher. Ob weitere Gespräche zwischen den Parlamentariergruppen am Wochenende das noch verhindern können, wird sich zeigen.

3 Revolte gegen Big-Tech-Gewinner

Eine überraschend große, lagerübergreifende Einigkeit gab es unter den Abgeordneten dagegen bei der höheren Besteuerung ausländischer Unternehmen sowie der sogenannten „Big Tech“: der fünf US-Firmen Amazon, Alphabet (Google), Microsoft, Meta und Apple.

Gegen den ausdrücklichen Willen der Regierung wurden am Dienstag zwei Änderungsanträge dazu verabschiedet: Der von der extrem linken Partei „La France Insoumise“ eingebrachte Antrag sieht eine Besteuerung der Gewinne ausländischer Großkonzerne proportional zur Größe ihrer Aktivitäten in Frankreich vor.

Angenommen wurde er dank einer ungewöhnlichen Allianz zwischen extremer Linken und extremer Rechten: Le Pens RN stimmte dafür.

Noch spektakulärer war die Annahme eines Vorschlags zur höheren Besteuerung der großen Tech-Unternehmen: Unterstützt wurde er von der macronistischen Regierungspartei – aber hart bekämpft von Präsident Emmanuel Macrons Parteifreunden, die in der Regierung Lecornu sitzen.

Die Steuer auf deren Gewinne sollte von drei auf 15 Prozent erhöht werden – aus Angst vor Repressalien wurden es dann sechs Prozent auf Gewinne von mindestens zwei Milliarden Euro.

Sehr zum Missfallen von Roland Lescure wurde das Vorhaben mit überwältigender Mehrheit des Parlaments angenommen. Der Wirtschaftsminister nahm „den Willen des Parlaments“ dann auch nur zähneknirschend „zur Kenntnis“.

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