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Konfrontation zwischen Israel und Hisbollah: Droht dem Libanon wieder ein Krieg?
Die Hisbollah will sich nicht entwaffnen lassen. Damit begründet Israel seine zahlreichen Angriffe auf die Schiitenmiliz im Libanon. Experten beurteilen die heikle Lage.
Stand:
Es sind Machtdemonstrationen, die mit einer unverhohlenen Warnung einhergehen: Wagt es nicht, uns noch einmal zu bedrohen oder sogar anzugreifen. Wir wissen immer, was ihr vorhabt, und werden euch mit militärischer Gewalt daran hindern.
Das „Wir“ steht für Israel, das „Ihr“ für die Hisbollah. Und Israel meint es ernst. Seit Inkrafttreten der Waffenruhe vor gut einem Jahr gab es mehrere Hundert Attacken auf Stellungen der libanesischen Miliz. Kaum ein Tag vergeht, ohne dass Israel mit Kampfjets oder Drohnen Angriffe fliegt.
Dabei herrscht offiziell zwischen dem Staat der Juden und der schiitischen Terrororganisation eine Feuerpause. Der Vereinbarung zufolge sollten die Feindseligkeiten enden, die Hisbollah sich bis zum Litani-Fluss 30 Kilometer nördlich der Grenze zurückziehen und die Wiederbewaffnung der Miliz verhindert werden. Israel wiederum ist angehalten, seine Streitkräfte aus dem Libanon schrittweise abzuziehen.
Der Übereinkunft vorausgegangen waren heftige Gefechte zwischen den Erzfeinden, die einen Tag nach dem Massaker der Hamas am 7. Oktober 2023 begannen. Die schiitische Organisation feuerte aus Solidarität mit der Hamas im Gazastreifen Raketen auf den Norden Israels.
Kaum ein Tag ohne Angriffe
Dort mussten Zehntausende monatelang ihre Häuser aus Sicherheitsgründen verlassen. Israel reagierte mit Bombardements und einer Bodenoffensive, bis die US-Regierung eine Feuerpause vermittelte. Doch beide Seiten beschuldigen einander immer wieder, die Abmachungen vom November 2024 nicht einzuhalten.
Fakt ist: Israel lässt nichts unversucht, die Hisbollah zu schwächen. Erst vor wenigen Tagen war Stabschef Haitham Ali Tabatabai in einem Vorort Beiruts durch einen Luftschlag gezielt getötet worden.
Er habe die Eliteeinheit Radwan befehligt und sei für den Wiederaufbau und die Wiederbewaffnung der Miliz zuständig gewesen, teilte Israels Armee mit. Genau das will die Regierung in Jerusalem eigenen Angaben zufolge unbedingt verhindern und begründet damit ihr militärisches Vorgehen.

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Denn laut der israelischen Geheimdienste rüstet die Hisbollah wieder auf, einschließlich einer neuen Drohnenflotte. Geld dafür soll über Scheinfirmen kommen. Auch von Geldkoffern aus Teheran ist die Rede.
Der Iran hat die libanesische Miliz für den bewaffneten Widerstand gegen Israel mitgegründet und bildete als Hauptsponsor aus ihr eine Art Armee, die ihre Befehle direkt von der Führung der Islamischen Republik erhält.
Das macht die Hisbollah aus israelischer Sicht zu einem ernst zu nehmenden Gegner. Erklärtes Ziel ist es deshalb, die Schiiten-Organisation komplett zu entwaffnen. Aber darauf will diese sich keinesfalls einlassen.
Die Regierung in Beirut soll die Entwaffnung der Hisbollah organisieren – und das mithilfe einer Armee, deren Soldaten kaum 50 Dollar im Monat verdienen.
Merin Abbas, Leiter des Libanon-Büros der Friedrich-Ebert-Stiftung
Die Waffenfrage präge die libanesische Politik seit Jahrzehnten und sei längst zu einer zentralen Machtfrage geworden, sagt Merin Abbas, der das Libanon-Büro der SPD-nahen Friedrich-Ebert-Stiftung leitet. „Die Regierung in Beirut soll die Entwaffnung der Hisbollah organisieren – und das mithilfe einer Armee, deren Soldaten kaum 50 Dollar im Monat verdienen“, sagt Abbas.
Die Propaganda der Islamisten
Zudem munitioniere Israel mit seinen Angriffen die Propagandaerzählung der Hisbollah von einem schwachen libanesischen Staat, der dem Aggressor nichts entgegenzusetzen habe, sagt Abbas. Daraus leite die Miliz ihre Daseinsberechtigung als Widerstandsbewegung ab.

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Hinzu kommt: Obwohl es Israel gelungen ist, mit zu Bomben umgerüsteten Funkempfängern (Pagern), Attentaten und Militärschlägen einen Großteil der Führungsriege der Hisbollah zu töten – einschließlich des von seinen Anhängern verehrten Generalsekretärs Hassan Nasrallah –, besitzt sie im Libanon bis heute großen politischen Einfluss.
Zwar verfüge sie in der vor knapp einem Jahr gebildeten neuen Regierung nur über zwei von 24 Ministerämtern, sagt Experte Joseph Croitoru. „Aber sie gehört mit Verbündeten wie der schiitischen Amal-Bewegung einem Parteienblock an, der die Mehrheit im Parlament hat.“
Die Bedeutung der Hisbollah für den Libanon beurteilt Politikwissenschaftler Merin Abbas ähnlich. Nur gebe es ein grundsätzliches Problem: „Die Hisbollah ist eine Partei, die über eine eigene Armee verfügt.“ Das konterkariere das Gewaltmonopol des Staates.
Israel warnt den Erzfeind
Zwar werde die Hisbollah als politische Kraft bis hinauf zu Premier Nawaf Salam akzeptiert. Aber weitgehende Einigkeit herrsche darüber, dass sie weder über eigene Waffen verfügen noch im Auftrag des Iran operieren dürfe, sagt Abbas. Nur scheint es so, als scheuten die Verantwortlichen in Beirut die Konfrontation mit dem mächtigen Kontrahenten.
Dieser Eindruck dürfte auch in Israel weitverbreitet sein. Niemand der dort Verantwortlichen glaubt an ein Einsehen und Einlenken der Hisbollah. Deshalb nehmen gerade im Grenzgebiet die Spannungen zu.

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Nicht nur Hardliner wie Israels rechtsextremer Finanzminister Bezalel Smotrich reden deshalb umfangreichen Militäroperationen gegen die Hisbollah im Libanon das Wort. Auch Premier Benjamin Netanjahu und Generalstabschef Eyal Zamir warnen die Miliz davor, eine neue Front gegen ihr Land zu errichten.
Doch heißt das: Es droht ein neuer Krieg?
Diese Gefahr hält Merin Abbas gegenwärtig für gering. „Die Hisbollah stellt für Israel keine wirkliche Gefahr mehr dar“, sagt er. Die komplette Führungsriege der Partei sei eliminiert worden. Auch der Waffennachschub aus Syrien sei nach dem Sturz von Diktator Assad massiv eingeschränkt.
Aus Sicht regierungskritischer Medien sind die Drohungen reine Rhetorik, die verschleiern soll, dass Netanjahu von US-Präsident Trump auch beim Thema Libanon zusehends an die Leine genommen wird.
Joseph Croitoru, Nahost-Experte, Historiker und Hisbollah-Kenner
Joseph Croitoru misst Spekulationen über einen neuen Krieg ebenfalls keine große Bedeutung zu. Es habe zwar nach dem Tod von Militärchef Tabatabai nach einer Eskalation ausgesehen. „Doch kurze Zeit später hat es zum ersten Mal ein Treffen libanesischer und israelischer Vertreter an der Grenze gegeben. Im Libanon wertet man das gerne als Zeichen, dass die Kriegsgefahr vorerst gebannt ist“, sagt er.
Ein Schutzwall gegen den Terror
Zudem verweist der Historiker auf Berichte regierungskritischer israelischer Medien, wonach Jerusalems Drohungen reine Rhetorik seien, um zu verschleiern, „dass Netanjahu von US-Präsident Donald Trump auch beim Thema Libanon zusehends an die Leine genommen wird“.
Womöglich spricht auch noch etwas anderes gegen einen bald beginnenden neuen Krieg im Libanon.
Israel hat damit begonnen, eine schon längere Zeit geplante Sperranlage zum Nachbarland massiv auszubauen. Das Ziel: sich vor Raketenbeschuss und Angriffen durch die Hisbollah zu schützen.

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Dafür werden Berichten zufolge eine bis zu neun Meter hohe Betonmauer und Zäune mit Stacheldraht errichtet – und das auf einer Länge von 130 Kilometern entlang der Grenze.
Allerdings hält sich Israel offenkundig nicht an die seit dem Jahr 2000 geltende Demarkationslinie zum Libanon, die sogenannte Blaue Linie.
Nach Informationen der UN-Beobachtermission Unifil reicht die Anlage 4000 Quadratmeter weit auf libanesisches Territorium. Für die Bevölkerung sei dieses Gebiet nun unzugänglich. Auch das dürfte der Stabilität der Waffenruhe kaum zuträglich sein.
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