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Hunderte Menschen demonstrieren am Dienstag gegen die Hamas im Gazastreifen.

© AFP/-

Proteste gegen Hamas im Gazastreifen: Ist die Verzweiflung wegen des Krieges größer als die Angst vor den Islamisten?

Tausende Palästinenser in Gaza protestieren gegen die Hamas und den Krieg. Ob die Kundgebungen für die Hamas gefährlich werden können, analysiert ein Experte.

Stand:

Der Unmut wird offenkundig immer größer. Augenzeugen zufolge demonstrierten am Mittwoch Tausende Palästinenser in mehreren Orten im Gazastreifen gegen die herrschende Hamas, darunter in Bait Lahiya und Gaza-Stadt im Norden sowie in Chan Junis im Süden des Küstenstreifens.

Ein Funktionär der Terrorgruppe schrieb bei Facebook, die Menschen hätten das Recht, zu demonstrieren, sollten sich dabei aber auf den „kriminellen Aggressor“ Israel konzentrieren.

Bereits am Dienstag waren Rufe wie „Raus, raus, Hamas raus!“ und „Hamas Terroristen!“ oder „Die Hamas vertritt uns nicht“ nach übereinstimmenden Berichten zu hören gewesen. In sozialen Medien kursieren viele Videos der Proteste.

Hunderte Palästinenser sind demnach in Bait Lahiya gegen die Terrororganisation und für ein Ende des Krieges mit Israel auf die Straße gegangen. Die Bilder zeigen aufgebrachte Männer, die gemeinsam durch die zerstörte Stadt ziehen.

Der Aufmarsch hatte begonnen, nachdem Kämpfer der Terrorgruppe Islamischer Dschihad am Montag Raketen Richtung Israel gefeuert hatten. Die Armee des jüdischen Staates rief daraufhin die Bewohner von Bait Lahiya dazu auf, das Gebiet zu räumen.

Seit knapp anderthalb Jahren dauern die Kämpfe inzwischen an, die infolge des Massakers der islamistischen Hamas am 7. Oktober 2023 ausbrachen. Dabei wurden etwa 1200 Menschen zum Teil brutal getötet, mehr als 250 wurden entführt.

25.01.2025

Nach Angaben des von der Hamas kontrollierten Gesundheitsministeriums kamen durch die israelischen Angriffe mehr als 50.000 Menschen ums Leben. Etwa 70 Prozent der Gebäude in Gaza sind zerstört, ein Großteil der mehr als zwei Millionen Bewohner ist obdachlos.

Deuten die Proteste daraufhin, dass die Menschen in Gaza von der Hamas genug haben? Könnte der Unmut den Islamisten gefährlich werden?

Mehrere Demonstranten in Gaza schildern ihr Leid

In mehreren Medien berichteten am Dienstag und Mittwoch Teilnehmer der Kundgebungen von ihrem Leid und Wut, zum Teil öffentlich und mit Namen. Sie schilderten ihre Frustration über ihre Lage infolge des Kriegs. Viele haben genug von Zerstörung und Tod – und machen die Hamas dafür mitverantwortlich.

Wie und von wem die Proteste organisiert wurden, ist bislang noch unklar. Im Vorfeld ist mehreren Angaben zufolge mindestens ein Aufruf über die Messenger-App Telegram verbreitet worden.

„Es gibt Vertreter führender Familien und Clans, die in einem Rivalitätsverhältnis zur Hamas stehen“, sagt Jan Busse, wissenschaftlicher Mitarbeiter für Internationale Politik und Konfliktforschung an der Universität der Bundeswehr München.

Diese hätten zu einem Volksaufstand gegen die Hamas aufgerufen, die sie für Unterdrückung, Hunger und Zerstörung verantwortlich machten. Inwieweit und in welchem Ausmaß die palästinensische Bevölkerung diesem Aufruf folgen werde und wie die Hamas reagiere, sei derzeit nicht absehbar, sagt Busse.

Nur noch 21 Prozent unterstützen die Hamas

Wie die Menschen zur Hamas stehen, ist immer wieder in Umfragen untersucht worden. Zu Beginn des Krieges war die Unterstützung für die Hamas, je nach Umfrage, mehr oder weniger stark ausgeprägt. Einer repräsentativen Umfrage des Palestinian Center for Policy and Survey Research und des Umfrage-Instituts Artis International zufolge fiel die Zustimmung der Hamas von 42 Prozent kurz nach dem 7. Oktober 2023 auf 21 Prozent im Januar dieses Jahres.

Die Unterstützung für die Hamas im Gazastreifen sinkt.

© Reuters

Die im Westjordanland regierende, aber im Gazastreifen wenig relevante Fatah kam dabei auf 19 Prozent. 32 Prozent gaben an, dass keine der vorgeschlagenen Parteien ihre Interessen ausreichend vertrete.

500 Personen in Gaza wurden befragt. Die letzte Erhebung war vor Inkrafttreten der Waffenruhe im Januar durchgeführt worden.

In jedem Fall verdeutlichen die Proteste, dass es immer schon falsch war, zu unterstellen, dass die Hamas im Gazastreifen die völlige Unterstützung der Bevölkerung genießt.

Jan Busse, wissenschaftlicher Mitarbeiter für Internationale Politik und Konfliktforschung an der Universität der Bundeswehr München.

Die Frage, wie viel Zustimmung die Hamas noch in der Bevölkerung in Gaza hat, ist unmittelbar mit den Zukunftsszenarien des Küstenstreifens verbunden. Israel hat immer wieder deutlich gemacht, dass man eine Herrschaft der Terrororganisation künftig nicht mehr akzeptieren werde.

Die Dynamik der jüngsten Demonstrationen in Gaza ist aber nach Jan Busses Ansicht noch nicht absehbar. Es gebe zwar über den ganzen Gazastreifen verteilt Unmutsbekundungen, sagt er. Aber es sei unklar, wie viele Menschen sich daran beteiligen und ob sie – gerade vor dem Hintergrund der Fortsetzung des Krieges durch Israel – überhaupt verstetigt werden können.

„In jedem Fall verdeutlichen die Proteste, dass es immer schon falsch war, zu unterstellen, dass die Hamas im Gazastreifen die völlige Unterstützung der Bevölkerung genießt.“

Hamas geht gegen Proteste vor

Die Hamas herrscht seit 2007 alleine im Gazastreifen, nachdem es im Jahr zuvor Wahlen gegeben hatte. Kurz nach ihrer Wahl gingen die Islamisten auch brutal gegen politische Gegner vor, etwa gegen Mitglieder der Fatah von Palästinenserpräsident Mahmud Abbas. Einige sollen von Dächern gestürzt worden sein.

Auch ist bekannt, wie die Hamas gegen unliebsame Demonstranten vorgeht. Im Jahr 2019 demonstrierten Menschen in Gaza wegen der harten Lebensbedingungen, massiver Preissteigerungen und hoher Arbeitslosigkeit. Die Hamas reagierte Berichten zufolge mit Hausstürmungen, öffentlichem Verprügeln und Verhaftungen.

Am Dienstag lösten Augenzeugenberichten zufolge Hamas-Anhänger ebenfalls die Proteste zum Teil gewaltsam auf. In sozialen Medien soll es trotzdem Aufrufe gegeben haben, die Demonstrationen weiterzuführen.

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