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Reaktionen auf den Sturz des Assad-Regimes: Röttgen sieht Türkei als großen geopolitischen Gewinner
Die syrischen Aufständischen haben die Regierungstruppen im Rekordtempo zurückgedrängt. Neben Erleichterung über den Sturz Assads gibt es in der internationalen Politik allerdings auch Sorge.
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Die 24-jährige Herrschaft des syrischen Präsidenten Baschar al-Assad ist zu Ende. Am Sonntagmorgen erklärten die syrischen Rebellen im Fernsehen, dass sie Damaskus befreit und das Assad-Regime gestürzt hätten.
Der CDU-Außenpolitiker Norbert Röttgen begrüßte den Sturz des syrischen Diktators und bezeichnete ihn als „große Befreiung für das Land und die Menschen“. „Die Hölle von Assad ist nach 13 Jahren beendet“, sagte er dem Tagesspiegel.
Die jüngsten Ereignisse haben aus seiner Sicht zudem große geopolitische Auswirkungen. „Es gibt zwei große Verlierer: Iran und Russland“, so Röttgen: „Die Hisbollah ist nicht mehr einsatzfähig, Teheran verliert einen regionalen Verbündeten. Bemerkenswert ist die Schwäche von Wladimir Putin.“ Russlands Streitkräfte seien durch den Krieg in der Ukraine so ausgelastet, dass sie nicht mehr in der Lage gewesen seien, Assad ausreichend zu unterstützen.
Erdogan wird versuchen, seinen Erfolg auch innenpolitisch zu nutzen.
CDU-Außenpolitiker Norbert Röttgen
Der „große Gewinner“ ist aus seiner Sicht die Türkei. „Erdogan wird versuchen, seinen Erfolg auch innenpolitisch zu nutzen“, sagte der Christdemokrat dem Tagesspiegel weiter: „Er hat ein immenses Interesse daran, dass Syrien nicht zerfällt, um eine Rückführung der drei Millionen Syrer aus der Türkei zu erreichen.“
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Ob auch syrische Geflüchtete aus Deutschland zurückkehren können, ist für Röttgen „derzeit zu früh zu sagen. Aber es gibt ein Momentum für Stabilität“. Die Europäische Union müsse „jetzt auf die Türkei zugehen und Kooperationen ausloten“. Unterdessen hat die Türkei bereits Millionen von syrischen Flüchtlingen zur Rückkehr in ihre Heimatgebiete aufgerufen.
Scholz begrüßt Sturz Assads
Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) begrüßte den Sturz Assads als „eine gute Nachricht“. In einer Erklärung begründete Scholz diese Einschätzung am Sonntag damit, dass Assad „sein eigenes Volk auf brutale Weise unterdrückt, unzählige Leben auf dem Gewissen und zahlreiche Menschen zur Flucht aus Syrien getrieben“ habe. Nun komme es „darauf an, dass in Syrien schnell Recht und Ordnung wieder hergestellt“ würden.
Baerbock warnt vor radikalen Kräften
Nun sei „auch die internationale Gemeinschaft (...) gefragt, damit Syrien aus dem Kreislauf von Krieg und Gewalt endlich herauskommt“, erklärte Außenministerin Annalena Baerbock (Grüne) am Sonntag in Berlin. Deutschland sei dazu in „intensiver Abstimmung“ mit seinen Partnern und regionalen Akteuren.
Zugleich könne man „nicht genau sagen, was jetzt in Syrien passiert. Aber klar ist: Das Ende Assads bedeutet für Millionen von Menschen in Syrien ein erstes großes Aufatmen nach einer Ewigkeit der Gräuel des Assad-Regimes“, sagte Baerbock. Für seine Taten gehöre Assad endlich zur Verantwortung gezogen. „Die Menschen in Syrien verdienen eine bessere Zukunft.“
Baerbock warnte jedoch auch davor, dass das Land „nicht in die Hände anderer Radikaler fallen“ dürfe. Alle Konfliktparteien seien dazu aufgerufen, ihrer Verantwortung für alle Syrerinnen und Syrer gerecht zu werden. „Dazu gehört der umfassende Schutz von ethnischen und religiösen Minderheiten.“

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Innenministerium beobachtet die Lage
„Die Bundesregierung verfolgt die sich rasch verändernde Lage in Syrien genau“, sagte am Sonntag eine Sprecherin des Bundesinnenministeriums den Zeitungen der Funke-Mediengruppe. „Ob sich aus dieser Lage Fluchtbewegungen in der Region oder aus der Region hinaus ergeben, ist zurzeit noch nicht vorhersehbar.“
Eine Prognose wollte das Ministerium auch nicht dazu abgeben, ob nun syrische Geflüchtete in ihr Herkunftsland zurückkehren oder leichter dorthin abgeschoben werden könnten. „Welche Auswirkungen die sich verändernde Lage auf die Möglichkeiten von syrischen Flüchtlingen zur Rückkehr in ihre Heimat haben wird, ist ebenfalls nicht vorhersehbar“, sagte die Sprecherin weiter.
SPD-Außenpolitiker warnt vor „Schnellschüssen“
„Deutschland kann keine weiteren syrischen Flüchtlinge aufnehmen“, sagte unterdessen Unionsfraktionsvize Andrea Lindholz (CSU) der „Rheinischen Post“. „Wir haben in den letzten Jahren unsere humanitären Verpflichtungen übererfüllt.“ Sollte es irgendwann zu einer Befriedung in Syrien kommen, entfalle für viele Syrer auch „die Schutzbedürftigkeit und damit der Grund für ihr Aufenthaltsrecht in Deutschland“, fügte Lindholz hinzu.

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Zu Forderungen nach einem neuen Migrationspakt mit der Türkei und Rückführungen von syrischer Geflüchteter zeigte sich der SPD-Außenpolitiker Ralf Stegner skeptisch. „Schnellschüsse bringen uns nicht weiter“, sagte er dem „Spiegel“. „In Syrien geraten jetzt andere Menschen in Lebensgefahr, Unterstützer von Assad.“ Humanität gelte aber für alle.
Auch sein Parteifreund Michael Roth warnte mit Blick auf Äußerungen aus der Union „vor einer populistischen Debatte mit dem Tenor: Jetzt müssen alle sofort wieder zurück“. „Ich fürchte, dass neben der AfD und dem BSW auch einige in der Union das im Wahlkampf fordern werden. Das bereitet mir Sorgen“, sagte Roth ebenfalls dem „Spiegel“.
Erst wenn in Syrien wieder Frieden herrsche, stehe einer Rückkehr von Menschen, „die bei uns nie richtig heimisch wurden, nichts im Wege“, sagte Roth. Für die Mehrzahl der Syrer gelte das aber nicht, da sie gut in Gesellschaft und Arbeitsmarkt integriert sei.

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Druck auf Russland erhöhen
FDP-Europapolitikerin Marie-Agnes Strack-Zimmermann sieht Russland nach dem Sturz Assads geschwächt. Moskau halte sich aus dem Konflikt heraus, obwohl Syrien ein enger Verbündeter sei, sagte Strack-Zimmermann der „Rheinischen Post“. „Das spricht dafür, dass Russland militärisch alles in der Ukraine einsetzt und nicht in der Lage ist, eine zweite Front aufzumachen.“
Für den Westen bedeute das, den Druck auf Russland in der Ukraine endlich zu erhöhen, fügte Strack-Zimmermann hinzu. Der syrische Machthaber Baschir al-Assad sei nun Geschichte. „Ob das für die Bevölkerung wirklich die Befreiung ist, darf stark bezweifelt werden.“
Weißes Haus hält sich zurück – Trump richtet Appell an Putin
„Präsident Biden und sein Team beobachten die außergewöhnlichen Ereignisse in Syrien aufmerksam und bleiben in ständigem Kontakt mit regionalen Partnern“, teilte das US-Präsidialamt in einer Erklärung mit. Aus dem Pentagon hieß es, die US-Truppen würden in Ost-Syrien bleiben, „um ein Wiederaufleben des Islamischen Staates zu verhindern“.
Wladimir Putin war nicht länger daran interessiert, ihn (Assad) zu beschützen.
Designierter US-Präsident Donald Trump
Bidens designierter Nachfolger Donald Trump wird deutlicher als der Amtsinhaber und fordert Konsequenzen – für Russlands Krieg in der Ukraine. „Assad ist weg. Er ist aus seinem Land geflohen. Sein Beschützer Russland, Russland, Russland, angeführt von Wladimir Putin, war nicht länger daran interessiert, ihn zu beschützen“, postete Trump auf seiner Plattform TruthSocial.
„Russland und der Iran sind derzeit in einem geschwächten Zustand, der eine wegen der Ukraine und einer schlechten Wirtschaft, der andere wegen Israel und seinem Kampferfolg.“ Trump rief zugleich den russischen Präsidenten Putin auf, den Krieg in der Ukraine zu beenden. „Ich kenne Wladimir gut. Jetzt ist seine Zeit zum Handeln gekommen. China kann helfen. Die Welt wartet!“
EU-Außenbeauftragte begrüßt „Ende von Assads Diktatur“
„Das Ende von Assads Diktatur“ sei eine positive Entwicklung, schrieb die neue EU-Außenbeauftragte Kaja Kallas auf X. Es zeige auch die Schwäche von Russland und dem Iran, Assads Unterstützern. Es habe nun Priorität, Sicherheit in der Region zu gewährleisten. „Ich werde mit allen konstruktiven Partnern zusammenarbeiten“, so Kallas.

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Frankreich will sich für Sicherheit im Nahen Osten einsetzen
„Der Staat der Barbarei ist gestürzt – endlich“, zeigte sich der französische Präsident Emmanuel Macron am Sonntag erleichtert. Frankreich werde sich weiter für die Sicherheit aller im Nahen Osten einsetzen. „Ich zolle dem syrischen Volk meinen Respekt, zu seinem Mut und seiner Geduld. In diesem Moment der Unsicherheit wünsche ich ihm Frieden, Freiheit und Einheit“, schreibt Macron in einem Beitrag auf der Online-Plattform X.
Zuvor hatte das französische Außenministerium einen friedlichen politischen Übergang in Syrien gefordert, der den Erhalt staatlicher Institutionen sowie die Achtung der Souveränität und territorialen Integrität Syriens respektiert sowie die Vielfalt des syrischen Volkes. Des Weiteren ruft Frankreich alle Syrer zur Einheit, zur Versöhnung und zur Ablehnung aller Formen des Extremismus auf.
London begrüßt Assad-Sturz – UN fordert Dialog
„Diktatur und Terrorismus schaffen Probleme für die Menschen in Syrien, die schon so viel durchgemacht haben, und destabilisieren auch die Region“, mahnte die stellvertretende britische Premierministerin Angela Rayner. „Wenn Assad weg ist, ist das eine willkommene Veränderung“, aber die kommende Regierung müsse „im Interesse des syrischen Volkes“ handeln.
Ich zolle dem syrischen Volk meinen Respekt, zu seinem Mut und seiner Geduld. In diesem Moment der Unsicherheit wünsche ich ihm Frieden, Freiheit und Einheit
Frankreichs Präsident Emmanuel Macron
Der Sondergesandte der Vereinten Nationen für Syrien, Geir Pedersen, fordert alle Syrer dazu auf, dem Dialog und der Einheit Vorrang zu geben und beim Aufbau ihrer neuen Gesellschaftsordnung das internationale Völkerrecht und die Menschenrechte zu respektieren. Der Wunsch von Millionen Syrern sei ein stabiler und integrativer Übergang, teilte er mit. Er stehe bereit, das syrische Volk bei seiner Reise zu einer stabilen und alle umfassenden Zukunft zu unterstützen.

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Reaktionen aus der Region
Der jordanische König Abdullah rief dazu auf, jeden Konflikt zu vermeiden, der in Syrien zu Chaos führen könnte. Er betonte in einer Mitteilung des Königshofs die Notwendigkeit, Syriens Sicherheit zu schützen. Jordanien grenzt im Norden an Syrien.
Saudi-Arabien hat eigenen Aussagen zufolge keine Kenntnis über den Verbleib des früheren syrischen Herrschers. Das Königreich sei zum Thema Syrien in Kontakt mit allen Akteuren in der Region, sagt ein Vertreter des Landes der Nachrichtenagentur Reuters. „Wir stehen in ständiger Kommunikation mit der Türkei und allen Beteiligten.“ Saudi-Arabien wolle alles tun, um ein Chaos in Syrien zu verhindern.
Die Vereinigten Arabischen Emirate (VAE) sehen die Verantwortung nun bei den Syrern, um die Zukunft des Landes zu bestimmen. Die größte Gefahr für Syrien seien Extremismus und Terrorismus, sagte Anwar Gargasch, Berater des Präsidenten der VAE, am Rande der Manama-Sicherheitskonferenz in Bahrain.
Alle hofften darauf, dass die Spirale von Chaos und Gewalt in Syrien nun ein Ende habe, sagte er. Nun müsse auch mit dem Iran über die Region gesprochen werden. Auf die Frage, ob der gestürzte syrische Präsident Baschar al-Assad in den Vereinigten Arabischen Emiraten sei, sagte Gargasch: „Ich weiß es nicht“.
Das iranische Außenministerium warnt vor einer Einmischung aus dem Ausland in Syrien. Das Schicksal Syriens liege in der alleinigen Verantwortung des syrischen Volkes, teilt das Ministerium in Teheran mit. In den vergangenen Jahren hatte der Iran das nun gestürzte Assad-Regime in Syrien auch militärisch mit Soldaten und Waffen unterstützt. (mit Agenturen)
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