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Menschen von Khan Younis im südlichen Gazastreifen erhalten Hilfe von Mitarbeitern der UNWRA Ende November des letzten Jahres.

© REUTERS/IBRAHEEM ABU MUSTAFA

Update

Koalitionsclinch um Hamas und Hilfswerk?: FDP fordert Auflösung von UN-Organisation

Die Regierung steht vor einem Streit über den Umgang mit dem Palästinenserhilfswerk der UN. Die Liberalen wollen die Zahlungen eingestellt sehen, die Grünen warnen vor einer humanitären Krise.

| Update:

In der Bundesregierung zeichnet sich ein Koalitionsstreit über den richtigen Umgang mit dem Palästinenserhilfswerk der Vereinten Nationen (UNWRA) ab. Insbesondere den Liberalen reicht es nicht, dass das Auswärtige Amt von Annalena Baerbock (Grüne) und das Entwicklungsministerium von Svenja Schulze (SPD) die Zahlungen an die UNWRA eingestellt haben, bis die Vorwürfe aufgeklärt sind.

Am Wochenende war bekannt geworden, dass mehrere UNWRA-Mitarbeiter direkt am blutigen Hamas-Überfall auf Israel am 7. Oktober beteiligt gewesen sein sollen. „Die üblen aktuellen Vorfälle bei der UNWRA haben gezeigt, dass interne Reformen nicht ausreichen und das systemische Problem des Hilfswerks nicht lösen können“, sagte FDP-Generalsekretär Bijan Djir-Sarai dem Tagesspiegel. Er verwies auf einen bisher wenig beachteten Parteitagsbeschluss vom Wochenende, wonach „sich die Vereinten Nationen in der Region neu aufstellen müssen“.

Nach den jüngsten Enthüllungen ist die UNRWA als Organisation nicht mehr tragbar und sollte aufgelöst werden.

Christoph Hoffmann, Vorsitzender des Entwicklungshilfeausschusses im Bundestag, FDP

Der amtierende Vorsitzende des Entwicklungshilfeausschusses im Bundestag, der FDP-Abgeordnete Christoph Hoffmann, plädierte ebenfalls für ein Aus. „Nach den jüngsten Enthüllungen ist die UNRWA als Organisation nicht mehr tragbar und sollte aufgelöst werden.“ 

„Menschlich und völkerrechtlich problematisch“

Es handelte sich um ein „grundlegendes, strukturelles Problem innerhalb der Organisation“, so Hoffmann weiter, wenn über Jahre antisemitische Schulbücher verteilt und nun der Angriff auf Israel „sogar in Chatgruppen gefeiert“ werden würde: „Zum Wiederaufbau des Gazastreifens und einer langfristigen Beilegung des Konflikts braucht es eine Institution, die wirklich an Frieden interessiert ist. Das ist mit der UNRWA leider nicht mehr möglich.“

Die Grünen warnen dagegen vor einem solchen Schritt. Angesichts der ohnehin dramatischen humanitären Lage im Gazastreifen sehe sie weder eine Organisation noch einen Staat, der faktisch in der Lage oder willens wäre, das Palästinenserhilfswerk abzulösen, sagte Agnieszka Brugger dem Tagesspiegel: „Eine Kürzung oder eine Pause durch eine radikale Neuordnung von Strukturen bei der humanitären Hilfe“, so die stellvertretende Fraktionsvorsitzende, „wäre nicht nur menschlich und völkerrechtlich problematisch, es würde auch den Nährboden für weitere Radikalisierung und Konflikte bereiten.“

Die SPD stellt die Organisation ebenfalls nicht grundsätzlich infrage. „Wir dürfen die 13.000 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der UNWRA, die alle auch den israelischen Behörden gemeldet und von ihnen überprüft werden, nicht unter Generalverdacht stellen“, forderte Nils Schmid, der außenpolitische Sprecher der Bundestagsfraktion: „Selbst wenn eine andere bestehende oder eine neue UN-Organisation in Gaza tätig würde, müsste sie auf dieses Personal zurückgreifen.“

Eine Auflösung von UNWRA kann es Schmid zufolge „realistischerweise erst im Zuge eines Nahost-Friedens geben – vorher würden das die arabischen Staaten nicht zulassen“.

Ein sofortiges Aus halten auch die Liberalen kaum für machbar. „Ein realistisches Szenario wäre, nach dem Ende der Kampfhandlungen eine Überführung in andere Strukturen wie das UN-Flüchtlingshilfswerk UNHCR voranzutreiben“, erklärte Hoffmann. „Bis zum Zeitpunkt der Überführung“, so Generalsekretär Djir-Sarai, „ist die Wiederaufnahme der Zahlungen nur in enger Abstimmung mit Israel und den USA möglich“.

Unionsfraktionsvize fordert Ende der finanziellen Unterstützung

Unionsfraktionsvize Johann Wadephul hat von der Bundesregierung ein komplettes Ende der finanziellen Unterstützung der UN-Organisation verlangt. „Es ist höchste Zeit, dass die Bundesregierung ihre finanzielle Unterstützung für UNRWA komplett suspendiert und die Mittelzuflüsse umgehend stoppt“, sagte der CDU-Politiker am Montag der Deutschen Presse-Agentur in Berlin. Er ergänzte: „Nur ein Verzicht auf zukünftige Zusagen reicht nicht.“

Wadephul sagte nun, es träfen immer neue Informationen zur Verwicklung von Mitarbeitern von UNRWA in terroristische Aktivitäten der Hamas ein. „Diese Vorgänge sind abscheulich. UNRWA diskreditiert sich damit selbst.“ Und einmal mehr offenbare sich „das absolut menschenverachtende Gebaren der Hamas“. UNRWA sei aufgefordert, die Vorfälle lückenlos aufzuklären.

Nach Ende der Kriegshandlungen werde man um eine grundlegende Reform der UNRWA nicht umhinkommen: „Zu offensichtlich war der jahrelange Missbrauch von internationalen Hilfsmitteln für eigene niedrige Zwecke“, sagte der CDU-Politiker. Zugleich fügte Wadephul hinzu, natürlich sei „gerade jetzt humanitäre Hilfe für die notleidende palästinensische Zivilbevölkerung auch weiterhin notwendig“. Diese könne über bewährte Partner wie das Rote Kreuz oder Unicef abgewickelt werden.

„Reformbedarf“ war bekannt

Am Montagnachmittag sollte es eine Schaltkonferenz zwischen mehreren Gebernationen und dem UNWRA-Chef Philippe Lazzarini geben. Ein Sprecher des Auswärtigen Amtes erklärte am Montag, man habe die Organisation immer wieder darauf hingewiesen, „dass es Reformbedarf gibt“ und etwa für eine Überarbeitung der Schulbücher auch eine Beratung organisiert.

Dass vorerst kein zusätzliches Geld bereitgestellt wird, rechtfertigte der Sprecher damit, dass die Versorgung der Zivilbevölkerung im Gazastreifen auch über andere Wege möglich sei: „Die humanitäre Hilfe geht weiter.“ (mit dpa)

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