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Israels Premier Netanjahu gewinnt laut Umfragen wieder an Zustimmung.

© Reuters/Nir Elias/Pool

Nach dem Tod des Hamas-Chefs: Jetzt bietet sich Netanjahu eine günstige Gelegenheit, den Krieg zu beenden

Das Ende des Hamas-Anführers ist für Israels Premier ein Triumph. Die anderen Feinde des Landes hält er in Schach. Israel ist nun stark genug für einen Kompromiss – und Netanjahu auch.

Christian Böhme
Ein Kommentar von Christian Böhme

Stand:

Israel kann vor Kraft kaum laufen.

Die Hamas militärisch weitgehend geschlagen und den Verantwortlichen für das Oktober-Massaker zu Rechenschaft gezogen. Die Hisbollah stark geschwächt und der Führungsriege beraubt. Den Iran gedemütigt und die herrschenden Mullahs verunsichert.

Israels Gegner wissen nicht mehr, wie ihnen geschieht. Es herrscht Panik unter den Todfeinden des Juden-Staats – sie sind ihres Lebens nicht mehr sicher. Egal, wo sie sich auch verstecken.

Die nach dem 7. Oktober ausgerufene Operation „Eiserne Schwerter“ ist aus Israels Sicht nicht nur ein Erfolg, sondern ein Triumph.

Das Land schickt sich an, die Machtverhältnisse im Nahen Osten grundlegend zu seinen Gunsten zu zementieren. Es ist dabei, eine auf gewaltsamer Abschreckung gründende neue Ordnung zu etablieren. Für etwas anderes als Krieg scheint es keinen Platz mehr zu geben.

Ende eines Top-Terroristen. Das vermutlich letzte Bild des Hamas-Chefs kurz vor seinem Tod, aufgenommen von einer israelischen Drohne.

© AFP/-

Oder gibt es jetzt die Chance, auf dieser Grundlage so etwas wie Ruhe einkehren zu lassen? Ist Benjamin Netanjahu am Ende derjenige, der sich als siegreicher Feldherr aus einer Position der Stärke kompromissbereit zeigen kann?

29.08.2024

Netanjahu hat jetzt Handlungsspielraum

Noch vor wenigen Monaten war es abwegig, diese Frage zu stellen. Der Angriff der Hamas hatte Israel sträflich unvorbereitet getroffen und schockiert. Geschwächt, verunsichert und traumatisiert wie selten zuvor wirkte es.

Die Mauern der Villa im Dschungel, so beschrieb sich Israel lange Zeit gerne selbst, waren eingestürzt, Netanjahus selbst gezimmerte Legende vom „Mr. Security“ durch die Terroristen in Gaza zertrümmert.

Damals stimmten alle Beobachter überein: Die Tage des Dauer-Premiers sind gezählt. Sobald der Krieg endet, würde Netanjahu mit Schimpf und Schande vom Hof gejagt. Kein Tag verging, an dem nicht gegen ihn und seine rechtsextremistische Koalition protestiert wurde. Alle gegen Bibi.

Kompromisslos oder kompromissbereit?

Doch heute sieht es anders aus. Den Tod des Hamas-Chefs Jahia Sinwar – auch wenn er dem Zufall zu verdanken ist – kann Netanjahu als großen Erfolg verbuchen. Ebenso, dass sowohl der Hisbollah als auch der Iran enorm geschwächt sind.

Das verschafft dem israelischen Regierungschef Popularität. In Umfragen kann er wieder deutlich zulegen. Selbst seine Gegner erkennen an, dass er Israel so stark wirken lässt wie schon lange nicht mehr.

Die Angehörigen der Geiseln und deren Unterstützer fordern von der israelischen Regierung mehr Einsatz, um die Verschleppten nach Hause zu bringen.

© REUTERS/VIOLETA SANTOS MOURA

Fraglich ist allerdings, was Netanjahu daraus macht. Zeigt er sich jetzt, gestärkt durch seine Erfolge, kompromissbereiter oder kompromissloser? Was den Krieg in Gaza betrifft, gibt es zwiespältige Signale von ihm.

Nach Sinwars Tod erklärte der 74-Jährige, der Kampf gegen die Hamas werde bis zum endgültigen Sieg fortgesetzt. Netanjahu rief aber zugleich die Menschen im Gazastreifen dazu auf, die Herrschaft der Islamisten hinter sich zu lassen.

Eine Perspektive für die Palästinenser

Das klingt wie: Wenn ihr kapituliert und die Geiseln freilasst, endet unser Kampf. Wie die Zukunft der Palästinenser aussehen könnte, ließ er jedoch offen. Genau darin besteht das Problem.

Krieg kann nur in einen friedensähnlichen Zustand münden, wenn es eine Perspektive für die Palästinenser gibt.

Der Gazastreifen gleicht einer Trümmerlandschaft. Not und Leid bestimmen das Leben der Menschen dort.

© AFP/Bashar Taleb

Angesichts von mehr als 40.000 Toten, Millionen Geflüchteten und einem völlig verwüsteten Gazastreifen ist eine vernünftige Antwort auf die Frage „Wie könnte es weitergehen?“ zentral. Sie stellt sich auch dringlich für Netanjahu.

Schafft er es nicht, seinen neuen Handlungsspielraum rasch mit einem Plan für den Tag danach zu füllen, sind seine Siege wenig wert und rasch vergessen.

Eine internationale Schutztruppe für Gaza

Wenn nicht jetzt, wann dann? So müsste das Motto lauten. Eine internationale Schutztruppe, die Israels Sicherheit gewährleistet, und eine palästinensische Verwaltung mit Technokraten an der Spitze wäre ein gangbarer Weg.

Viele werden jetzt einwenden: Unmöglich, Netanjahu ist ein Hardliner. Der will nichts von einem Einvernehmen mit den Palästinensern wissen. Das stimmt. Aber Israels Regierungschef kann auch anders.

In der Vergangenheit hat es sich mehrfach gezeigt, dass er ein pragmatischer, strategisch agierender Politiker ist. Einer, der sehr wohl weiß, wann es sich auszahlt, zu verhandeln.

Die Gelegenheit scheint günstig: für ein Angebot aus eigener Stärke heraus. Womöglich erkennt das auch Netanjahu. Es wäre Israel, den Palästinensern, Gaza, den Geiseln und dem ganzen Nahen Osten zu wünschen.

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