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Lagerfeuerromantik am Polarkreis: Ulf Kristersson mit Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen und dem schwedischen König Karl Gustav.

© picture alliance / TT NEWS AGENCY / TT/Jonas Ekstromer

Schweden, Europa und die Nato: Warme Worte am Polarkreis

Zum Auftakt der EU-Ratspräsidentschaft lädt Schweden nach Kiruna und präsentiert sensationelle Bodenschätze. Unterdessen rückt die Nato-Mitgliedschaft in weitere Ferne.

Vor dem offiziellen Auftakt ihrer EU-Ratspräsidentschaft am Donnerstag gab die schwedische Regierung Ursula von der Leyen und ihren Kollegen aus Brüssel noch einige praktische Tipps: Warme Schuhe und Kleidung seien für die Reise dringend angebracht, der Zwiebellook werde empfohlen.

Stockholms neue konservative Regierung lud zum zweitägigen europäischen Spitzentreffen nach Kiruna ,nördlich des Polarkreises. Im arktischen Winter ist es dort im Schnitt minus 15 Grad Celsius kalt.

Bei einer gemeinsamen Pressekonferenz mit Ursula von der Leyen am Freitagnachmittag verdeutlichte der schwedische Regierungschef, dass er Europa während der Ratspräsidentschaft „sicherer, grüner und freier“ machen wolle. Doch nichts „ist wichtiger als die weitere Unterstützung der Ukraine“, sagte Kristersson: „Das Schicksal der Ukraine bestimmt das Schicksal Europas.“

Seltene Erden für die „grüne Umstellung“

Trotz des Krieges in der Ukraine war die Stimmung am Polarkreis vergleichsweise gut. Vielleicht auch, weil der schwedische Minenbetreiber LKAB just am Donnerstag verkündete, in der Nähe Kirunas bedeutende Vorkommen an seltenen Erden entdeckt zu haben. Konkret geht es um mehr als eine Million Tonnen Metalloxide, das ist das bisher größte Vorkommen in Europa.

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Die Rohstoffe stecken vor allem in Smartphones und Fernsehern, werden aber auch für die Produktion von E-Autos und Windrädern gebraucht.

LKAB-Chef Jan Moström erklärte bei einer Pressekonferenz, dass der Fund „für die grüne Umstellung absolut entscheidend“ sei. Genau diese Umstellung hat Schweden als Schwerpunkt auf die EU-Agenda der kommenden sechs Monate gesetzt – und in LKABs Mine in der Nähe Kirunas hatte man die EU-Kommission und die versammelte europäische Presse ohnehin schon eingeladen.

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Für die schwedische Regierung unter Ministerpräsident Ulf Kristersson lief beim ersten Führungstest ihrer Präsidentschaft also alles nach Plan.

Denn auch in Brüssel will man europäische Minenprojekte besser fördern. Noch im Frühjahr wird die EU-Kommission Maßnahmen vorschlagen, mit denen Europas Autonomie in Bezug auf wichtige Rohstoffe gestärkt werden soll.

Vor allem um sich unabhängiger von China zu machen. Peking beherrscht den globalen Markt seltener Erden und ist für fast zwei Drittel der weltweiten Produktion verantwortlich. Der Fund in Kiruna könnte hier Abhilfe schaffen.

Schweden will möglichst schnell fördern

Es dürfte also kaum allein Fortuna geschuldet sein, dass Moström die frohe Kunde zu Beginn des EU-Treffens verkündete. Auch nicht, dass er gleichzeitig die langwierigen Genehmigungsverfahren innerhalb der Europäischen Union kritisierte.

Ein schnellerer Abbau müsse gewährleistet werden, so der Minenchef, um die Wettbewerbsfähigkeit der europäischen Industrie nicht zu gefährden. Auch den Ausbau der europäischen Wettbewerbsfähigkeit hat Stockholm für die Ratspräsidentschaft auf die Tagesordnung gesetzt.

Knapp 1000 Kilometer südlich wurde Regierungschef Kristersson dann aber von der Realpolitik eingeholt. Seit Mittwoch sorgt eine Aktion des kurdischen „Rojava Komitee Schwedens“ in Stockholm für Aufsehen. Die Gruppe hängte aus Protest gegen die Türkei und gegen einen schwedischen Nato-Beitritt vor dem Rathaus eine Puppe des türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdoğan kopfüber auf.

Videoaufnahmen der Protestaktion zeigen auf Twitter eine im Wind baumelnde Puppe, das Rojava Komitee verglich Erdoğan dabei mit Benito Mussolini und schreibt, dass die Geschichte zeige, wie Diktatoren oft endeten. Die Fronten zwischen Ankara und Stockholm dürfte die Aktion zusätzlich verhärten.

Die Türkei blockiert neben Ungarn als einziges Nato-Land weiter die Aufnahme Schwedens in das Verteidigungsbündnis und fordert mit Blick auf Waffenlieferungen, Abschiebungen und die schwedische Kurdenpolitik umfassende Reformen.

Ulf Kristersson hat sich seit seiner Wahl im Oktober Ankara gegenüber entgegenkommend gezeigt, reiste noch im November zu Erdoğan. Am vergangenen Wochenende äußerte er sich auf einer schwedischen Sicherheitskonferenz erstmals kritisch. Die Türkei stelle Forderungen, „die wir nicht erfüllen können“.

Damit ging er womöglich auch auf Stimmungen im Land selbst ein. Laut einer neuen Ipsos-Umfrage wünschen sich knapp vier von fünf Schweden eine härtere Linie gegenüber der Türkei und einen stärkeren Fokus auf rechtsstaatliche Werte – auch, wenn sich dadurch der Nato-Beitritt verzögern sollte.

Für die bisherige Annäherung an die Türkei wurde Schweden erst am Donnerstag von der Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch kritisiert.

Türkisch-schwedische Einigung in der Kritik

Es sei ein besorgniserregender Trend, „wenn Schweden bereit ist, die Augen vor den Menschenrechtsverletzungen der Türkei zu verschließen, um daraus politische Vorteile zu ziehen“, sagte die Direktorin der Menschenrechtsorganisation Tirana Hassan im schwedischen Radio.

Für die türkische Regierung ist der Vorfall um die Erdoğan-Puppe dagegen der nächste Beweis, dass Schweden seine Nato-Versprechen nicht halte. Der Kommunikationsdirektor Erdoğans, Fahrettin Altun, schrieb auf dem Kurznachrichtendienst Twitter, dass das Land „anders als bisher behauptet, nicht die notwendigen Schritte im Kampf gegen den Terrorismus“ unternehmen würden.

Noch am Donnerstag wurde daher der schwedische Botschafter einbestellt. Auch die türkische Opposition verurteilte die Protestaktion aufs Schärfste. Die Republikanische Volkspartei deutete den Protest in den sozialen Medien als gezielten „Provokationsversuch auf die Republik Türkei“.

Kristersson sah sich deshalb gezwungen, am Freitagmorgen beim schwedischen Fernsehsender TV4 eine Erklärung abzugeben. Vor malerischer Polarkulisse sprach der Regierungschef von einem Sabotageakt für die Nato-Mitgliedschaft und einer Gefahr für die schwedische Sicherheit.

Die Scheinhinrichtung eines „demokratisch gewählten Regierungschefs“ sei außerdem insbesondere in Schweden „besonders perfide“. Vor 20 Jahren wurde die damalige Außenministerin Anna Lindh, 1986 Olof Palme in Stockholm ermordet.

Kurze Zeit später wurde bekannt, dass Ankara einen für kommende Woche geplanten Besuch des Stockholmer Parlamentspräsidenten Andreas Norlén abgesagt hat. Eine schnelle Aufnahme in die Nato dürfte für Schweden damit wohl endgültig auf Eis liegen.

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